CO2-Schattenbepreisung
Allzu zögerlich
Die Forderung nach einem globalen CO2-Preis, die bereits vor dem Weltgipfel in Rio 1992 erhoben wurde, hat im Zusammenhang mit dem Klimaabkommen von Paris neuen Schwung erhalten. Erreicht werden soll er durch eine Steuer auf Kohlendioxid oder durch ein weltweites Emissionshandelssystem. Dahinter steht die unrealistische Idee eines global einheitlichen Handelsraums – der weder existiert noch notwendig ist. Genauso wenig gibt es einen weltweit gültigen Energiepreis.
Die Vorstellung, ein globaler Energiepreis – und die darauf erhobenen CO2-Bepreisung – bestimme die Welt der Energieumsätze, ist auch noch aus einem zweiten Grund höchstens halb wahr. Er liegt in der Unterscheidung von Marktpreis, der für die alltäglichen Geschäfte gilt, und Schattenpreis, der für die Planung langfristiger Infrastrukturen für Energienutzung relevant ist.
In der Regel bestimmen mehrere Faktoren die Produktion von Gütern. Der Einsatz von Energieträgern ist nur einer davon. Diese Faktoren sind vor allem hinsichtlich ihrer Lebensdauer und ihres Planungshorizontes – also ihrer eigenen Konzipierung – extrem unterschiedlich. Für eine Urlaubsfahrt mit dem Auto braucht man zum Beispiel dreierlei:
- Treibstoff (die Lebensdauer bemisst sich in Stunden oder Tagen);
- ein Auto mit seinem spezifischen Energiebedarf (Lebensdauer etwa zehn Jahre) sowie
- ein Fernstraßennetz, das durch seine Auslegung – zum Beispiel von Kurvenradien – und über erlaubte Höchstgeschwindigkeiten Einfluss auf den Energieverbrauch von Fahrzeugen hat (Lebensdauer etwa 100 Jahre).
Ziel der Initiativen zur CO2-Bepreisung muss sein, die Entscheidungen zur Nutzung beziehungsweise Auslegung aller drei sich ergänzenden Produktionsfaktoren so zu beeinflussen, dass jeweils – und zwar ausnahmslos – mit einem ökonomisch angemessenen Preis für CO2 kalkuliert wird.
Dass ein CO2-Preisaufschlag die Kosten des Treibstoffverbrauchs erhöht, ist zweifelsfrei. Dass er aber in die Auslegung energetischer Eigenschaften von Autos eingehe oder dafür sogar leitend sei, ist reine Utopie. Die Realität beweist das Gegenteil. Automodelle sind energieeffizienter geworden – aber auch größer, sodass sie mehr Sprit brauchen.
Der dritte Faktor, die Entscheidung für zusätzliche Fernstraßen sowie deren Gestaltung, wird in Deutschland im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans entschieden – und dort wird bereits seit langem mit CO2-Schattenpreisen gerechnet: gegenwärtig mit 145 Euro pro Tonne für 2030, die als Schadenskosten definiert sind.
Gängige Praxis von Entwicklungsbanken
Bei der Planung von Infrastrukturprojekten in Entwicklungsländern ist die Verwendung von Schattenpreisen gängige Praxis. Sie ist Teil der Planungsmaximen internationaler Entwicklungsbanken (International Development Banks – IDBs). Vorgeschlagene Projekte müssen wirtschaftlich sein, das heißt, der Ertrag hat die Kosten zu amortisieren. „Wirtschaftlich“ ist allerdings ein ambivalenter Begriff. Bei Projektprüfungen wird zwischen „Economic Analysis“, auf Deutsch etwa „volkswirtschaftliche Analyse“, und „Financial Analysis“ („betriebswirtschaftliche Analyse“) unterschieden. Üblicherweise werden beide durchgeführt.
Entwicklungsbanken vergeben ihre Mittel in der Regel an einen Staat oder von ihm beherrschte Unternehmen. Der Staat hat die Aufgabe, das wirtschaftliche Optimum zum Wohle seiner Bevölkerung zu erreichen – das fordern jedenfalls die externen Geldgeber. Folglich muss der Staat seine Entscheidungen über Projekte am Ergebnis der „Economic Analysis“ ausrichten. Im Rahmen der ergänzenden „Financial Analysis“ ist lediglich sicherzustellen, dass das staatliche Unternehmen durch den Zwang zur „Wohltätigkeit“ nicht zahlungsunfähig wird.
Diese Unterscheidung in den Regularien der IDBs wurde aus einem trivialen Grund eingeführt: In Staaten mit reguliertem Wechselkurs und in Ländern mit reguliertem Arbeitsmarkt existieren Schwarzmärkte für Devisen beziehungsweise Arbeitsleistungen. Die dort herrschenden Preise spiegeln die wahre Knappheit weit besser wider als die administrierten Preise auf den offiziellen Märkten. Letztere sind keine wirklichen Märkte mehr, das heißt, sie sind ihrer Funktion, Angebot und Nachfrage zum Ausgleich zu bringen, beraubt worden.
