Afghanistan

Kontraproduktiver Einsatz

Der zivile Aufbau in Afghanistan sei in der Vergangenheit zu stark dem mi­li­tärischen Engagement untergeordnet wor­den, meint der Verband Eu­ro­pä­i­scher Nichtregierungsorganisationen (VENRO). Deshalb fordert er einen Stra­tegiewechsel zu einem verstär­k­ten, von den Afghanen selbst­b­e­stimmten, zivilen Aufbau.

Der Kampf gegen den Terror hat in Afghanistan die Staatenbildung unterminiert, meint Martine van Bijlert, die den EU-Sonderbeauftragten für Afghanistan, Ettore Francesco Sequi, berät. Denn der Bau von Schulen, Krankenstationen, das Räumen von Minen und die Förderung landwirtschaftlicher Alternativen zum Drogenanbau – alle diese Projekte seien nach und nach der Aufstandsbekämpfung untergeordnet worden. Doch dadurch werden diese Projekte zur Zielscheibe der Aufständischen. Die Folge: Die Bevölkerung meidet aus Angst vor Anschlägen Krankenhäuser, Rechtsberatungsstellen und Schulen und nimmt die dort angebotene Hilfe nicht mehr an. Ihre Hoffnung auf eine bessere Lage schwindet derweil zunehmend.

Zudem stelle die unklare Abgrenzung zwischen dem humanitären und dem politischen Mandat die Unabhängigkeit der Hilfsorganisationen in Frage und gefährde ihre Sicherheit, meint der stellvertretende Venro-Vorstandsvorsitzende Jürgen Lieser. Das Konzept der „vernetzten Sicherheit“ sei unbedingt zu überdenken, fordern die Organisationen in einem gemeinsamen Positionspapier. Einige Venro-Mitglieder, darunter Medica Mondiale und die Welthungerhilfe, haben ihre Arbeit in Afghanistan bereits an die verschärften Bedingungen angepasst, um das Leben der Ratsuchenden und ihrer Mitarbeiter nicht zu gefährden.

Die Afghanen selbst sehen vor allem Armut und Arbeitslosigkeit als ihre derzeit dringendsten Probleme, so ein aktueller Bericht von Oxfam. Aber auch mangelnde Rechtsstaatlichkeit und ineffiziente staatliche Strukturen seien im Gespräch mit Afghanen sehr wichtige Themen, berichtet Thomas Gebauer von Medico International auf einer Venro-Konferenz Ende November. Die Auseinandersetzung mit den Aufständischen und die Anwesenheit der ausländischen Truppen hingegen stehe hinter diesen Problemen zurück.

Als Hauptursache für die geringe Wirksamkeit der Entwicklungshilfe sieht Venro die schlechte Koordination der Geber, die Missachtung kultureller Gegebenheiten und fehlende Kapazitäten des afghanischen Staates. „Wir hatten keine Strategie für Afghanistan“, sagt Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden. Hintergrund für das deutsche Militärengagement hingegen seien lediglich die Bündnissolidarität mit den USA und eine „schwammige Wunschliste von Zielen wie Demokratisierung und Frauenrechten“ gewesen. Zielkonflikte sind laut Hippler dabei einfach ausgeblendet worden.

Shukria Barakzai, Mitglied des afghanischen Parlaments, fasst es so zusammen: „Ihr hattet eine Wunschliste, die Amerikaner hatten eine, die Franzosen und die Briten. Auch Iran, Pakistan und Indien haben ihre eigenen Interessen in unserem Land. Ihr habt vielleicht nicht die korrupten Führer in Amt und Würden gebracht, wohl aber den Egoismus.“ Christiane Rost

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