Entwicklung und
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Nichtmotorisierter Verkehr

Fuß- und Radwege ausbauen

Weltweit hat der motorisierte Individualverkehr in den vergangenen Jahrzehnten rasant zugenommen. Besonders in den großen Metropolen sind die vielen Autos zu einem massiven Problem geworden – mit negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Menschen, auf Umwelt und Klima und die volkswirtschaftliche Entwicklung. Eine Stärkung des nicht­motorisierten Verkehrs ist dringend geboten – und auch eine Frage der Gerechtigkeit.
Die Infrastruktur im Großraum Nairobi ist auf motorisierten Verkehr ausgerichtet. dem Die Infrastruktur im Großraum Nairobi ist auf motorisierten Verkehr ausgerichtet.

Zu Fuß zu gehen oder Rad zu fahren, um sich fortzubewegen, hat eine ganze Reihe von Vorteilen: Es ist umweltschonend und kostengünstig, fördert die Gesundheit und benötigt nur sehr wenig Fläche. Negative Folgen des motorisierten Verkehrs wie Luftverschmutzung, Lärmbelastung und Treibhausgasemissionen, die zur Erderhitzung beitragen, treten beim Fuß- und Radverkehr nicht auf.

Allerdings hat er gegenüber dem Autoverkehr vielerorts einen schweren Stand. Das Auto ist Statussymbol und gilt als Zeichen für Fortschritt und Wohlstand. Tatsächlich ist seine Bedeutung für die Wirtschaft groß. Ohne motorisierten Verkehr wäre Handel in der heutigen Form unmöglich, abgelegene Orte wären kaum zu erreichen und flächendeckende Versorgung utopisch. In vielen Ballungszentren und Metropolen sind aber mittlerweile die Grenzen des Systems erreicht. Dort könnte mehr nichtmotorisierter Verkehr einen großen Beitrag zur Bewältigung der Probleme leisten. Ein gutes Beispiel ist das für ständige Verkehrsstaus bekannte Bangkok (siehe Kasten).


Viele Todesopfer

Fußgänger und Radfahrer sind überdurchschnittlich oft in tödliche Verkehrsunfälle verwickelt (siehe Beitrag von Katja Dombrowski im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Paper 2020/01). Das gilt weltweit, in afrikanischen Großstädten ist die Gefahr für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer allerdings am größten. In der kenianischen Hauptstadt Nairobi beispielsweise waren 2016 offiziellen Angaben zufolge 65 Prozent aller Verkehrstoten Fußgänger. Wie in anderen Metropolen der Welt auch hat Nairobis Stadtplanung Radfahrer, Fußgänger und andere nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer jahrzehntelang stark vernachlässigt und vor allem auf den Ausbau der Infrastruktur für den motorisierten Verkehr, insbesondere den motorisierten Individualverkehr, also das Auto, gesetzt.

Nairobi hat 2015 allerdings begonnen umzusteuern. Gemeinsam mit dem „Share the Road“-Programm des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme – UNEP), das die Situation von Fußgängern und Fahrradfahrern im globalen Süden verbessern soll, hat die Stadt eine Verkehrspolitik speziell für den nichtmotorisierten Verkehr entwickelt. Nairobis damaliger Gouverneur Evans Kidero sagte zur Begründung unter anderem: „Es gibt klare Beweise dafür, dass nichtmotorisierter Verkehr eine sehr effiziente Mobilitätsform ist, die nur einer geringen Investition bedarf.“

In erster Linie sollen damit die Bedingungen für die stark benachteiligten Verkehrsteilnehmer Fußgänger und Radfahrer im Straßenverkehr verbessert werden. Dazu zählen Infrastrukturmaßnahmen wie der Bau von Bürgersteigen und Mittel zur Verkehrsberuhigung wie Tempo-20-Zonen (Meilen pro Stunde) oder Verschwenkungen in der Straßenführung. Kampagnen, die das Bewusstsein für die Thematik stärken sollen, ergänzen die Maßnahmen. Um zu zeigen, dass es ihnen ernst ist, legten Nairobis Verantwortliche fest, dass 20 Prozent des Budgets für den Straßenbau in die Infrastruktur für den nichtmotorisierten und den öffentlichen Verkehr fließen müssen.

Carly Koinange, die Leiterin des „Share the Road“-Programms, sieht Nairobi in dieser Hinsicht als gutes Beispiel nicht nur für Afrika an: „Diese Verpflichtung, die Zweckbindung von Mitteln: Davon kann der globale Norden ebenfalls lernen“, sagte sie in einem Interview mit Zeit online. Dabei gehe es aber nicht um einen Wettbewerb zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, sondern vor allem um Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmern.

