ODA
An der Schwelle
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzte 2014, dass bis 2030 28 Staaten mit einer Gesamtbevölkerung von rund 2 Milliarden Menschen von der Liste der Länder verschwinden, die Mittel der staatlichen Entwicklungshilfe (Official Development Assistance – ODA) erhalten. Darunter fallen Länder wie China, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Malaysia, Thailand und die Türkei.
Basis der OECD-Prognose sind Projektionen über die Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens, die davon ausgehen, dass diese Staaten bis 2030 zu Ländern mit hohem Einkommen (High Income Countries – HICs) werden. In den vergangenen 40 Jahren sind schon über 50 Staaten von der Liste der ODA-Empfänger gestrichen worden, darunter Süd-Korea und Singapur.
Ein Land verliert die ODA-Berechtigung, wenn es drei Jahre hintereinander die Obergrenze für das obere mittlere Einkommen (Upper Middle Income) überschreitet. Diese Obergrenze liegt derzeit laut OECD bei einem Pro-Kopf-Einkommen (BIP pro Kopf) von 12 235 US-Dollar. Da die OECD diese Liste nur alle drei Jahre überarbeitet, kann es bis zu sechs Jahre dauern, bis ein Land seine ODA-Fähigkeit verliert.
Selbst wenn sich die Prognosen nicht in jedem Fall bewahrheiten – die Tendenz ist eindeutig. 2018 sind bereits Länder wie Chile und Uruguay von der Liste der ODA-berechtigten Länder gestrichen worden. Dem endgültigen Verlust der ODA-Fähigkeit geht zudem meistens eine starke Kürzung der Mittel voraus. Wenn sich die Mittel auf eine immer geringere Anzahl von Ländern konzentrieren, verliert ODA an Reichweite und Relevanz, unter anderem bei der SDG-Finanzierung.
Finanzierung von globaler nachhaltiger Entwicklung
Dabei haben Schwellenländer wie China, Brasilien und Mexiko eine große Bedeutung beim Erhalt globaler öffentlicher Güter (Umwelt- und Klimaschutz) und bei der Umsetzung globaler UN-Agenden wie der Agenda 2030 und dem Pariser Klimaabkommen. Die Agenda 2030, die sich durch universelle Gültigkeit – für Industrieländer genauso wie für Entwicklungs- und Schwellenländer – auszeichnet, kann nur durch eine globale Partnerschaft aller Länder erfolgreich umgesetzt werden.
Der bevorstehende ODA-Verlust (Graduierung) vieler Schwellenländer gefährdet die Weiterführung der internationalen Kooperation zur Umsetzung der Agenda 2030. Zwar sollten laut UN-Beschlüssen zur SDG-Finanzierung auch andere staatliche und nichtstaatliche, internationale und eigene Mittel mobilisiert werden. ODA-Mittel spielen aber eine wichtige „katalytische“ Rolle bei der Umsetzung von globalen Entwicklungszielen.
Sowohl Gebern als auch betroffenen Partnerländern fehlen Konzepte, wie ODA-Mittel in der SDG-Finanzierung ersetzt werden könnten, wie eine internationale Zusammenarbeit „beyond ODA“ aussehen und mit welchen Mitteln sie finanziert werden könnte. Sie stehen vor der Herausforderung, gemeinsam Strategien für den Übergang von einer auf Transferlogik beruhenden Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zu einer internationalen Zusammenarbeit (IZ) zu entwickeln, die auf gegenseitigem Nutzen basiert.
Immerhin hat die OECD 2017 beschlossen, sich künftig stärker mit dem Thema ODA-Graduierung und ihren Auswirkungen zu beschäftigen. Denn es ist unwahrscheinlich, dass die ODA neu definiert wird und sich nicht mehr nur am durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen orientiert, sondern zum Beispiel große soziale Ungleichheit oder Herausforderungen des Umwelt- und Klimaschutzes berücksichtigt. Insgesamt steht die Diskussion über die Finanzierung von globaler nachhaltiger Entwicklung „beyond ODA“ international noch ziemlich am Anfang.
