„Wir können etwas verändern“

BRAC ist eine große Entwicklungsinitiative aus Bangladesch mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Förderung und Organisation von Armen. Seit letztem Jahr arbeitet BRAC auch in Afrika. Weltweite Armutsbekämpfung bedarf angemessener institutioneller Mechanismen, sagt BRAC-Gründer Fazle Hasan Abed. Dank eines lebendigen NRO-Sektors und einer boomenden Textilindustrie gilt Bangladesch inzwischen nicht mehr als „international hoffnungsloser Fall“. Im Gegenteil: Viele sehen in dem Land heute ein Beispiel für soziale Innovationen und passende Lösungen im Kampf gegen die Armut.

[ Interview mit Fazle Hasan Abed ]

Was macht BRAC in Afrika?

Wir arbeiten seit letztem Sommer in Uganda und Tansania und seit Januar in Südsudan. In Uganda betreiben wir derzeit 25 Mikrofinanzstellen und 200 Gemeinde-Lernzentren, die an den BRAC-Schulen in Bangladesch und ihrer modernen Pädagogik orientiert sind. In diesen Zentren erhalten Kinder aus Lagern für intern Vertriebene in zwei von Konflikten betroffenen Distrikten Nordugandas eine Grundschulbildung. In Tansania betreiben wir 35 Mikrofinanzeinrichtungen, die auch zu medizinischer Grundversorgung beitragen und landwirtschaftlich Unterstützung leisten. In Südsudan haben die ersten Mikrofinanzstellen die Arbeit aufgenommen.

Warum engagiert BRAC sich in Afrika?

Die Erklärung zu den Millenniumszielen hat uns Auftrieb gegeben. Andererseits waren wir frustriert, dass es kaum Fortschritte in der weltweiten Armutsbekämpfung gab – obwohl es funktionierende Lösungen gibt. Zu oft bleiben Maßnahmen in der Pilotphase stecken und werden nicht ausgebaut. Selten wagt jemand den nächsten Schritt – angemessene institutionelle Mechanismen zu schaffen und den Armen Instrumente und Chancen zu geben, mit denen sie sich selbst aus ihrer Not befreien können. Die Qualität von nichtstaatlichen Organisationen ist zu oft mangelhaft, besonders in Bezug auf Managementfähigkeiten, die zur Ausweitung der eigenen Arbeit benötigt werden.

BRAC ist da anders?

Die Geschichte von BRAC in Bangladesch ist durch Innovationen und durch ein auf Expansion angelegtes Management gekennzeichnet. In nahezu 40 Jahren haben wir gelernt, partizipative und nachhaltige Mechanismen zu schaffen mit dem Ziel, die Armen zu organisieren und ihnen eine wachsende Palette an sozialen Diensten anzubieten. Unsere Organisationskultur verhindert Selbstgefälligkeit. Wir konzentrieren uns auf Problemlösungen und helfen den Armen, sich ihren Bedürfnissen zuzuwenden. Beispielsweise haben wir als erste moderne pädagogische Ansätze in der Grundschulbildung ausprobiert und uns vor allem um die Förderung von Mädchen gekümmert. Die Regierung will inzwischen mit uns zusammen ihre eigenen Schulen verbessern.

Was genau ist die Stärke von BRAC ?

Der Kern unseres Ansatzes ist, die Armen zu organisieren und auf dieser Basis Unterstützung zu leisten. Ein guter Ausgangspunkt dafür, besonders für die Organisation von Frauen, sind Kleinkreditgruppen. Von dort gehen wir weiter zu beruflicher Bildung, Gesundheitsleistungen, Grundschulbildung und so weiter. Das Grundprinzip ist, einen Dienst freiwilliger Helfer aufzubauen, der sich den vielen Schwierigkeiten von Armen zuwendet – einschließlich Menschenrechtsverletzungen und anderen Rechtsangelegenheiten. Die Attraktivität unseres Ansatzes liegt in der Schaffung von selbständigen und sich selbst tragenden Hilfsstrukturen.

Bitte geben Sie ein Beispiel – vielleicht aus dem Bereich Gesundheit.

