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Theater

Stolze Eltern

El Alto ist in den letzten 25 Jahren von einem Stadtteil von La Paz zu einer Millionenstadt auf 4000 Metern Höhe in den Anden gewachsen. Die meisten seiner Bewohner sind Indigene, Aymará oder Quechua. Die Arbeitslosigkeit ist hoch; die Jugendlichen haben wenig Perspektive auf höhere Bildung oder sozialen Aufstieg. Hier macht das Kulturzentrum Centro de Comunicación Cultural Chasquí (CCC Chasqui) seit Jahren wertvolle Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Der Leiter und Mitgründer, Jorge Cruz Quispe, hat Sheila Mysorekar ein Interview gegeben.
CCC Chasqui

Wie sind sie zur Kulturarbeit gekommen?

Durch meine eigene Erfahrung, diskriminiert zu werden. Ich bin in El Alto geboren worden. Hier wohnen die Armen, die vom Land in die Stadt gezogen sind und oft in La Paz arbeiten. Mein Vater war einfacher Arbeiter, meine Mutter Analphabetin. Das Wissen unseres Volkes, der Aymará, galt damals in der bolivianischen Gesellschaft nichts. Als ich aufwuchs, wurden wir Indigenen nicht respektiert; die Jugendlichen in El Alto hatten keine Chance. Das wollte ich ändern. 1988 habe ich gemeinsam mit anderen ehemaligen Studierenden das Kulturzentrum Centro de Comunicación Cultural Chasquí (CCC Chasqui) gegründet.

 

Was wollen Sie damit erreichen?

Die Kinder sollen sich entwickeln können – und zwar vor allem Kinder mit Problemen, die vier umliegenden Schulen zu uns schicken. Sie sollen ihre Rechte kennen, sie sollen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, und vor allem wollen wir eine Kultur des Friedens fördern.

 

Warum ist das nötig?

Noch heute ist El Alto sehr marginalisiert. Obwohl wir alle für den „cambio“ (Wechsel) und für Präsident Evo Morales gekämpft haben, kümmert sich die Kommunalverwaltung nicht um uns. Die Grundversorgung mit Wasser und Elektrizität ist unzuverlässig. Die Menschen sind sehr arm. Die Kinder müssen arbeiten, damit ihre Familien überleben.

 

Gibt es Gewalt?

Ja, sie ist weit verbreitet. Dabei gibt es mehrere Konfliktfaktoren: Armut und soziale Benachteiligung, aber auch die Auflösung der Familien wegen Arbeitsmigration. Die Landflucht ist ebenfalls wichtig. Viele der Einwohner von El Alto stammen aus entlegenen Andendörfern. Sie sind nach El Alto gekommen, um besser zu leben, was aber nicht unbedingt gelingt. Diskriminierung von Indigenen spielt auch eine Rolle. All das erzeugt Konflikte unter den Menschen. Die Jugendlichen sind täglich mit verschiedenen Formen von  Gewalt konfrontiert. Wir wollen ihnen zeigen, wie man Konflikte konstruktiv löst und friedlich mit anderen zusammenleben kann.

 

Was tun Sie?

Im CCC Chasqui versuchen wir, eine Friedenskultur („cultura de paz“) zu fördern: Wir helfen den Kindern, Selbstbewusstsein zu entwickeln, die Kommunikation zwischen den Generationen zu verbessern, und vor allem, durch Zusammenarbeit ein Gefühl der kollektiven Gemeinschaft und Kooperation herzustellen. In unserem Kulturzentrum werden Kinder und Jugendliche als Mediatoren ausgebildet, was sie bei Konflikten in ihren Schulen einsetzen können. 2011 haben wir mit Unterstützung von EIRENE Internationaler Christlicher Friedensdienst im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes ein Handbuch zur Methodologie der Friedenskultur veröffentlicht.

 

Wie ist das Centro de Comunicación Cultural Chasquí organisiert?

Anfangs war das CCC Chasqui selbstfinanziert; inzwischen wird es von EIRENE und terre des hommes Deutschland finanziell unterstützt. Das Gelände ist 600 Quadratmeter groß. Wir haben eine überdachten Mehrzweckhalle, Werkstätten, ein Auditorium, eine Bibliothek, eine Küche und auch Internetanschluss. Wir haben 16 Angestellte, sowohl Erzieher und Erzieherinnen, wie auch anderes Personal, und darüber hinaus weitere Freiwillige. Pro Tag kommen rund 120 Kinder und Jugendliche. Sie besuchen dreistündige Workshops, die vormittags oder nachmittags stattfinden. Es gibt Hausaufgabenhilfe, Sport und Training in  Führungsfähigkeiten („liderazgo“). Zudem ist Kunst wichtig – also Musik, Puppenspiel und eine Theatergruppe.