Wie erfolgreich und nachhaltig Nairobis neue Verkehrspolitik ist, wird sich allerdings erst in der Zukunft zeigen. Zwischen 2013 und 2019 ist die Zahl der registrierten motorisierten Fahrzeuge in der Stadt von knapp 2 Millionen auf etwa 3 Millionen gestiegen. Staus und Verkehrschaos sind an der Tagesordnung – mit den entsprechenden wirtschaftlichen Kosten: Nach Schätzungen der Weltbank verliert Nairobi durch Staus jeden Tag eine halbe Million Dollar.

Aus Sicht der Verkehrsplaner in Nairobi geht es bei der Förderung des nichtmotorisierten Transports um die Verbesserung der Lebensqualität aller Bewohner – durch bessere Luft und weniger Lärm. Außerdem können laut Kidero Privathaushalte durch Kostenersparnisse entlastet werden, da der nichtmotorisierte Verkehr in der Regel günstiger ist. Durch eine gezielte Förderung wird zudem erreicht, dass sich im nichtmotorisierten Transportsektor die Erreichbarkeit verbessert, wenn beispielsweise Fuß- und Radwege angelegt werden. Und da die Mehrheit der unteren Einkommensschichten auf den nichtmotorisierten Verkehr angewiesen ist, wird sich dort auch die Einkommenssituation verbessern, und es können Einkommen generiert werden.

Dies fördert auch die soziale ebenso wie die Klimagerechtigkeit. Denn unter den Umweltbelastungen durch den Autoverkehr leiden vor allem ärmere Menschen in aller Welt. Die von den Hilfswerken Misereor und Brot für die Welt und dem Verein PowerShift herausgegebene Studie „Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit“ kommt zu dem Schluss: „Die zügige Abkehr vom Verbrennungsmotor ist aus Gründen der Umwelt- und Klimagerechtigkeit dringend geboten.“ Und im Jahresbericht 2018 des „Share the Road“-Programms heißt es sogar: „Fußwege sind der einzige gerechte und demokratische Ort, an dem alle Menschen wirklich gleich sind.“

Weltweites Umdenken in Stadt und Land tut not, um den Klimawandel einzudämmen. Die Weltwetterorganisation WMO meldete jüngst erneut Rekordwerte bei den Trei­b­hausgasen: Statt zu stagnieren oder zurückzugehen, beschleunigt sich der Treibhausgasanstieg immer weiter. 80 Prozent der Treibhauswirkung gehen auf das Konto von CO2, und knapp 18 Prozent der CO2-Emissionen wiederum stammen aus dem Straßenverkehr.


Nicholas Hollmann ist Verkehrsplaner und arbeitete von 2010 bis 2014 am International College des King Mongkuts Institute of Technology in Bangkok.
nicholas.hollmann@gmx.net


Links

Contribution of modes of transport to CO2 emissions worldwide:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/317683/umfrage/verkehrsttraeger-anteil-co2-emissionen-fossile-brennstoffe/

Share the Road Programme, Annual Report 2018: Investing in people who walk and cycle.
https://wedocs.unep.org/bitstream/handle/20.500.11822/27503/SRP2018.pdf?sequence=1&isAllowed=y

Misereor, Brot für die Welt, PowerShift (eds.), 2019: Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit (Fewer cars, more global justice, in German only).
https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/Studie-Weniger-Autos-mehr-globale-Gerechtigkeit.pdf

 

 

Leserreaktion (26. Februar 2020)

Ich lebe seit vier Jahren in Nairobi und bewege mich viel in der Stadt - immer nur mit dem Auto, obwohl ich sehr gerne zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sein würde. Seit meiner Ankunft hat sich augenscheinlich nichts mit Blick auf die Fuß- und Radwege getan. Es gibt weiterhin nur einen einzigen Radweg in der Stadt. Dieser führt rund zwei Kilometer die UN-Avenue entlang, ist aber kaum passierbar. Fußwege sind weiterhin nur in Wohngebieten der wohlhabenden Bevölkerung vorhanden.

Ich finde es fragwürdig, einen Artikel in einer Fachzeitschrift zu publizieren, der sich auf Pläne und Projektionen bezieht, nicht aber auf die Alltagswirklichkeit. Es sollte doch klar sein, dass zwischen Plänen und deren Umsetzung ein großer Unterschied besteht. Da E+Z/D+C ja durchaus gelesen wird, erwarte ich, dass meine nächste Besuchergruppe aus dem Bundestag darum bitten wird, die positiven Beispiele in der Verkehrsplanung in Nairobi zu sehen.  Das wird dann in Enttäuschung enden und in der Frage, warum wir eigentlich die Entwicklungszusammenarbeit unterstützen. Beschönigung hilft maximal kurzfristig.

Dr. Jan Cernicky, Konrad-Adenauer-Stiftung, Nairobi