Entwicklung und
Zusammenarbeit

Elasticsearch Mini

Elasticsearch Mini

Menschen mit Behinderung

Betroffene miteinbeziehen

Die Inklusion von Menschen mit Behinderung ist ein wichtiges Thema auf der entwicklungspolitischen Agenda. Das Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE) an der Humboldt-Universität zu Berlin hat zu diesem Thema aktuell eine Studie plus Handbuch erstellt. Ziel war es, aufzuzeigen, wie Inklusion von Menschen mit Behinderung bei der Planung und Umsetzung von Programmen in den Partnerländern systematisch und nachhaltig verankert werden kann.
Die Schulen in Namibia sind nicht für die Inklusion behinderter Kinder ausgelegt. Oliver Gerhard/Image Broker/Lineair Die Schulen in Namibia sind nicht für die Inklusion behinderter Kinder ausgelegt.

Die im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) erstellte Studie bietet das theoretische Rüstzeug, während das Handbuch eine konkrete Unterstützung für Planer, Praktiker und Partner darstellt. Das Forschungsteam kombinierte die Erarbeitung der Studie mit der Entwicklung des Handbuchs und Empfehlungen von Praktikern. Letztere kamen durch zahlreiche Interviews zustande. So wurden Aktivisten von Behindertenorganisationen, GIZ-Mitarbeiter, politische Entscheidungsträger, Lehrpersonal an Berufsschulen und Verantwortliche des Transportsektors befragt. Die Wissenschaftler testeten zudem die für das Handbuch entwickelten Methoden im Rahmen von Workshops in Namibia und modifizierten sie bei Bedarf. Die vorgestellten Praxisbeispiele beruhen auf realen Erfahrungen in Namibia.

Namibia bietet sich unter anderem als Forschungsgegenstand an, weil es finanziell relativ gut ausgestattet ist. Das Land erhält, gerechnet auf seine Bevölkerung, pro Kopf die weltweit höchste offizielle Entwicklungshilfe aus Deutschland. Zudem zeigt Namibia Eigenaktivitäten im Bereich Inklusion. Das Thema wird in politische Maßnahmen explizit einbezogen. Im Jahr 2015 richtete die Regierung ein Ministerium ein, das sich speziell um die Belange von Menschen mit Behinderung kümmert. Das Bewusstsein der Bevölkerung gegen die Marginalisierung von Menschen mit Behinderung wird in Medien und Kampagnen gestärkt. Dennoch klafft ein großes Loch zwischen Theorie und praktischer Umsetzung.

Aus den identifizierten Barrieren und Anforderungen im Berufsschulbereich und im Transportwesen haben die Forscher Empfehlungen für die GIZ in Namibia entwickelt. Diese wären:

  • Bewusstseinsbildung und Sensibilisierungstraining für Berufsschullehrer und andere Akteure, dazu gehören auch Entscheidungsträger im Privatsektor, unter anderen Firmenchefs und Personalverantwortliche,
  • Bildung von Schwerpunkten, die GIZ-Berater als Querschnittsthema und sektorübergreifend vertreten,
  • Einbeziehung der Selbstvertreterorganisationen von Menschen mit Behinderung in Namibia bei der Konzeptionierung von Maßnahmen und stärkere Förderung dieser Gruppen als Partner der GIZ etwa durch Zusammenarbeit mit den sogenannten Disability-Trainern des namibischen Dachverbandes für Menschen mit Behinderung,
  • Ausbau der Kooperation zwischen Berufsschulen und dem Arbeitsmarkt, um den Übergang von Ausbildung in den Arbeitsmarkt für Arbeitssuchende mit Behinderung zu erleichtern,
  • Finanzielle und technische Unterstützung der Partnerorganisationen bei der Entwicklung barrierefreier Lehrmaterialien für Auszubildende mit Behinderungen.

Auch für das Transportprogramm der GIZ erarbeitete das Forschungsteam Empfehlungen. Diese beziehen sich hauptsächlich auf die Mobilität als ein zentrales Anliegen von Menschen mit Behinderung. Was in einem Land wie Deutschland bereits selbstverständlich ist, nämlich eine zumindest in vielen größeren Städten barrierefreie Infrastruktur inklusive barrierefreier öffentlicher Verkehrsmittel, steckt in Entwicklungsländern noch in den Kinderschuhen. In Namibia ist der Weg in die Schule, zu Ausbildungsstätten, zur Arbeit und öffentlichen Einrichtungen für Menschen, die im Rollstuhl fahren oder gehbehindert sind und ebenso für Menschen mit visuellen Einschränkungen, sehr mühsam. Die GIZ kann dazu beitragen, die namibische Infrastruktur barrierefreier zu gestalten, insbesondere hinsichtlich barrierefreier Gebäude und angepasster Gehwege und Fahrstühle. Auch die Anschaffung von absenkbaren Bussen ist in Namibia Nahziel und längst keine Illusion mehr. Ein barrierefreies Gebäude ist im Neubau immer günstiger als nachträglich eingebaute Rampen und Ähnliches. Weiter empfiehlt die Studie:

