Soziale Sicherung
Wege aus der Altersarmut
[ Von Matthias Meißner ]
Es ist sechs Uhr morgens und Rücken, Knie und Handgelenke schmerzen noch von der harten Arbeit am Vortag. Im Bett zu bleiben kommt ihr jedoch nicht in den Sinn: Muhindo steht auf, schaut nach ihrem Mann und bereitet Essen für die sechs Kinder vor. Dann macht sie sich auf zu der kleinen Farm, wo sie Bananen, Ananas und Kaffee anbaut. Sie muss sich recken, um an die Früchte zu kommen und sogar auf Bäume klettern. Ihr Gesicht ist dabei schmerzverzerrt. Aber es hilft nichts: Die Früchte sind die Haupteinnahmequelle für ihre Familie.
Die Geschichte spielt in Uganda. Sie erscheint alltäglich. Was ist das Besondere daran? Nun, Muhindo ist 64 Jahre alt. Sie hat sieben Kinder zur Welt gebracht, von denen vier an Malaria und AIDS gestorben sind. Nun kümmert sie sich nicht nur um ihren gebrechlichen Ehemann sondern auch noch um ihre sechs Enkelkinder.
So wie Muhindo leben viele ältere Menschen in Entwicklungsländern. Weltweit mehr als die Hälfte der Älteren – über 340 Millionen – haben kein sicheres Einkommen. Trotz schwindender Kräfte und altersbedingter Krankheiten oder anderer Einschränkungen müssen sie oft selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. So sind in den ärmsten Ländern der Welt – trotz geringerer Lebenserwartung – mehr als zwei Drittel der über 60-jährigen Männer und über ein Drittel der Frauen jenseits des 60. Lebensjahres noch erwerbstätig. Fast immer sind sie auf schlecht bezahlte, wenig attraktive Jobs im informellen Sektor angewiesen. Dennoch versorgen sie ihre Kinder und Enkel mit.
Zerfallende Familienstrukturen
Eine soziale Krankenversicherung oder Alterssicherung ist in Entwicklungsländern die Ausnahme. Oft existieren derartige Sicherungssysteme nur für den formellen Sektor und erfassen weniger als zehn Prozent der Beschäftigten – Regierungsbeschäftigte, Armeeangehörige und Personen im Bankensektor.
Der große informelle Sektor bleibt unversichert. Rund 80 Prozent der Menschen weltweit haben keinen Zugang zu sozialer Sicherung. Zugleich zerfallen familiäre Strukturen infolge von Migration und HIV/Aids. Aus diesen Gründen sind besonders ältere Menschen von Armut bedroht. Zu den Ärmsten der Älteren gehören Frauen und ältere Menschen, die mit Kindern in einem Haushalt zusammenleben.
Existenzgefährdende Altersarmut kann vermieden werden durch:
– Reform und Ausbau bestehender Pensions- und Rentensysteme,
– Absicherung von im informellen Sektor Beschäftigten,
– staatliche Grundrenten (Sozialrenten), solange die beiden ersten Punkte nicht verwirklicht sind oder (noch) nicht zur Existenzsicherung ausreichen.
Studien internationaler Akteure der Entwicklungszusammenarbeit wie etwa Help Age International, aber auch praktische Beispiele aus vielen Ländern belegen: Sozialrenten in Entwicklungsländern sind machbar und vor allem finanzierbar. Um extreme Armut im Alter zu verhindern, reichen oft Aufwendungen von unter einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus – wie etwa in Botswana, Namibia und Bolivien.
Mittel- und langfristig ist es besonders aufwendig, die im informellen Sektor Beschäftigten zu versichern. Hier spielen alternative Ansätze im Rahmen von Mikroversicherungen sowie genossenschaftliche und gemeindebasierte Ansätze eine große Rolle.
Zusammenhalt eines Landes stabilisieren
Die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Diskussion neu entfacht. OECD, Vereinte Nationen und die Gremien von G8 und G20 heben soziale Sicherung als bedeutend für die Armutsbekämpfung hervor, weil sie den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt eines Landes stabilisiere. Auch das Sektorkonzept Soziale Sicherung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) betont den Beitrag sozialer Sicherung zur Armutsbekämpfung, breitenwirksamem wirtschaftlichem Wachstum und zur Verwirklichung von Menschenrechten.
Nun sind alle Akteure gefragt, diesen Auftrieb zu nutzen. Eine Lehre aus der Krise ist nämlich auch, dass mit wirtschaftlicher Entwicklung nicht automatisch ein Ausbau der sozialen Sicherungssysteme einhergeht. Diesen muss vielmehr jedes Land aktiv fördern und unterstützen.
Der Aufbau und die Umgestaltung von Alterssicherungssystemen in Entwicklungsländern bietet vielfältige Chancen für die technische und finanzielle Zusammenarbeit, wie das Beispiel Indonesien zeigt.
Dort leben fast 20 Prozent der rund 230 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung arbeiten im informellen Sektor und sind unzureichend sozial abgesichert. Die GTZ hilft beim Aufbau einer öffentlichen Alterssicherung, indem sie folgende Ansätze fördert und unterstützt:
– die Gründung des interministeriellen Nationalen Sozialen Sicherungsrates,
– den Austausch mit anderen ASEAN-Ländern,
– Trainingsmaßnahmen in allen relevanten Ministerien und Institutionen, um die Kapazitäten vor Ort zu stärken.
Zudem berät sie die örtlichen Akteure bei der Förderung des politischen Prozesses.
Recht auf ein menschenwürdiges Leben
Eine große Herausforderung liegt darin, die Entwicklungsländer auf „ihrem“ Weg zu unterstützen. Soziale Sicherung kann nicht einfach kopiert und übertragen werden. Nachhaltig ausgestaltet ist sie nur dann, wenn sie sich an der ökonomischen, gesellschaftlichen und sozialen Situation des jeweiligen Landes ausrichtet. Zudem muss sie den individuellen historischen und rechtlichen Kontext einbeziehen.
In Entwicklungsländern altert die Gesellschaft schneller als in entwickelten Ländern. So bleibt dort weniger Zeit, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen. Die gesellschaftliche Dimension ist immens und entsprechend sind die Konsequenzen für die Entwicklungszusammenarbeit.
Armutsbekämpfung wird das oberste Ziel der Entwicklungspolitik bleiben. Die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen wirken sich auf nahezu alle Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit aus. Es geht um Regierungsführung und Zugang zu öffentlichen Gebäuden, Dienstleistungen, einschließlich solcher im Gesundheitssektor, und zu Wasser. Es geht auch um adäquaten Wohnraum, angemessene soziale Sicherung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Letztendlich geht es um die Anerkennung des Rechtes auf ein menschenwürdiges Leben, welches jeder Mensch – egal welchen Alters – hat.