Ökonomie
Unternehmen aus dem informellen Sektor holen
Die informelle Wirtschaft hat in westlichen Industrieländern wie Deutschland keinen guten Ruf. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sie jenseits von Steuern und sozialen Sicherungssystemen stattfindet. Viele Kritiker setzen das gleich mit einer Schattenwirtschaft, die auf illegale Weise Steuern und Sozialabgaben umgeht. Umgekehrt sehen viele informell Beschäftigte gerade Regierungsinstitutionen und staatliche Strukturen skeptisch.
In den meisten Ländern mit geringen Einkommen sind staatliche Strukturen eher jung, außerdem gehen sie oft auf autoritäre Kolonialherrschaft zurück. Sie wirken deshalb auf viele künstlich – im Gegensatz zu gewachsenen soziokulturellen Gepflogenheiten und Normen. Tatsächlich macht der informelle Sektor laut Weltbank in den aufstrebenden Märkten und Entwicklungsländern etwa ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus – und stellt etwa 70 Prozent der Beschäftigten, von denen sehr viele selbstständig arbeiten (Weltbank 2021).
Intuitiv leuchtet es ein, dass sich die informelle Beschäftigung antizyklisch zur formellen verhält: Schwächelt die formelle Wirtschaft, verlieren Menschen ihre Arbeit. Daraufhin wenden sie sich dem informellen Sektor zu. Im wirtschaftlichen Aufschwung wechseln hingegen viele aus dem informellen in den formellen Sektor.
Allerdings ist der Zusammenhang vielschichtiger. So kann es vorkommen, dass der informelle Sektor in einem Wirtschaftsaufschwung zusätzliche Wachstumsimpulse gibt. Das ist von Land zu Land unterschiedlich und hängt beispielsweise damit zusammen, wie flexibel formal geregelte Märkte sind, oder wie groß der Bedarf an informellen Arbeitskräften ist. Die mit der Covid-Pandemie verbundenen wirtschaftlichen Flauten haben laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) jedenfalls informelle Unternehmen und Beschäftigte besonders hart getroffen.
Ausbeutung und magerer Lohn
Viele Beschäftigte im informellen Sektor leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen. Teils werden sie sogar ausgebeutet oder leben in sklavenähnlichen Zuständen (zum Problem der sozialen Absicherung siehe Markus Loewe auf www.dandc.eu). Die Lücke zwischen den Löhnen im formellen und im informellen Sektor ist beträchtlich. Ein wichtiger Grund für den Lohnunterschied ist, dass formelle Unternehmen bis zu zweimal so produktiv sind wie informelle. Das wiederum liegt maßgeblich an einem höheren Bildungsstand, sowohl bei Beschäftigten als auch auf Führungsebene.
Subsahara-Afrika ist weltweit die Region, in der die informelle Wirtschaft den höchsten Anteil an der Wirtschaftsleistung hat – etwa 34 Prozent. (IMF 2020) (zum informellen Sektor in Benin siehe Karim Okanla auf www.dandc.eu). Selbst wer einer formellen Beschäftigung nachgeht, ist oft zugleich in informelle Aktivitäten involviert – sei es direkt oder über die Familie. Auch in Lateinamerika und Südasien macht die informelle Wirtschaft einen erheblichen Teil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. In allen genannten Regionen ging der informelle Sektor in den vergangenen Jahrzehnten zurück.
Südlich der Sahara besteht die informelle Wirtschaft vor allem aus Kleinst-, Klein- und mittelgroßen Unternehmen (KKMU). Die meisten Beschäftigten haben keinen Arbeitsvertrag, geschweige denn eine Stellenbeschreibung. Viele werden nicht rechtzeitig oder nicht regelmäßig bezahlt. Welche Aufgaben sie haben, hängt vor allem davon ab, in welcher Beziehung sie zu den Unternehmerinnen und Unternehmern stehen. Oft sind das Verwandte.
Unternehmen oft erfolglos
Manche dieser informellen Unternehmen sind zwar erfolgreich – aber die meisten überleben nicht lange. Das statistisch zu erfassen, ist naturgemäß schwer. Überhaupt ist das Fehlen aussagekräftiger Daten und Statistiken ein Wesensmerkmal der informellen Wirtschaft. Dennoch lässt sich sagen, dass die meisten KKMU in Subsahara-Afrika keine fünf Jahre überdauern.
Vielen Regierungen in Afrika ist daran gelegen, informelle Unternehmen in den formellen Sektor zu überführen. Sie möchten beispielsweise:
- diese Firmen effizienter unterstützen, um Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen,
- von Steuereinnahmen profitieren und
- die Produktion ökologischer und sozialer gestalten.