  • Sensibilisierung und Aufklärung, um diskriminierendem Verhalten der Bus- und Taxifahrer gegenüber Menschen mit Behinderung entgegenzuwirken,
  • Sensibilisierung und Information von GIZ-Entscheidungsträgern und Partnern im Transportwesen für die Inklusionsthematik und über bauliche Standards (nationale Standards berücksichtigen eine barrierefreie Infrastruktur),
  • Barrierefreies Bauen in die Lehrpläne der Ingenieurwissenschaften (Bauingenieure/Stadtplaner) als ein obligatorisches Modul aufnehmen,
  • Systematische Verankerung des Themas in die Bachelor- und Master-Programme der Bauingenieurwissenschaften der University of Namibia.

Einige der genannten Empfehlungen wurden bereits umgesetzt. So wird eine GIZ-Stelle für Querschnittsthemen eingerichtet, die Inklusion von Menschen mit Behinderung einschließt. Vorgeschlagene Maßnahmen für das Transportprogramm, wie die Anschaffung von absenkbaren Bussen oder Sensibilisierungsmaßnahmen für Fahrer, werden so bald wie möglich aufgegriffen. Inklusive Maßnahmen im Berufsbildungsprogramm haben bereits begonnen. So werden die Trainer für den Umgang mit Behinderten geschult und bei der Ausstattung der Berufsschulen werden auch die Bedürfnisse der Auszubildenden mit Behinderung berücksichtigt.

Auch in der Wirtschaftsförderung und Armutsbekämpfung ist das Inklusionsthema von großer Bedeutung. Beide Bereiche sind Schwerpunkte der GIZ in Namibia. Das Handbuch gibt viele Informationen, welche Strategien und Methoden notwendig sind, um die Programme inklusiv zu gestalten.

Im Handbuch wird auch ein Instrument vorgestellt, mit dem systematisch geprüft werden kann, wie inklusiv eine Organisation bereits ist. Wenn noch gar keine Inklusion vorhanden ist, zeigen die Autoren auf, wo es konkrete Ansatzpunkte für mehr Inklusion geben könnte. Dieses bezieht sich sowohl auf die Ausgestaltung der Arbeitsplätze als auch auf organisatorische und institutionelle Barrieren. Den Lesern soll klarwerden, dass die Kosten, die durch Ausschließung und Nichtbeachtung von Menschen mit Behinderung entstehen, höher sind als Inklusion. Dabei geht es nicht nur um soziales Engagement aus ethischer Überzeugung, sondern auch darum, das hohe Potenzial von Menschen mit Behinderung adäquat zu nutzen.

Der Bau eines von vornherein barrierefreien Gebäudes ist wesentlich günstiger, als Rampen und Fahrstühle nachträglich einzubauen. Ähnlich verhält es sich mit entwicklungspolitischen Programmen und Projekten. Oft sind es Kleinigkeiten, die eine große Wirkung erzielen. Menschen mit Behinderung selbst sind oft die besten Experten für die Prioritätensetzung. Sie oder ihre Vertreter an der Planung eines Programmes zu beteiligen stellt erst wirklich sicher, dass ihre Belange und ihre Expertise adäquat berücksichtigt werden.

Inklusion wird hier entsprechend dem Handbuchtitel „Inclusion grows“ als etwas wachsendes beziehungsweise als ein Prozess beschrieben, dessen Ziele sich nicht von heute auf morgen erreichen lassen. Vielmehr braucht es eine gute Planung und verschiedene engagierte Akteure, die an einem Strang ziehen, um die Rechte von Menschen mit Behinderung auch mit Nachhaltigkeit umzusetzen.

Das Handbuch versteht sich als Vorschlag – nicht als Vorgabe – an Praktiker und als ein lebendiges, flexibles Dokument. Die Autoren gehen davon aus, dass das Buch sich erweitern und nachjustieren lässt, je mehr die Benutzer die vorgeschlagenen Instrumente einem „Realitätscheck“ unterziehen. Genau das will die GIZ damit auch erreichen: Das Handbuch soll in ausgewählten Projektländern verbreitet und angewandt werden und kann auf Grundlage dieser Erfahrungen anschließend erweitert werden.


Bettina Kieck ist Pädagogin und Entwicklungspolitologin. Seit zehn Jahren arbeitet sie als Beraterin für Inklusion von Menschen mit Behinderung. 2015 leitete sie das SLE-Team der Humboldt-
Universität für die Studie.
bekieck@outlook.de


Link
Kieck, B., Ayeh, D., Beitzer, P., Gerdes, N., Günther, P., und Wiemers, B., 2016: Developing a manual on disability mainstreaming for the german development cooperation – case study. Namibia.
http://edoc.hu-berlin.de/series/sle/265/PDF/265.pdf

 

Relevante Artikel