Rohstoffe
Schmutziges Eisen
Von Sheila Mysorekar
Nicht nur die „Konfliktrohstoffe“ wie Diamanten oder Coltan werden unter Missachtung der Menschenrechte gefördert, auch die Produktionsbedingungen anderer Rohstoffe – zum Beispiel Eisen, Kupfer oder Stahl – sind häufig problematisch. Deutsche Unternehmen verbrauchen große Mengen von Metallen; gerade die Automobilindustrie ist als Rohstoffabnehmer von zentraler Bedeutung. Die Frage ist, ob den Firmen bekannt ist, unter welchen Bedingungen die Rohstoffe für ihre Autos gewonnen werden, und wenn ja, wie sie darauf reagieren.
Vom Erzklumpen zum Cabrio
Eine Studie von Brot für die Welt, Misereor und dem Global Policy Forum Europe vom September konfrontiert die deutschen Automobilhersteller mit ihrer Verantwortung für die Arbeitsbedingungen, unter welchen die Rohstoffe produziert und Autoteile zugeliefert werden. Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden sind bedauerlicherweise eine Normalität in diesem Geschäft, wie die Autoren Uwe Kerkow, Jens Martens und Axel Müller ausführen. Sie verfolgen den Weg des Rohstoffs bis zum fertigen Auto mit Fallbeispielen aus Rohstoff liefernden Ländern wie Sambia, Brasilien oder Indien.
Ein Auto besteht zu über 60 Prozent aus Stahl und Eisen. Also schauen sich die Autoren sehr pragmatisch an, wo und wie Eisen und Stahl produziert werden – welche Firmen den Eisenerzbau dominieren, unter welchen Bedingungen Eisenerz abgebaut und wie es zu Stahl verarbeitet wird. Ein häufiges Problem: Der große Flächenverbrauch von Eisenerzminen führt in vielen Ländern zu Landnahme, Zwangsumsiedlung und Vertreibung. Die Studie illustriert dies unter anderem am Beispiel Indien (siehe auch Aufsatz von Aditi Roy Ghatak in E+Z/D+C 2012/06, S. 234 ff.).
Auch Kupfer ist ein Metall, das unabdingbar in der Autoproduktion ist. Die Studie erläutert, dass sein Abbau den Einsatz von Chemikalien erfordert, was in vielen Förderregionen zur Vergiftung des Trinkwassers führt, so etwa in Peru. Ein weiterer wichtiger Bestandteil von Autos ist Aluminium, das aus Bauxit hergestellt wird. Für den Bauxittagebau werden Tropenwälder abgeholzt und giftige Produktionsrückstände in Kauf genommen, die bei der betroffenen Bevölkerung zu schweren Gesundheitsproblemen führen. Als Beispiel dient den zivilgesellschaftlichen Organisationen Brasilien.
Die Autoren fassen zusammen: „Zahlreiche Fallbeispiele belegen, dass es bei der für den Automobilbau essenziellen Eisenerz-, Bauxit- und Kupferförderung sowie der Stahl- und Aluminiumherstellung immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommt.“ Daraus ergibt sich die Frage nach der Verantwortung der Automobilunternehmen für die Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihrer Produktionskette.
Die Studie nimmt als Beispiel drei große Automobilhersteller mit Hauptsitz in Deutschland: Volkswagen, Daimler und BMW. Die von ihnen produzierten10,3 Millionen Fahrzeugeinheiten jährlich enthalten den Angaben zufolge mindestens 11 Millionen Tonnen Rohstoffe. Analysiert werden Produktionsstruktur und Lieferketten, Anforderungen an Lieferanten und die Bedingungen, unter denen Metallhandel stattfindet. Die Autoren betrachten die Nachhaltigkeitsberichte von BMW, Daimler und Volkswagen, aber auch von Zulieferern wie ThyssenKrupp und überprüfen ihre Glaubwürdigkeit. Zumindest auf dem Papier erkennen die Firmen an, dass sich die Verantwortung für die sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Folgen ihres Wirtschaftens nicht auf die eigene Firma und ihr direktes Umfeld beschränken lässt.
Aus Sicht der zivilgesellschaftlichen Kritiker haben die unternehmenseigenen Nachhaltigkeitsstrategien entlang der gesamten Lieferkette jedoch oft mehr mit Sorgen um drohende Beschaffungslücken zu tun als mit Verantwortung gegenüber den Menschen in den Rohstoff liefernden Ländern. Die Studie von Brot für die Welt, Misereor und Global Policy Forum kommt zu dem Ergebnis, eine systematische Überprüfung der Einhaltung sozialer, menschenrechtlicher und ökologischer Mindeststandards durch die Zulieferer finde nicht statt.
Industrieperspektive
Die Autoindustrie sieht das anders. Die Konzernzentrale von BMW teilte auf Anfrage von E+Z/D+C hin mit, grundsätzlich sei die Einhaltung von Menschenrechten ein Unternehmensanliegen und die BMW Group fordere ihre Lieferanten auf, einschlägig gesetzliche Vorgaben strikt einzuhalten. Seit 2008 müssten Lieferanten auch „Selbstauskunft über ihren Status hinsichtlich relevanter Nachhaltigkeitsanforderungen“ erteilen. Der Fragenkatolog gelte seit 2010 explizit auch für Kleinbetriebe und Dienstleister. Rückmeldungen auf aktuelle Anfragen hätten bestätigt, dass „keine Konfliktmaterialien aus kritischen Regionen in Produkten unserer Zulieferer – und damit auch in Produkten der BMW Group – vorhanden sind“.
Ähnlich äußerte sich auch Daimler. Die unternehmenseigene „Richtlinie zur Nachhaltigkeit für Lieferanten“ stelle weltweit hohe Anforderungen und sei Bestandteil der Verträge mit direkten Zulieferern: „Wir erwarten von unseren Lieferanten, dass die Inhalte der Richtlinie an die eigenen Lieferanten weitergegeben werden, diese entsprechend verpflichtet und die Einhaltung der Nachhaltigkeitsbestimmungen in der Lieferkette geprüft werden.“ Einen Herkunftsnachweis über die komplette Lieferkette hinweg zu führen sei aber „aufgrund der hohen Komplexität der Produkte und Lieferbeziehungen nicht leistbar“.
Die zivilgesellschaftlichen Kritiker wollen sich damit nicht begnügen. Sie fordern Transparenz über die gesamte Produktionskette vom Erz bis zum Auto. Wie die aktuelle Studie ausführt, haben weder bisherige staatliche Regulierungsmaßnahmen noch die freiwilligen Aktivitäten von Unternehmen im Rahmen der Corporate Social Responsibility bestehende Missstände behoben. Die Autoren fordern die Bundesregierung auf, Kooperation mit den Rohstoffländern an die Einhaltung der Menschenrechte sowie Umwelt- und Sozialstandards zu knüpfen.
Sheila Mysorekar