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Überflutungen

Die Millionenstadt, die täglich überflutet wird

Chittagong in Bangladesch ist eine der zehn am schnellsten sinkenden Küstenstädte der Welt. Viele Menschen sind in diese Stadt gezogen, weil sie vor Klimakatastrophen in anderen Gegenden des Landes geflohen sind. Da Chittagong mehrere Stunden am Tag unter Wasser steht, ist es wahrscheinlich, dass sie bald wieder wegmüssen.
Die Hauptstraße eines ehemals gehobenen Wohngebietes steht fast täglich unter Wasser. Rafiqul Islam Montu Die Hauptstraße eines ehemals gehobenen Wohngebietes steht fast täglich unter Wasser.

Nurjahan Begum sitzt auf einem Plastikstuhl vor ihrem Haus in einer dicht bevölkerten Siedlung am Flussufer des Karnaphuli in Chittagong. Der Stuhl steht zur Hälfte unter Wasser. An diesem Tag waren hunderte Familien in Begums Nachbarschaft wieder einmal für mehr als fünf Stunden in den Wasserfluten gefangen.

Der Alltag vieler Menschen in Bangladeschs zweitgrößter Stadt kreist um die Gezeiten und den Anstieg und Abfluss der Fluten. Das Meer ist 16 Kilometer entfernt. Das Wasser überschwemmt die Kanäle der Stadt über den Karnaphuli-Fluss. Während der Flut muss jeder fünf bis sechs Stunden zu Hause bleiben. Alles muss erledigt sein, ehe das Wasser steigt.

Mehr als die Hälfte von Chittagong steht regelmäßig unter Wasser. Laut einer Untersuchung der Direktion für öffentliche Arbeiten, einer Regierungsagentur in Bang­ladesch, werden inzwischen etwa 69 Prozent der Stadt mehr oder weniger von den Gezeiten überschwemmt.

Eine weitere Studie, die im Wissenschaftsmagazin Geophysical Research Letters veröffentlicht wurde, besagt, dass Chittagong zwischen 2015 und 2020 jährlich 2,39 Zentimeter Land verloren hat. Zugleich ist der Meeresspiegel laut Zwischenstaatlichem Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change) seit 1993 jährlich um etwa drei Millimeter gestiegen.

Klimaflüchtlinge werden mit neuen Klimarisiken konfrontiert

Viele der fast 6 Millionen Einwohner Chittagongs sind in den letzten Jahrzehnten ursprünglich vor anderen Klimakatastrophen im Land hierher geflohen. Die meisten haben durch Wirbelstürme, Flusserosion oder Überflutungen alles verloren.

So auch Nurjahan Begum. Ihr Haus am Ufer des Meghna-Flusses in Daulatkhan, einer Division im Inseldistrikt Bhola, wurde 1991 von einem Zyklon weggefegt. Das Leben der 60-Jährigen ist geprägt von Klimakatastrophen – insgesamt 22 Mal musste sie umziehen. Nach dem Tod ihres Mannes und dem erneuten Verlust aller Habseligkeiten kam sie vor zehn Jahren mit ihren drei Kindern nach Chittagong.

Jetzt sind ihre Familie und viele andere erneut mit den Folgen der Klimakrise konfrontiert. In den letzten Jahren waren viele Menschen gezwungen, immer wieder umzuziehen, weil sie während des Monsuns in höher gelegenen Gebieten mit teureren Mieten wohnen und nach dem Monsun wieder in mietgünstige Häuser in tiefer gelegenen Gebieten der Stadt ziehen.

Roksana Begum hat eine zehnköpfige Familie. Diese ist wegen der Überflutungen in den letzten zwei Jahren dreimal umgezogen. Die 55-Jährige kam in die Stadt, um der wirtschaftlichen Not in ihrem Dorf zu entkommen. Auch Mohammad Shahjahan kam als 20-Jähriger zum Arbeiten nach Chittagong. Bis dahin lebte er in dem Küstendorf Dakshin Syedpur. Siebenmal musste seine Familie wegen Flusserosion umziehen. Der Ort, an dem Shahjahans Vater einst sein Haus baute, liegt nun in der Mitte des Flusses Meghna. Shahjahan hielt das Zentrum von Chittagong für einen sichereren Platz, sorgt sich nun aber, ob er noch lange in der Stadt leben kann.

Tägliche Fluten

Das Wasser verschont auch die reicheren Wohngegenden nicht. Das World Trade Center, das wichtigste Gebäude im Geschäftsviertel Agrabad, ist nun umgeben von Wasser. In der Nähe von Agrabad entstand das elitärste Wohnviertel der Stadt, die Chittagong-Development-Authority (CDA)-Wohnsiedlung.

Die Fluten haben die Popularität der Gegend erheblich gemindert. Abu Kalam ist ein CDA-Anwohner. Der 70-Jährige hat einiges in sein Haus investiert, dessen Wert nun drastisch gesunken ist. Das Erdgeschoss steht wie alle Häuser im Viertel täglich fünf bis sechs Stunden unter Wasser. Die meisten können ihre Erdgeschosse nicht mehr nutzen und mussten sich woanders ein neues Haus bauen. Die Hausbesitzer haben keine Chance, ihre Häuser in der einst teuren Gegend zu vermieten.

Einige Infrastruktur-Projekte sollen die Lage verbessern. Die Straßen in den am schlimmsten betroffenen Gegenden wurden um fast einen Meter angehoben – aber bei Flut steht das Wasser immer noch einen halben Meter über der Straße. Außerdem werden an den Mündungen der Kanäle Schleusen gebaut. Rezaul Karim Chowdhury, der amtierende Bürgermeister von Chittagong, wies dabei auf ein anderes Problem hin: „Chittagong hatte einst 76 Kanäle. Jetzt sind es nur noch 57. Viele Kanäle sind von Landräubern übernommen worden.“ Er bat das Ministerium für Kommunalverwaltung, ländliche Entwicklung und Genossenschaften um Hilfe, um diese Kanäle wieder unter Kontrolle der Stadt zu bringen.

Chittagong ist längst nicht die einzige Stadt mit solchen Problemen. In einer weiteren in der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters veröffentlichten Studie maßen die Forschenden zwischen 2015 und 2020 das Tempo der Landdegradation in weltweit 99 Küstenstädten. In den meisten Städten sinkt die Landmasse schneller, als der Meeresspiegel steigt. Geht das so weiter, sind die Städte viel eher von Überschwemmungen bedroht, als die meisten Modelle vorhersagen, die sich auf den Meeresspiegel-Anstieg konzentrieren. Die Hauptursache für diesen Rückgang sind menschliche Aktivitäten – besonders die Grundwasserentnahme. Es sind verstärkte Überwachung und mehr politische Maßnahmen erforderlich, um die Degradation auszubremsen und ihre Folgen zu mindern.

Referenz
Wu, P., Wei, M. und D’Hondt, S., 2022: Subsidence in coastal cities throughout the world observed by InSAR.
https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1029/2022GL098477

Rafiqul Islam Montu ist ein investigativer Journalist aus Bangladesch. Er lebt in Dhaka.
rafiqulmontu@gmail.com