Umgang mit der ODA-Graduierung
Das Overseas Development Institute (ODI) analysiert mit Unterstützung der GIZ, wie Geber- und vor allem Partnerländer mit den Herausforderungen der ODA-Graduierung und dem Übergang von der EZ zur IZ umgehen sollen. Im Zentrum stehen dabei vier Länderstudien: ein Land, das die Transition erfolgreich abgeschlossen hat (Südkorea), ein Land, das sich aktuell den Herausforderungen der ODA-Graduierung stellen muss (Chile), und zwei Länder, denen der Verlust der ODA-Fähigkeit bis 2030 bevorsteht (Mexiko und ein noch zu bestimmendes afrikanisches Land).
Wichtige Themen dieser Studien sind sowohl der Übergang von der EZ zur IZ als auch die Gestaltung der zukünftigen IZ. Wie kann ein erfolgreiches Management der Übergangsphase aussehen, und wie kann die zukünftige IZ „beyond ODA“ an die Erfahrungen und Partnerbeziehungen der EZ anknüpfen? Bisher gibt es kaum gute Beispiele für ein erfolgreiches Management dieser Herausforderungen. Bei der Beendigung der Zusammenarbeit mit Malaysia beispielsweise gab es zwar vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) organisierte Diskussionen, wie in Malaysia an das Erbe der EZ angeknüpft werden könnte, doch diese Diskussionen kamen zu spät, um ein tragfähiges Konzept zu entwickeln.
In einer Studie von Ende 2017 schlagen die chilenische Entwicklungsagentur Agencia de Cooperación Internacional de Chile (AGCI) und das United Nations Development Programme (UNDP) unter anderem einen Graduierungsfonds vor, der neu graduierten Ländern Mittel etwa für die Umsetzung der Agenda 2030 bereitstellen soll. Ein solcher Fonds könnte dazu beitragen, den Übergang von der EZ zur IZ abzufedern.
In Bezug auf den Umgang der Bundesregierung mit der bevorstehenden ODA-Graduierung vieler Schwellenländer ist zunächst zu prüfen, ob das BMZ in der Zusammenarbeit mit graduierten Ländern noch eine Rolle spielen kann (z. B. über Regional-, Global- und Sektorvorhaben oder Formate wie die Dreieckskooperation). Außerdem müsste geklärt werden, welche Ressourcen und Mittel für eine solche Zusammenarbeit von anderen Bundesressorts im Zuge ihrer zunehmenden internationalen Aufstellung bereitgestellt werden können.
Ein Hindernis dafür ist, dass momentan Ressorts wie das Bundesumweltministerium und das Auswärtige Amt noch bestrebt sind, einen hohen Anteil ihrer Mittel für internationale Kooperation ODA-anrechenbar zu verausgaben. Dies würde für die zukünftige Kooperation mit graduierten Schwellenländern – etwa bei der Umsetzung der SDGs – große Probleme aufwerfen. Hier tut ein Umdenken not. Die Bundesregierung muss ihre Politik überdenken und zukünftig mehr Mittel jenseits von ODA bereitstellen. Die Etablierung einer neuen international anerkannten Messgröße für die SDG-Finanzierung könnte dieses Umdenken unterstützen (siehe Kasten).
Der Ausbau der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung erfordert außerdem eine Verbesserung der Politikkohärenz im Sinne eines „whole of government approach“, wie er zum Beispiel schon in den ressortübergreifenden Regierungskonsultationen mit China unter Leitung der Bundeskanzlerin zum Ausdruck kommt.
Michael Krempin war bis Januar 2019 als Senior Policy Berater für die GIZ tätig und arbeitet jetzt als Gutachter.
gebhardt.krempin@t-online.de