Wenn man akzeptiert, dass die Märkte aufgrund von staatlichen Interventionen die wirklichen Knappheitsverhältnisse verzerren, dann ist man umstandslos bei den genannten Verzerrungen auf dem Arbeits- beziehungsweise Devisenmarkt. Das Ende dieser schiefen Ebene ist erst erreicht, wenn alle externen Effekte durch Schattenpreise integriert sind. Diesen Weg haben die IDBs schon vor Jahrzehnten eingeschlagen.
Selbstverpflichtung der Weltbank
Die Weltbank hat sich auf dem „One Planet Summit“ am 12. Dezember 2017 in Paris verpflichtet, künftig bei der Wirtschaftlichkeitsanalyse in allen Projekten mit hohen Emissionen einen Schattenpreis für CO2und andere Treibhausgase anzuwenden. Damit trägt sie zur Dekarbonisierung bei.
Weiter gehende Informationen zu dem bereits begonnenen Prozess stellt die Weltbankgruppe nicht zur Verfügung. Es gibt aber einen im November 2017 in Kraft getretenen Leitfaden für die Anwendung von Treibhausgas-Schattenpreisen in der „Economic Analysis“. In ihrem Zentrum steht eine Kurve von Werten, in Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent, die von der Gegenwart bis zum Jahr 2050 reicht. Diese berücksichtigt zwei Varianten: eine mit niedrigen und eine mit hohen Preisen. Die Spanne der preisbereinigten Werte für 2050 reicht von 80 bis 160 Dollar pro Tonne. Renommierte Klimaökonomen halten hingegen aktuell einen Preis von 400 Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent im Jahr 2050 für notwendig (s. Rockström et al., 2017).
Diese Werte sind gemäß dem Leitfaden in den Bewertungen aller Projekte anzuwenden, die zur Treibhausgasberechnung verpflichtet sind. Das betrifft insbesondere Projekte im Energiebereich und hier vor allem Projekte, wo Erneuerbare im Wettbewerb mit fossilen Brennstoffen stehen.
Bemerkenswert ist, dass die Weltbank lediglich den „sozialen Wert“ von Treibhausgasen heranzieht, nicht die „sozialen Kosten“. Der Leitfaden hält ausdrücklich fest, dass der Zweck der Schattenpreise sei, externe Effekte von Treibhausgasen in der Projektbewertung zu berücksichtigen. Dessen ungeachtet stellt er auf den „sozialen Wert“ ab, der nicht den Zweck hat, Schäden des Klimawandels in der Bewertung zu Schattenpreisen abzubilden. Vielmehr orientiere sich der so bestimmte Schattenpreis am Minderungsziel der jeweiligen Klimapolitik. Seine Höhe entspreche den – niedrigen – Schätzungen der High-Level Commission on Carbon Prices unter der Leitung der renommierten Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz und Nicholas Stern.
Damit erhebt der Leitfaden den Anspruch, die relevanten Vermeidungskosten zu repräsentieren für den (Normal-)Fall, dass Staaten zwar Minderungsziele für Treibhausgase gesetzt, aber keine politischen Maßnahmen implementiert haben, um diese auch wirklich zu erreichen. Um dieses politische Defizit in der Marktregulierung auszugleichen, werde das System von Schattenpreisen eingesetzt.
Der „soziale Wert“ von Treibhausgasen hat also nicht die Funktion, externe Effekte beziehungsweise unberücksichtigte Schadenskosten zu internalisieren, sondern etwas weitaus Geringeres: Er bildet lediglich die Vermeidungskosten ab, die ein Staat trotz Beitritts zum Pariser Klimavertrag und Abgabe seiner national festgelegten Beiträge (Nationally Determined Contributions – NDCs) versäumt hat zu implementieren.
Hans-Jochen Luhmann ist Emeritus am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
jochen.luhmann@wupperinst.org
Quellen
Erklärung der Weltbank zum One Planet Summit:
http://www.worldbank.org/en/news/press-release/2017/12/12/world-bank-group-announcements-at-one-planet-summit
Weltbank-Leitfaden für die Anwendung von Treibhausgas-Schattenpreisen:
http://documents.worldbank.org/curated/en/621721519940107694/Guidance-note-on-shadow-price-of-carbon-in-economic-analysis
Rockström, J., Gaffney, O., Rogelj, J., Meinshausen, M., Nakicenovic, N., Schellnhuber, H. J., 2017: A roadmap for rapid decarbonization. Science. 355 (6331): 1269-1271. DOI: 10.1126/science.aah3443