Klimawandel
Riskanter Dammbau
[ Von Ann-Kathrin Schneider ]
Im Schatten dieser dramatischen Veränderungen wollen die Regierungen Pakistans, Indiens, Nepals und Bhutans die Flüsse zu zentralen Energiequellen Südasiens machen. Hunderte von Großstaudämmen sollen an den Himalaya-Flüssen gebaut werden, um Elektrizität zu erzeugen. Mehr als 150 000 Megawatt Wasserkraftkapazität soll so in den nächsten zwanzig Jahren in den vier Ländern bereit gestellt werden. Mit diesen Wasserkraftwerken hätte die Himalaya-Region die weltweit größte Staudammdichte.
Einige der geplanten Wasserkraftwerke wie der Dibang-Staudamm in Indien, der Tala-Damm in Bhutan und der 12,6 Milliarden Dollar teure Diamer-Bhasha-Damm in Pakistan gehören zu den größten und teuersten der Welt.
Veränderte Muster
Bei dem geplanten Ausbau der Wasserkraft in der Himalaya-Region wird aber das größte Risiko nicht berücksichtigt: der Klimawandel. „Die möglichen Auswirkungen des Klimawandels werden nicht in die Planungen einberechnet, weder für bestimmte Projekte, noch für die Gesamtzahl der geplanten Maßnahmen in der ganzen Region,“ so Shripad Dharmadhikary. Er ist der Autor der im Dezember 2008 von International Rivers veröffentlichten Studie „Mountains of Concrete: Dam Building in the Himalayas“.
Ein Dammbauboom im Himalaya in Zeiten des Klimawandels kommt daher einer Investition in Hochrisikopapiere zu Zeiten der Finanzkrise gleich. In der Himalaya-Region „werden die schmelzenden Gletscher die Flüsse kurzfristig überfluten, aber mit dem Schrumpfen der Gletscher werden die Flüsse immer weniger Wasser führen,“ so Xin Yuanhong. Er ist leitender Ingenieur eines chinesischen Teams, das die Veränderung der Gletscher auf dem Tibetischen Plateau im Himalaya untersucht.
Das anfängliche Ansteigen wie auch die spätere Abnahme der Wassermenge in den Himalaya-Flüssen gefährden Sicherheit und Effizienz der geplanten Dämme. „Die Planung von Wasserkraftwerken basiert auf historischen Daten über die Wasserquantität und -qualität der letzten Jahrzehnte, und man geht davon aus, dass die Muster künftig die gleichen sein werden wie in der Vergangenheit,“ so Dharmadhikary. Der Klimawandel habe diese Annahmen jedoch zerstört. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Himalaya-Flüsse in den kommenden Jahren viel mehr Wasser führen als früher. In einigen Jahrzehnten müsse man aber auch mit niedrigeren Wassermengen rechnen, was wiederum die Projekte in Frage stelle. „Gibt es nicht genug Wasser in den Flüssen, kann wesentlich weniger Strom produziert werden als geplant,“ erklärt Dharmadhikary.
Das International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD) in Nepal und das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sind sich einig, dass der Klimawandel nicht nur zu mehr Temperaturextremen, sondern auch zu mehr Stürmen und Flutkatastrophen führen wird, besonders in den Tropen und in Gebirgen. Ein ICIMOD-Bericht über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gletscher des Himalaya prophezeit: „Auf dem indischen Subkontinent wird ein Temperaturanstieg von zwischen 3,5 und 5,5 Grad Celsius bis ins Jahr 2100 erwartet“. Für das Tibetische Plateau rechne man mit noch höheren Temperaturen.
Gefährliche Gletscherseen
Ein weiteres Sicherheitsrisiko für die geplanten Dämme – und somit auch für die Flüsse und die in der Region lebenden Menschen – ist auch das plötzliche Aufbrechen von Gletscherseen. Die so genannte glacial lake outburst floods (GLOFs), von Gletscherseen ausgelöste Fluten, sind ein relativ neues Phänomen. Wenn Gletscher schmelzen, können sich Seen hinter selbstständig entstehenden Eis- und Steindämmen bilden. Wenn diese natürlichen Dämme brechen, werden Millionen von Kubikmetern Wasser in großen Flutwellen freigesetzt. Das Aufbrechen des Dig Tsho Sees in der Nähe des Mount Everest in Nepal im Jahr 1985 war einer der größten Gletscherseeausbrüche der jüngsten Geschichte. Dabei wurde eine riesige Flutwelle erzeugt, die mit voller Wucht ins Tal niederging, fünf Menschen tötete, ein Wasserkraftwerk und vierzehn Brücken zerstörte und viele tausende Äcker überflutete.
Im Januar 2009 identifizierte die Regierung Bhutans mehr als 2600 Gletscherseen in dem Himalayastaat. 25 davon hält das dortige Ministerium für Geologie für GLOF-gefährdet. Bhutan ist sich dieser Risiken bewusst und verbessert das Frühwarnsystem. Zugleich aber baut das Land gemeinsam mit Indien eines der größten Wasserkraftwerke der Region – den 90 Meter hohen Tala-Damm auf dem Wangshu Fluss.
Eine Milliarde Menschen in Südasien und mehrere Millionen Menschen in China sind auf das Wasser der Himalaya-Flüsse angewiesen, für die Landwirtschaft genauso wie für die Trinkwasserversorgung. Man kann noch nicht vorhersagen, wann und in welchem Ausmaß die Himalaya-Flüsse anschwellen werden, und auch nicht, wann und um wie viel die Wassermenge der Flüsse zurückgehen wird. Sicher ist aber, dass die Gletscher des Himalaya in fünfzig Jahren nicht mehr so groß sind wie heute. Sie werden also auch den Ganges, Indus und Bhramaputra nicht mehr mit so viel Wasser speisen, wie in den vergangenen fünfzig Jahren. Man kann daher keine Wasserkraftwerke auf diesen Flüssen bauen, ohne wahrscheinliche Auswirkungen des Klimawandels auf diese zu untersuchen – und ohne die veränderten hydrologischen Bedingungen in der Planung der neuen Projekte zu berücksichtigen.
Shripad Dharmadhikarys Erkenntnissen zufolge planen die betroffenen Regierungen ihre Wasserkraftwerke jedoch so, als habe der Klimawandel keinerlei Relevanz für die Region. Diese Verleugnungsstrategie ist riskant. Immerhin reißen einige der Projekte nicht nur enorme Löcher in dünne Infrastrukturbudgets, sondern stellen auch einen erheblichen Eingriff in den natürlichen Wasserhaushalt der Region dar. Statt den Klimawandel zu leugnen und mit altmodischen Großprojekten auf großes Risiko zu setzen, sollten die Himalaya-Staaten Anpassungsstrategien entwickeln, in denen nachhaltigem Management der Wasserressourcen eine zentrale Rolle zukommt.