Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Zwischenbilanz

Wo wir stehen

Bei vielen Millenniumszielen sind Fortschritte zu verzeichnen, doch besteht die Gefahr der Erosion. Genderfragen verdienen mehr Aufmerksamkeit.

[ Von Agnes Abuom ]

Als die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) im September 2000 verabschiedet wurden, setzten die UN die Armutsbekämpfung ganz oben auf die Tagesordnung. Das war ein historischer Moment – schon zuvor hatten die UN zwar verschiedene Ziele verkündet und Entwicklungszeiträume festgelegt, aber solche Versprechen waren schnell wieder vergessen. Mit den MDGs ist das anders. Die lebhafte internationale Debatte um sie hält an – und hat in den vergangenen zehn Jahren eher noch zugenommen.

Der jüngste UN-Gipfel in New York zum Thema hat gezeigt, dass der Erfolg ungleich verteilt ist. Es bestehen weiterhin ernste Probleme und berechtigte Zweifel, dass alle Ziele in der ursprünglich angestrebten Zeit zwischen 1990 und 2015 erreicht werden.
– Asien und Nordafrika scheinen auf einem guten Weg zu sein, das MDG 1 zu erreichen: die Halbierung der Armut bis 2015. In Subsahara-Afrika dagegen geht es nur langsam voran. Die globale Finanzkrise hat die Wirtschaft in vielen Teilen der Welt gebremst. Noch frustrierender ist das vielerorts steigende Risiko der Nahrungsmittelknappheit.
– Bezüglich MDG 2, der allgemeinen Grundschulbildung, hat sich verschiedenen Studien zufolge enorm viel getan. In vielen Ländern ist die Entwicklung positiv. In Afrika südlich der Sahara besuchen mittlerweile 71 Prozent der Kinder die Grundschule.
– Für MDG 3, die Geschlechtergleichheit, zeigen UNDP-Berichte Fortschritte in Südasien. Nord- und Subsahara-Afrika hinken hinterher. Der Schulbesuch scheint zwar immer weniger vom Geschlecht abzuhängen, aber der formale Arbeitsmarkt be­schäftigt mehr Männer als Frauen. Im informellen Sektor ist es umgekehrt. Auch in Parlamenten und Staatsapparaten dominieren Männer.
– MDG 4 ist die Bekämpfung der Kindersterblichkeit. Der Erfolg südlich der Sahara bleibt bescheiden.
– Noch schlimmer steht es um MDG 5, die Senkung der Müttersterblichkeit. Im südlichen Afrika und Südasien konnte sie kaum reduziert werden; weiterhin sterben Frauen an vermeidbaren und behandelbaren Krankheiten und Komplikationen. Viele nutzen noch immer keine Verhütungsmittel, unter anderem aus Unwissenheit und aus kulturellen Gründen. Die Welt muss Familienplanung besser fördern.
– MDG 6 ist die Eindämmung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose. Die HIV/Aids-Pandemie wurde stabilisiert, und die Ansteckungsraten gehen zurück, selbst im am stärksten betroffenen südlichen Afrika. Auch
leben Infizierte dank besserer Behandlung tendenziell länger. Es gibt aber geschlechtsspezifische Probleme. Wegen sexualisierter Gewalt sind Frauen in Konfliktgebieten besonders von HIV/Aids betroffen. Zudem zeigen WHO-Statistiken, dass zu viele junge Leute nicht wissen, wie sie sich schützen können. In Osteuropa und Zentralasien steigt die Aids-Rate beunruhigend. Die Bekämpfung der Tuberkulose kommt voran, aber bei Malaria sieht es schlechter aus. Offensichtlich sind Moskitonetze für viele arme Menschen noch immer zu teuer.
– Ökologische Nachhaltigkeit ist MDG 7. Angestrebt wird eine Umkehr bei der Abholzung von Wäldern und die Halbierung des Anteils der Menschheit ohne Zugang zu Wasser- und Sanitärversorgung. In forstreichen Ländern wie Brasilien, Indonesien oder der Demokratischen Republik Kongo werden weiterhin Wälder vernichtet. Südlich der Sahara hat die Abholzung meist vor langer Zeit stattgefunden. Der Klimawandel – ein Phänomen, für das die reiche Welt verantwortlich ist – macht die Menschen in Ent­wick­­lungsländern noch verletzlicher. Sie haben nur begrenzte Möglichkeiten zur Anpassung. Was sauberes Wasser und Sanitäranlagen betrifft, verläuft die Urbanisierung in Afrika zu schnell, um alle betroffenen Menschen adäquat zu versorgen. Zweifellos muss sich die Menschheit ernsthaft auf die Rio-Deklaration rückbesinnen.
– MDG 8 ist die internationale Zusammenarbeit für eine entwicklungsförderliche Welt. Aus afrikanischer Perspektive ist dies das frustrierendste Thema. Zwar hat sich die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) im letzten Jahrzehnt auf rund 100 Milliarden Dollar verdoppelt, aber dem Centre for Global Development zufolge besteht ein Großteil dieses Zuwachses aus Schuldenerlass und humanitärer Hilfe. Die am wenigsten entwickelten Länder erhalten nur rund ein Drittel der ODA. Nur eine Handvoll Länder erfüllen das jahrzehntealte Versprechen der reichen Nationen, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftleistung für ODA aufzuwenden. Real gesehen, ist die ODA zurück­gegangen, und die Millenniumsziele sind unterfinanziert. Die UN benötigen nach eigenen Angaben 120 Milliarden Dollar – nur 1,3 Milliarden wurden zugesichert.

Leider drohen die Erfolge aus den ersten Jahren der Millenniumsziele zu erodieren. Die Auswirkungen der globalen Finanzkrise und – wichtiger noch – der Nahrungsmittelknappheit werden sich erst noch in vollem Maße zeigen. Immer mehr ODA-Gelder werden für Katastrophen verwendet, es herrscht Mangel an langfristigen Investitionen. Der weitgehend ungebremste Klimawandel wird die Dinge nur verschlimmern.

Die UN-Millenniumserklärung war eine Anerkennung der Tatsache, dass wir nur eine Erde haben. Es ist zwingend nötig, die Armut zu bekämpfen, damit die Menschheitsfamilie in Frieden koexistieren kann. Die Industrienationen und die Reichen allgemein haben die Pflicht, die Kluft zwischen Reich und Arm zu verringern. Die Welt hat die Ressourcen für die Umsetzung der Millenniumsziele, aber sie sind nur durch ernsthaftes Engagement und gerechte Umverteilung zu erreichen. Und politisches Engagement lässt sich am besten an der Finanzierung messen.

In den vergangenen Jahrzehnten leitete das Paradigma des freien Marktes die Entwicklungspolitik. Dieses Paradigma muss überdacht werden. Die globale Finanzkrise hat gezeigt, dass der Markt es nicht immer richtet. Zudem sind die asiatischen Länder, die am schnellsten voranschreiten – China vor allem –, für­ ­ihre graduelle Liberalisierung und für massive staatliche Interventionen in die Wirtschaft bekannt.

Zugleich müssen sich zivilgesellschaftliche Organisationen mehr in die Debatte um die Millenniumsziele einbringen. Ihr Engagement ist nötig, um soziale Gerechtigkeit durchzusetzen. Auch spielen sie eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Korruption. Die Millenniumsagenda ist gut – aber ihre Ziele sind nicht zu erreichen, wenn Politiker weltweit ihr Handeln nicht auf sie ausrichten.