Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Flucht

Letzter Ausweg

Viele Afrikaner fliehen nach Europa, um der unsicheren Lage in ihren Heimatländern zu entkommen, und riskieren dabei ihr Leben. Aus Sicht von Ousmane Diarra, Präsident der Assoziation der abgeschobenen Malis (AME), trägt die Wirtschafts- und Entwicklungspolitik der EU auf fatale Weise dazu bei.
Flüchtlingskonvoi aus Mali in Mauretanien im Jahr 2013. picture-alliance/abaca Flüchtlingskonvoi aus Mali in Mauretanien im Jahr 2013.

Diarra wurde 1996 selbst aus Angola abgeschoben. Er organisiert in Mali Leute, die aus Europa und anderen afrikanischen Staaten abgeschoben wurden. Welche dramatischen Auswirkungen die Ausweisung aus einem fremden Land für Migranten hat, erlebt er tagtäglich im Kontakt mit den Betroffenen. Oft haben die ganze Familie oder Dorfmitglieder Geld für die Flucht nach Europa gesammelt. Die Flüchtlinge stehen daher unter enormem Druck, eine Arbeit zu finden, um die Schulden zurückzuzahlen. Werden sie allerdings abgeschoben, kehren sie verzweifelt und teilweise traumatisiert in ihre Heimat zurück.

Ousmane Diarra berichtet von Rückkehrern, die von ihren Familien verstoßen oder ihren Ehefrauen verlassen wurden, da sie den Angehörigen keinen Wohlstand bescherten. Die Abschiebungen entzweien manchmal ganze Familien, wenn zum Beispiel die vermeintlich schlechte Erziehung des heimgekehrten Mitglieds für dessen Misserfolg verantwortlich gemacht wird.

Flucht und Migration prägen zur Zeit die Medienberichterstattung, doch es sind keine neuen Themen. Seit vielen Jahren beeinflusst die EU-Politik das Schicksal geflüchteter Menschen. So löste zum Beispiel das 2002 in Kraft getretene Cotonou-Abkommen eine große Abschiebewelle aus Europa aus, wie Diarra berichtet.

Das Handelsabkommen zwischen der EU und den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten), bei denen es sich überwiegend um ehemalige Kolonien der EU-Mitgliedstaaten handelt, enthält eine Klausel zur sogenannten Rückübernahme. Sie verpflichtete die AKP-Staaten ihre eigenen Staatsangehörigen und Ausländer, die auf der Durchreise ihr Land durchquert hatten, zurückzunehmen, wenn sie festgenommen wurden, weil sie sich illegal auf dem Territorium eines anderen Staats befanden. Diarra berichtet, das habe zu massenhaften Abschiebungen von Westafrikanern ohne Papiere vor allem aus Frankreich und Spanien geführt.

Um den Abgeschobenen die Heimkehr zu erleichtern, eröffnete die EU 2008 in Malis Hauptstadt Bamako das Zentrum für Information und Management von Migration (CIGEM). Viele Flüchtlingsorganisationen kritisieren das Projekt jedoch scharf. Sie finden, CIGEM diene dazu, Migrationsströme zu kontrollieren und möglichst zu verhindern. Diarra fragt: „Wer sagt uns denn, ob CIGEM nicht eigentlich dazu da ist, um Migrationswillige nach Europa zu melden und der EU-Grenzschutzbehörde Frontex zuzuarbeiten?“ Vor kurzem hat der malische Staat das Zentrum übernommen, das bisher mit rund 10 Millionen Euro aus dem EU-Fonds für Entwicklung finanziert wurde. In Niger sei ein ähnliches Zentrum geplant, sagt Diarra.

Die Lage in Mali ist seit dem Krieg im Frühjahr 2012, als sich das malische Militär, Tuareg-Milizen und islamistische Gruppen bekämpften, immer noch nicht stabil. Probleme bereitet dort auch „land grabbing“. Wegen der Biosprit-Förderung der EU entstehen große Monokulturen auf Agrarland, das bislang von Nomaden und Kleinbauern genutzt wurden. Westliche Agrarinvestoren tragen zu diesem Trend bei. Ähnliche Entwicklungen gibt es in vielen Ländern und Experten warnen, weltweit könnten bis zu 100 Millionen schutzlose Menschen in den nächsten Jahren deshalb aus ihrer Heimat vertrieben werden.

Einige zivilgesellschaftliche Akteure fordern, einzelne Unternehmen deswegen öffentlich anzuprangern. Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international, hält solche Denunziationskampagnen für nicht zielführend. „Die Profiteure sind oftmals bekannt.“ Nötig sei eine solidarische, nichtimperialistische Lebensweise, die das Gemeinwohl fördert und nicht auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet sei, sagte Gebauer bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt. Destruktive Wirtschaftsweisen, wie sie unter anderem die EU-Politik fördert, müssten weltweit gestoppt werden.

Auch für Ousmane Diarra kann es nur globale Lösungen geben: „Wir müssen alle zusammen Lösungen finden.“

Jana Jagalski