Dafür arbeiten die Regierungen mit Geberinstitutionen zusammen. Gemeinsam unterstützen sie die Unternehmen mit Kapitalzuschüssen, Krediten und Fortbildungsmaßnahmen. Dabei verlangen etwa die KfW Entwicklungsbank und die Europäische Investitionsbank immer häufiger von den Finanzinstitutionen, mit denen sie zusammenarbeiten, dass diese ein Managementsystem für ökologische und soziale Risiken einrichten, beziehungsweise dass ein Teil der Unterstützungsmittel für die Einrichtung dieser Managementsysteme verwendet wird.
Die Fortbildungsmaßnahmen sprechen diverse Gebiete des Managements an, zum Beispiel Unternehmens- und Investitionsplanung, Finanz- und Personalmanagement sowie Marketing und Vertrieb. Solche Kompetenzen tragen zum Wachstum der Unternehmen bei. Wo sie dagegen fehlen, treten Firmen oft auf der Stelle.
Diese Kompetenzen sind auch gefordert, um Kredite zu erhalten. Denn anerkannte Finanzinstitutionen vergeben häufig nur dann Kredite an Unternehmen, wenn diese ihrerseits über ihre Finanzen berichten können. Die Finanzinstitutionen selbst müssen, wenn sie gegenüber einer Aufsichtsbehörde Rechenschaft ablegen, ihre Gläubiger formell angeben können.
Bessere Fortbildungen nötig
Eine Literaturauswertung zur Wirksamkeit solcher Trainings legt allerdings nahe, dass diese nicht viel bringen (McKenzie und Woodruff, 2014). Das liegt etwa daran, dass die Teilnehmenden zu unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. De facto erschöpft sich dann das Bestreben nach mehr Formalisierung leider oft darin, ein Zertifikat zur Registrierung auszustellen. Manchen Finanzinstitutionen scheint es zudem ganz Recht zu sein, wenn sie Unternehmen unter dem Vorwand der fehlenden Formalisierung Kredite verweigern können. Sie investieren oft lieber risikolos in Staatsanleihen.
Je größer die informelle Wirtschaft, desto geringer sind die Steuerquoten, also der Anteil der Steuereinnahmen am BIP. Um dagegen anzugehen, haben viele afrikanische Länder ihre Steuergesetze reformiert. Es fehlt aber an Anreizen, gerechte Besteuerung wirklich umzusetzen – unter anderem, weil es den Regierungen leichter fällt, Geberfinanzierung zu bekommen, als Steuern einzutreiben.
Bei aller Kritik spielen Geberorganisationen aber häufig auch eine positive Rolle, wenn es darum geht, Unternehmen passende Kredite zu ermöglichen. Beispielsweise schaffen sie für Finanzinstitutionen Anreize, sodass diese auch bewegliche Vermögenswerte als Sicherheiten akzeptieren. Zum anderen helfen sie Finanzinstitutionen dabei, ihr Angebot an Kreditprodukten zu erweitern. Oft handelt es sich dabei um Finanzierungsprodukte, die sich in anderen Märkten bewährt haben, um den KKMU die jeweils benötigten Kredite zur Verfügung zu stellen. Teils drängen sie allerdings auch Finanzinstitutionen zur Kreditvergabe, obwohl diese dazu nicht bereit sind, unter anderem aus den oben genannten Gründen.
Um das Verhältnis von informeller und formeller Wirtschaft positiv zu gestalten, braucht es unterm Strich eine solide makroökonomische Politik, die insbesondere Anreize für den Privatsektor schafft, um zu investieren – insbesondere in Kapitalgüter, in die Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie eben in Formalisierung. Geberorganisationen sollten ihre Rolle in diesem Gefüge immer wieder aufs Neue reflektieren und gegebenenfalls anpassen.
Quellen
IMF, 2020: What is the informal economy?
https://www.imf.org/Publications/fandd/issues/2020/12/what-is-the-informal-economy-basics
Weltbank, 2021: The long shadow of informality – challenges and policies. (hg. v. Ohnsorge, F. und Yu, S.), Washington, DC.
https://www.worldbank.org/en/research/publication/informal-economy
McKenzie, D., Woodruff, C., 2014: What are we learning from Business Training and entrepreneurship evaluations around the developing world? The World Bank Research Observer, Jahrgang 29, Nr. 1.
Oliver Schmidt ist Senior Project Manager und Berater in der Abteilung für Finanzsektorentwicklung bei Agriculture and Finance Consultants (AFC) mit Sitz in Bonn. AFC gehört zur GOPA-Gruppe für Projektmanagement und Beratung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.
oliver.schmidt@afci.de