Nahrung und biologische Vielfalt
„Großstädte hängen vom Weltmarkt ab“
[ Interview mit Rafaël Schneider ]
Was treibt die Nahrungsmittelpreise international in die Höhe?
Die Gründe sind vielfältig. Zum einen bedeutet der hohe Ölpreis, dass sich Investitionen in Biokraftstoffe immer mehr lohnen. Das wiederum veranlasst die Hersteller, Getreide in großem Stil aufzukaufen. Hinzu kommt der Klimawandel, der einerseits das Interesse an Biotreibstoffen verstärkt, andererseits aber in Australien oder Osteuropa auch schon Getreideernten verringert hat. Hinzu kommen Marktspekulationen. Nachwachsende Rohstoffe sind begehrt, weil angesichts der weltweiten Finanz- und Bankenkrise Investoren sichere Anlagemöglichkeiten suchen. Das Zusammenspiel dieser Faktoren hat den rasanten Preisanstieg bewirkt.
Welche Rolle spielen denn Ernährungsgewohnheiten?
Der Fleischkonsum steigt weltweit, auch die Deutschen haben 2007 drei Prozent mehr Fleisch verbraucht als 2006. Und mit steigendem Wohlstand etwa in China nimmt dort auch der Fleischkonsum zu – und damit die Nachfrage nach Futtergetreide. Pro Kilo Rindfleisch sind das sieben Kilo Getreidefutter. Auch das trägt zu Verknappung bei, gibt aber für die aktuelle Entwicklung nicht den Ausschlag.
Weltbank und IWF fordern mehr Geld für die Nahrungsmittelhilfe, die USA haben daraufhin umgerechnet 126 Millionen Euro Soforthilfe versprochen, Deutschland stockt entsprechende Mittel auf 36 Millionen Euro auf. Treibt das die Inflation nicht erst recht an? Das Angebot an Getreide wird ja nicht größer.
Die Mittel, die jetzt bereitgestellt werden, dienen dazu, unmittelbar Not zu lindern. Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Effekt wird relativ schnell verpuffen. Nötig wären Investitionen in eine nachhaltige Landwirtschaft, die dann so viel Lebensmittel produziert, dass sie die Menschheit zu angemessenen Preisen versorgt.
An was für Investitionen denken Sie?
Zunächst muss überhaupt wieder mehr öffentliche Entwicklungshilfe für die Landwirtschaft bereitgestellt werden. Derzeit liegt der Anteil weltweit unter vier Prozent. Wichtig ist eine effizientere Landwirtschaft etwa durch Bewässerungssysteme. Daneben spielen vor allem Investitionen in die ländliche Infrastruktur eine große Rolle: Straßen sind notwendig, um Marktstrukturen zu etablieren. Viele Menschen, die Nahrungsmittel anbauen, können ihre Überschüsse gar nicht verkaufen, weil ihre Ware auf dem zeitraubenden Weg zum nächsten Markt verderben würde. Also fehlt diese Ware auf den Märkten. Wichtig ist aber auch mehr Forschung in der Landwirtschaft, um angepasste Methoden zu testen und die Erträge zu steigern.
Worin unterscheidet sich angepasste Landwirtschaft von Hochertragslandwirtschaft?
Die meisten Bauern der Welt wenden traditionelle Anbaumethoden an. Heute ist das vielfach weder nachhaltig noch ertragreich. In Afrika wird vorwiegend noch von Hand gepflügt, ohne auch nur einen Ochsen einzuspannen. Angepasste Landwirtschaft bezeichnet Anbaumethoden, die zu den gegebenen Umweltbedingungen an einem bestimmten Ort und der dort lebenden Bevölkerung passen. Dazu können auch Hochertragssorten gehören. Die reine Hochertragslandwirtschaft hingegen setzt in der Regel auf Monokulturen und einige wenige Anbausorten.
Hochertragssorten beruhen immer auf den sogenannten Landsorten, die sich im Laufe der Jahrhunderte durch natürliche Mutation und Züchtung herausgebildet haben. Kann man die Erträge nach Effizienzkriterien maximieren, ohne die ökologischen Grundlagen dieser Landwirtschaft zu verlieren?
