Sexualerziehung
Unverzichtbare Lektionen
Es ist nicht unbedingt die Absicht der Erwachsenen, dass junge Leute zu wenig über Sexualität wissen. Oft stehen soziokulturelle Tabus im Weg. Viele Eltern, Lehrer und Politiker fühlen sich unwohl mit dem Thema. Eine Umbenennung in „Familien-Lifestyle-Erziehung” oder „Familienplanungs-Information” hilft wenig.
Dennoch ist das für Sexualerziehung aufgewendete Geld gut investiert, denn es greift dreifach: Richtig informiert zu sein hilft den Jugendlichen heute, nutzt ihnen, wenn sie erwachsen sind, und kommt wahrscheinlich auch der Gesundheit ihrer Kinder zugute.
Jugendliche durchleben komplexe körperliche, biologische und emotionale Veränderungen. Die Pubertät wirkt sich auf Körper, Geist und Verhalten aus. Die Tabuisierung von Sexualität verhindert jedoch eine offene und hilfreiche Beratung. Meist übernehmen weder Eltern noch Lehrer die Verantwortung dafür, die Jugendlichen aufzuklären – religiöse Führer und andere Autoritätspersonen genauso wenig.
Daher sind Jugendliche oft schlecht informiert. Sie sind auf das angewiesen, was sie von Gleichaltrigen hören, und das, was die Medien ihnen bieten – im Zeitalter des Internets ist das oft reine Pornographie. Junge Menschen inmitten körperlicher und geistiger Veränderungen brauchen mehr als Gerüchte und Phantasien. Leider sind auch Fernsehsendungen oft schlecht und unangemessen und viele Webseiten fürchterlich. Oft werden den Jugendlichen verdrehte Rollenvorbilder und destruktive Narrative präsentiert, mit fatalen Folgen wie:
- unverantwortlichem Sexualverhalten inklusive Vergewaltigung und Missbrauch,
- früher Heirat,
- ungewollten Schwangerschaften,
- Abtreibungen (oft unsicher und illegal durchgeführt) und
- Infektionen wie HIV/Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten.
Eine gute Sexualerziehung sollte Jugendliche über Gesundheitsrisiken, Verhütung und emotionale Aspekte von Intimität aufklären. Mädchen müssen noch besser informiert werden als Jungen: Sie sind es, die schwanger werden können und für ihre sexuelle Aktivität stigmatisiert werden. Sie haben auch ein höheres Risiko, Gewalterfahrungen zu machen oder sich mit Geschlechtskrankheiten anzustecken.
Laut UNICEF werden rund 15 Millionen der 15- bis 19-jährigen Mädchen zu Sex gezwungen. Vielen wird nie gesagt, was einvernehmlicher Geschlechtsverkehr bedeutet. Dieses Wissen würde aber ihr Selbstbewusstsein stärken. Solange den Mädchen nicht klar ist, dass sexuelle Übergriffe gegen ihren Willen inakzeptabel sind und nicht ihre Schuld, empfinden sie Scham.
Indien ist technologisch sehr fortschrittlich – hinsichtlich der Schulen nicht. Versuche, im passenden Alter Sexualerziehung anzubieten, wurden abgetan, weil das Kultur und Werte des Landes verletzen würde. Wie überall argumentieren konservative Führer, Sexualerziehung bringe Jugendliche überhaupt erst auf den Gedanken, sexuell aktiv zu werden.
Ironischerweise werden in vielen Ländern junge Menschen früher sexuell aktiv als ihre Eltern – wobei viele gar nicht begreifen, was sie eigentlich tun und welche Folgen das haben kann. Es gibt zu denken, dass laut UNICEF die Hälfte der HIV-infizierten 15- bis 19-Jährigen aus sechs Ländern kommen: Südafrika, Nigeria, Kenia, Indien, Mosambik und Tansania.
Natürlich ist Sexualkunde auch in reichen Ländern ein kontroverses Thema. In den USA, wo religiöse Konservative sich jahrzehntelang gegen Sexualaufklärung aufgelehnt haben, gibt es sehr viele Teenager-Schwangerschaften. Der New York Times zufolge ist die Rate um 41 Prozent gesunken, nachdem Präsident Barack Obama ein umfassendes Programm zur Sexualaufklärung eingeführt hatte. Da Präsident Donald Trump das nicht fortsetzt, werden die Zahlen vermutlich wieder steigen.
Gesundheit für alle ist eines der Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs), die die UN bis 2030 erreichen wollen. Ohne kompetente Sexualaufklärung wird das nichts.
Aditi Roy Ghatak ist Wirtschaftsjournalistin in Kalkutta.
aroyghatak1956@gmail.com