Kinderrechte

Indien: Bildung auch in Krisenzeiten

Covid-19 hat viele negative Auswirkungen auf Kinder, vor allem in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Entwicklungsprojekte im indischen Bundesstaat Assam zeigen, wie es gelingen kann, benachteiligte Kinder auch in Krisenzeiten zu fördern.
Lernen auch in der Krise: Kinder im indischen Bundesstaat Assam. AGUP/Dhubri Lernen auch in der Krise: Kinder im indischen Bundesstaat Assam.

Covid-19 hat Kinder weltweit hart getroffen. Unter anderem führten Lockdowns und Schulschließungen zu schmerzhaften Einschnitten. Viele Minderjährige hatten Angst um ihre Eltern und Großeltern oder mussten sogar den Tod naher Angehöriger miterleben. Überall wurden Kinderrechte massiv eingeschränkt:

  • Recht auf Schutz: Häusliche und sexuelle Gewalt, Ausbeutung sowie Kinderarbeit und Kinderehen nahmen während Corona weltweit drastisch zu. Gleichzeitig konnten sich Minderjährige in ihrer Not häufig nicht an Außenstehende wenden, auch weil viele Kinderschutzdienste nicht arbeiteten. Schulen, in denen aufmerksame Lehrkräfte hätten einschreiten können, waren geschlossen.
  • Körperliche und seelische Gesundheit: Stark angestiegen sind deswegen Angststörungen, psychischer Stress, Depressionen und Suizide unter Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig sank auch die körperliche Resilienz vieler Kinder, deren Eltern mangels Einkommen nicht in der Lage waren, sie ausreichend zu ernähren. So hungerten 2020 laut dem Kinderhilfswerk der UN weltweit 132 Millionen Menschen zusätzlich, davon 44 Millionen Kinder (UNICEF 2020a).
  • Kinderarmut: Nach Hochrechnungen von UNICEF gibt es im globalen Süden wegen der negativen wirtschaftlichen Effekte von Covid-19 zusätzlich 140 Millionen Kinder, die unter der Armutsgrenze leben, insbesondere in Subsahara-Afrika und Südasien. Weitere 150 Millionen leiden unter mehrdimensionaler Armut. Das bedeutet, sie haben keinen Zugang zu Bildung, Gesundheitsfürsorge, Unterkunft, Ernährung, sanitären Einrichtungen oder sauberem Wasser.
  • Bildung: Am stärksten aber wirkt sich die Krise auf die Bildung der Kinder aus. Fast alle Kinder des globalen Südens hatten wegen der Schulschließungen mehr als ein Jahr lang keinen Unterricht. Viele kehren danach nicht in die Schule zurück. Auch die anderen kämpfen noch mit einem Lernrückstand von mehreren Monaten. Insgesamt 463 Millionen Kinder konnten laut UNICEF durch ihre häusliche Situation und die ländliche Infrastruktur nicht am digitalen Fernunterricht teilnehmen oder erfuhren keine Unterstützung zu Hause. Schulkinder aus einkommensschwachen Ländern erlebten mehr als doppelt so viele Schulausfälle wie Kinder aus einkommensstarken Ländern. Und Mädchen sind zusätzlich benachteiligt, unter anderem, weil sie durchschnittlich weniger Zugang zu digitaler Technologie haben als Jungen und mehr Unterstützung im Haushalt leisten müssen (UNICEF 2020b). Beides gilt auch für indische Studentinnen in hohem Maße (siehe Ipsita Sapra im Magazin von E+Z/D+C e-Paper 2021/10).

Kindern und Jugendlichen unter diesen schwierigen Bedingungen Bildung weiter zu ermöglichen, sieht das Kinderhilfswerk Childaid Network als seine Aufgabe an. Die zivilgesellschaftliche Organisation engagiert sich für Kinder und Jugendliche in abgelegenen Gebieten von Nordostindien, Nepal, Bangladesch und Myanmar, insbesondere in den Bereichen Kinderrechte, Grundbildung, berufliche Bildung und Förderung des Kleinunternehmertums. Seit der Pandemie kümmert sich Childaid Network auch vermehrt um Gesundheitsthemen.

Während der Pandemie setzte das Kinderhilfswerk dafür auf verschiedene Konzepte, etwa den Einsatz von Informationstechnologie, lokale Freiwillige, Kleinlerngruppen und Lerninputs im Radio. So gelang es, 80 Prozent der Zielgruppenkinder und -jugendlichen auch während des Ausnahmezustands kontinuierlich mit Bildungsinhalten zu versorgen.

Das nächste Ziel von Childaid Network ist es, die Lernlücken von 100 000 Kindern aus marginalisierten Gemeinschaften in Nordostindien zu schließen. Dafür werden tausende freiwillige Bildungsförderer eingesetzt. Außerdem versorgt der lokale Partner Aide et Action India staatliche Lehrkräfte mit ansprechenden didaktischen Curricula und Materialien. Die Pilotphase in zehn Dörfern ist vielversprechend, und im November 2021 wird das Projekt auf 1000 Dörfer im indischen Bundesstaat Assam skaliert. Aide et Action India, Accenture und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ermöglichen die Umsetzung.

In Assam ist die Arbeit von Childaid Network besonders wichtig: Schon vor der Pandemie rangierte die Region auf dem letzten Platz aller Bundesstaaten Indiens bei der Umsetzung der Kinderrechte. Eines von neun Kindern erlebt dort den fünften Geburtstag nicht, und zehn Prozent der Kinder gehen nicht in die Schule. Die Bildungsqualität ist äußerst schlecht: Nur 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler können dem amtlichen Bildungsreport 2019 zufolge in der achten Klasse einen Text der Klasse zwei lesen und verstehen. Seit 2016 steigt die Zahl der gemeldeten Verbrechen gegen Kinder wieder an, insbesondere Kinderhandel und sexuelle Gewalt. Die Pandemie hat diese Tendenz deutlich verstärkt. Im Hinblick auf gesellschaftliche Teilhabe sind Kinder in Assam weiterhin benachteiligt, sie sind zum Beispiel selten aktive Mitglieder in den Schulverwaltungskomitees.

Um all das zum Besseren zu wenden, initiierte Childaid Network gemeinsam mit dem Institute of Development Action (IdeA) ein weiteres Projekt in Assam: EnRiCh (Enabling Rights of the Child, siehe Kasten). Es zielt darauf ab, Kinderrechte gerade in der schwierigen Pandemie-Situation zu stärken und auf eine Zukunft hinzuarbeiten, in der jedes Kind sein volles Potenzial entfalten und in Würde leben kann.


Links

UNICEF, 2020a: Covid-19 and children.
https://data.unicef.org/covid-19-and-children/

UNICEF, 2020b: Policy Brief: The impact of Covid-19 on children.
https://www.un.org/sites/un2.un.org/files/policy_brief_on_covid_impact_on_children_16_april_2020.pdf


Enakshi Dutta ist Kinderrechtsaktivistin, Spezialistin für Kapazitätenentwicklung zivilgesellschaftlicher Organisationen und Direktorin des Institute of Development Action.
enakshi@theant.org

Cynthia Dittmar leitet die Projektkoordination bei Childaid Network.
cynthia.dittmar@childaid.net

Franziska Müller studiert Friedens- und Konfliktforschung und engagiert sich bei Childaid Network als studentische Aushilfe.
franziska.mueller@childaid.net