Die erste Grüne Revolution hat gezeigt, dass Hochertragssorten, die in Monokultur angebaut und intensiv gedüngt werden, auch schwere Schäden anrichten können. Denn Böden werden dabei so degradiert, dass letztlich auch die Erträge wieder sinken. Aber daraus wurde gelernt. Und es gibt viele Regionen in Entwicklungsländern, in denen mit Bewässerung, besseren Anbaumethoden und angepassten Sorten höhere Erträge möglich wären. Das müsste aber weiter erforscht werden.
Die aktuellen Forderungen des Weltagrarrates, mehr Lebensmittel auf umweltschonendere Weise zu produzieren, weisen also in die richtige Richtung?
Ja. Denn es gibt keine Alternative zu umweltschonender Landwirtschaft. Und die Potenziale einer nachhaltigen Landwirtschaft sind noch lange nicht ausgeschöpft. Deshalb sollten sie auch in der Landwirtschaftsförderung wie auch in der Agrarforschung im Mittelpunkt stehen.
Welche Rolle spielen Kleinbauern für den Weltmarkt?
Im internationalen Handel ist der Beitrag von Kleinbauern recht gering. Sie produzieren in erster Linie für sich selbst und dann vielleicht noch etwas Überschuss für die lokalen Märkte. Ausnahmen sind nur einige Hochpreisprodukte wie etwa Kaffee, Tee oder Blumen.
Und für den Erhalt der Artenvielfalt?
Auch Kleinbauern brauchen immer mehr Land. Viele dringen in Gebiete vor, in denen Arten unter Schutz stehen. Das aber ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass gerade Kleinbauern ein sehr vielfältiges Saatgut haben, das oft hervorragend an die Lebensräume angepasst ist. Deshalb sind sie die Bewahrer von vielen, teileweise einmaligen Anbausorten.
Inwieweit tragen Kleinbauern zur Versorgung von riesigen Ballungsräumen wie etwa Manila oder Kairo bei?
Je weiter sie von den großen Städten weg leben, desto geringer wird der Warenfluss. Die aktuelle Krise zeigt, wie sehr die Großstädte vom Weltmarkt abhängen. Wenn dort die Preise steigen, weil billige und subventionierte Produkte aus den Industrienationen nicht mehr dorthin geliefert werden, eskaliert die Lage. Viele Ballungsräume werden nicht vom eigenen Hinterland versorgt.
Spüren ländliche Gebiete die hohen Lebensmittelpreise ähnlich stark wie die Städte?
In ländlichen Gebieten ist die Importabhängigkeit sicher nicht so stark. Oft reichen dort die eigenen Ernten aber auch nicht aus. Daher wird die Teuerung auf dem Land zu spüren sein – allerdings zeitlich versetzt und nicht so kollektiv. Deshalb berichten die Medien kaum darüber.
Welcher Anteil von Grundnahrungsmitteln wird überhaupt auf dem Weltmarkt gehandelt?
Das ist sehr unterschiedlich. Bei Reis zum Beispiel wird nur ein sehr geringer Anteil von vielleicht sieben Prozent international gehandelt – der Löwenanteil wird in den Erzeugerländern verkauft und konsumiert. Bei Weizen und Mais ist das aber ganz anders. Vor allem, weil aus diesen Getreide Biokraftstoff hergestellt wird, wird ein großer Anteil der Produktion auch global gehandelt. Allerdings gibt es auch Substitutionseffekte. Wenn also die Nachfrage nach Mais sehr hoch ist, greifen Käufer auf ähnliche Getreidearten zurück. Dadurch verteuern sich diese dann auch.
Das deutsche Entwicklungsministerium spricht sich seit einiger Zeit gegen den Anbau von Biokraftstoffen aus, aber die EU hält an dieser Politik grundsätzlich fest.
In der Entwicklungspolitik besteht Einigkeit darüber, dass der übermäßige Anbau von Energiepflanzen vor allem in armen Ländern eine Konkurrenz für die Produktion von Nahrungsmitteln darstellt. Deshalb ist die Absicht der EU problematisch, den Anteil von Biosprit an den in Europa verwendeten Treibstoffen bis 2020 auf zehn Prozent zu steigern. Sie trägt so dazu bei, einen stabilen Markt für Kraftstoffe aus Biomasse zu etablieren. Deshalb wird der finanzkräftige Norden nun immer mehr in die Biotreibstofflandwirtschaft in Entwicklungsländern investieren, was wiederum zu Nahrungsmittelengpässen führt. Solche Trends belegen die Dominanz der Industrieländer im Weltgeschehen.
Die Fragen stellten Hans Dembowski und Claudia Isabel Rittel.