 

Wie arbeitet die Theatergruppe?

Seit 2009 bieten wir im CCC Chasqui Theaterworkshops für Jugendliche an. Anfangs hatten die Eltern große Vorurteile, sie sagten, „da lernt man doch nichts; Schauspielerei ist was für Betrunkene.“ Aber das hat sich geändert. Sobald die Kinder auf der Bühne stehen, können sie sich einbringen, sie können darstellen, wer und was sie sind. Und dann sind die Eltern doch stolz auf sie. Wir haben festgestellt, dass Theaterspielen vor allem für die Problemkinder sehr wichtig ist. Sie greifen Themen auf, die sie kennen, wie etwa Gewalt. Über 20 Jugendliche sind an der Theatergruppe beteiligt, sieben gehören zum festen Team. Vor ein paar Monaten waren sie zu einer von der GIZ organisierten Tour durch Deutschland eingeladen – das war wirklich etwas Besonderes.

 

Inwieweit kann eine Jugend-Theatergruppe das Leben in El Alto positiv beeinflussen?

In spielerischer Form lernen die Kinder, wie gut Kooperation mit anderen funktioniert, und dadurch steigt ihr Selbstbewusstsein. Oft arbeitet die Theatergruppe mit überlieferten Erzählungen der Aymará, dadurch lernen die Kinder mehr über die Kultur und das Wissen ihrer Vorfahren. Die Alten sind wandelnde Bibliotheken, im CCC Chasqui erfahren wir viel von ihnen. Die Kinder lernen, dass wir nicht Sklaven der Technologie sein müssen, sondern zur Pachamama gehören, zu unserer Mutter Erde. 80 Prozent der Menschen in diesem Armenviertel sprechen Aymará; das ist ihr kultureller Hintergrund. Sowohl in der Theatergruppe wie auch im Kulturzentrum generell wollen wir die Werte des „Vivir bien“ an die Menschen vermitteln.

 

Was ist unter „Vivir bien“ zu verstehen?

Im Prinzip ist dies die andine Weltsicht, die eine Grundlage der Regierung Morales darstellt. „Vivir bien“ – Gutes Leben – bedeutet in etwa friedvolles Zusammenleben in Vielfalt und Harmonie mit der Natur. Es geht um den Respekt vor unserer Mutter Erde und vor allen Lebewesen. Konkret bedeutet das zum Bespiel, dass man nicht die Natur vermüllt oder die Erde verseucht. Ein weiteres Prinzip ist das kollektive Leben. Es zählt nicht so sehr das Individuum oder das „ich, ich, ich“, sondern es geht darum, alles zu teilen: Wenn du etwas brauchst, gebe ich es dir, ohne Bedingungen daran zu knüpfen. Ein anderes Mal, wenn ich etwas nötig habe, bekomme ich es von dir oder anderen. Gegenseitigkeit ist wesentlich – aber auch Diversität ist wichtig. Wir sind nicht alle gleich. So wie es in den Anden viele verschiedene Sorten von Kartoffeln gibt, so sind auch die Menschen unterschiedlich. Wir beziehen zum Beispiel auch Menschen mit Behinderungen ein, wir wollen die Menschen nicht homogen machen. In Bolivien leben 36 verschiedene Völker. Sie haben zum Teil unterschiedliche Religionen, die jedoch vor dem Gesetz gleich behandelt werden. Hier im Kulturzentrum Centro de Comunicación Cultural Chasquí legen wir großen Wert auf das Praktizieren der Aymara-Traditionen.

 

Gibt es auch Probleme?

Ja, wenn wir vorankommen wollen, müssen wir die Regierung unterstützen. Außerdem kommen Menschen aus der Nachbarschaft mit ihren Problemen zu uns. Manchmal fungiere ich als Mediator bei Familien, die sich streiten.

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Wir versuchen, Kinder rücksichtsvoll auszubilden, damit sie Liebe und Respekt für ihre Mitmenschen lernen. Was wir hier im CCC Chasqui leben, möchte ich auf die ganze Stadt El Alto ausdehnen. Das ist mein Traum.

 

Jorge Cruz Quispe ist Leiter und Mitgründer des Centro de Comunicación Cultural Chasquí. Das Zentrum hat zusammen mit EIRENE im Kontext des deutschen Zivilen Friedensdienstes, den die Bundesregierung über ENGAGEMENT GLOBAL unterstützt, ein Handbuch zur Methodologie der Friedenskultur veröffentlicht.
https://cccchasqui.wordpress.com/

 

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