Health Volunteers – kurz HVs – stehen im Mittelpunkt unserer Gesundheitsprogramme. Sie sind in der Regel Mitglieder von Mikrofinanzgruppen und werden von BRAC in medizinischer Grundversorgung weitergebildet. Die Freiwilligen kümmern sich um eine bestimmte Anzahl Haushalte, informieren und beraten sie und verkaufen nichtverschreibungspflichtige Medikamente für einfache Erkrankungen. Dadurch und durch die Überweisung von ernsthaft Erkrankten an andere Gesundheitseinrichtungen schaffen sie sich ein bescheidenes Einkommen. Gleichzeitig führen sie eine Reihe von Untersuchungen durch und stellen sicher, dass Impfprogramme der Regierung verwirklicht werden. Wir haben auch ein Modell entwickelt, dass den Freiwilligen die Registrierung und Kontrolle von Tuberkulose in den Dörfern erleichtert – beispielsweise indem sie darauf achten, ob Leute permanent husten. Nicht zuletzt dank unseres innovativen Ansatzes werden heute fast 70 Prozent der TB-Fälle in Bangladesch erkannt und davon 90 Prozent geheilt.

Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit in Afrika von der in Ihrer Heimat?

Die Grundelemente unseres Modells sind fast überall anwendbar: Wir organisieren die Menschen, bauen Kapazitäten auf und erarbeiten Lösungen von unten. Das funktioniert auch in Afrika. Es gibt aber spezifische Unterschiede von Land zu Land. In Bangladesch beispielsweise hat eine typische Mikrofinanzstelle einen Radius von fünf Kilometern und erreicht 5000 Kunden. Das ist die Kundenzahl, mit der eine Filiale in Bangladesch nachhaltig wirtschaften kann. In Afrika jedoch ist die Bevölkerungsdichte geringer. Unsere Filialen erreichen weniger Menschen und müssen daher mit geringeren Kosten arbeiten, um nachhaltig zu sein. Ein anderer Unterschied ist die hohe Nachfrage in Afrika nach saisonalen Einkommensquellen. Dafür mussten wir kurzfristige Kreditprodukte entwickeln.

Wie wirkt sich der ungewohnte institutionelle Rahmen in afrikanischen Ländern aus?

Das ist eine weitere große Herausforderung. In den Ländern, in denen wir arbeiten, gibt es kaum größere NROs. In Tansania und Uganda finanzieren Geber Armutsbekämpfungsmaßnahmen, und die Budgethilfe fließt über die Regierungsbürokratie. Für uns war es sehr schwer, Zugang zu bekommen – auch weil wir in beiden Ländern Neulinge waren. Außerdem ist das Umfeld für Mikrofinanzierungen anders als in Bangladesch. Es gelten andere Regeln, und kommerzielle Banken haben keine ausgedehnten Zweigstellennetze. Das macht es schwieriger für uns, ländliche Gebiete zu erschließen. Die größte Herausforderung ist jedoch, dass Geber und politische Entscheidungsträger selten vertraut mit unserem Ansatz zur Armutsbekämpfung sind. Sektorspezifisches Denken und fragmentierte Projekte sind vorherrschend. Ansätze für eine integrierte, auf Synergien setzende Entwicklung werden entweder nicht verstanden oder – schlimmer noch – misstrauisch beäugt. Das ist nicht überraschend, wenn man an die Vielzahl angeblich integrierter NRO-Programme denkt, die schlecht gemanagt wurden, Ressourcen vergeudeten, Märkte verzerrten und letztlich der armen Bevölkerung schadeten. Unser Ansatz dreht sich jedoch darum, Märkte aufzubauen und den Armen durch die richtigen Anreize Zugang zu ihnen zu verschaffen. Wir können wirklich etwas verändern.

Inwiefern sind religiöse oder andere Traditionen ein Hindernis für die Förderung von Frauen?

In Afrika mussten wir uns mit solchen Problemen nicht beschäftigen. Die Frauen sind kulturell mobil und ökonomisch aktiv. In Bangladesch war die Herausforderung weitaus größer. Unser Ansatz ist, durch schrittweise Veränderungen solchen Widerstand zu überwinden. Wir haben stets dazu gestanden, Frauen als Zielgruppe für unser Mikrofinanzprogramm anzusprechen. Aber in den Anfangsjahren war der Widerstand gegen die Organisation von Frauen beträchtlich.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Unterschiedlich. Beispielsweise indem wir öffentliche Sitzungen der Mikrofinanzgruppen abgehalten, die wirtschaftliche Lage der Haushalte erläutert oder Plattformen auf Dorfebene eingerichtet haben. Kurz: Wir haben uns nicht auf die Frauen als Individuen konzentriert und sie dadurch von ihrer sozialen Umwelt isoliert, sondern immer auf die Förderung von Haushalten und Dorfgemeinschaften abgestellt. Wir haben auch festgestellt, dass es effektiv ist, trotz Widerstand mit der Arbeit weiterzumachen. In einigen Fällen wurden BRAC-Schulen niedergebrannt – aber wir haben in der Nähe bald neue Schulen eröffnet und weitergearbeitet.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.