Sonderwirtschaftszonen
"Besser leben"
Warum finden Sie die Sonderwirtschaftszonen, die in Asien in den 1980er und 90er Jahren die exportgetriebene Industrialisierung voranbrachten, heute nicht mehr zeitgemäß?
Typischerweise war damals eine Export-processing Zone (EPZ) eine Enklave, in der Arbeitsplätze entstanden und in der berufliche Fähigkeiten zunahmen, weil eine begrenzte Anzahl von Gütern mit niedrigen Löhnen für Ausfuhrzwecke produziert wurden. Begrenzt blieben auch die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft insgesamt. Wir haben seither gelernt, dass es sinnvoll ist, Brücken zur heimischen Ökonomie zu schlagen, damit Firmen sich in globale und regionale Netzwerke integrieren. Folglich betonen wir nicht mehr die Exporte, sondern sprechen jetzt von Sonderwirtschaftszonen (SEZ – Special economic zones). Selbstverständlich müssen sie von kompetenten Institutionen getragen werden. Wir wissen allerdings auch, dass Enklaven nach einer Weile dahinwelken, weil die Lohnkosten steigen und der wichtigste Wettbewerbsvorteil entsprechend erodiert. Die Relevanz von Institutionen und Regierungsführung für den Erfolg von SEZ ist gut belegt. Rent-seeking – die Suche nach Profiten, die nicht auf Leistung beruhen – muss verhindert werden. Zugleich müssen diejenigen, die eine SEZ verwalten, die Befugnisse haben, mit Investoren in Single-Window-Verfahren umzugehen. Der wichtigste Punkt ist, dass eine SEZ immer ein ökonomisches Experiment ist, das zur Industriepolitik und der Entwicklungsstrategie eines Landes passen muss. Südkorea und Taipeh-China haben das mit großem Erfolg erreicht.
Weshalb waren SEZ so wichtig?
SEZ wurden geschaffen, um die Entwicklung voranzutreiben. Dazu dienten wirtschaftsfreundliche Bedingungen und die Ermutigung zu ausländischen Direktinvestitionen. Mit niedrigen Kosten und Vorzugsbehandlung ziehen SEZ Industrieunternehmen an, was dann den Transfer von Fähigkeiten und Technologie aus dem Ausland bewirkt. Obendrein nutzen erfolgreiche SEZ für die Zulieferung von Waren und für Dienstleistungen heimische Firmen, und sie beliefern diese auch. Sie tragen so dazu bei, dass die Volkswirtschaft von Arbeitsintensivität hin zu Kompetenz- und Technologieintensivität transformiert wird. Zudem dienen SEZ oft als Experimentierfeld für ökonomische Reformen. Shenzhen, Chinas erste und größte SEZ, nimmt seit 1978, als die Liberalisierungspolitik einsetzte, eine Vorreiterrolle in der Volksrepublik ein.
War Shenzhen eine besonders gut konzipierte SEZ?
Ja, und das ist immer noch so. Shenzhen ist sehr groß und wohlhabend geworden: 10 Millionen Einwohner mit einer Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung von 22 000 Dollar im Jahr 2013. Menschen aus ganz China wollen dorthin ziehen. Die Volksrepublik nutzt SEZ sehr geschickt, um Produktivität zu steigern und Strukturen zu verändern. Shenzhen war eine der ersten vier SEZ, in denen marktorientierte Reformen mit Blick auf Gesetze, Regeln, Steuern, Landbesitz, Arbeit, Finanzwirtschaft, Zölle, Migration und so weiter getestet wurden. Was sich bewährte, wurde dann Schritt für Schritt im ganzen Land auf verschiedene Weise übernommen. Manche Zonen dienten sehr raffinierten Konzepten, um zum Beispiel Hightech-Zentren zu schaffen. Shenzhen zeichnet sich heute durch Hightech-Produktion und maritime Transportdienstleistungen aus.
Europäische Kritiker meinen, SEZ seien nur dazu da, dass Unternehmen Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf soziale Ansprüche und andere Rechte ausbeuten. Übersehen sie etwas?
Wir beobachten seit Jahren in vielen Ländern positive Auswirkungen von SEZ – und zwar besonders in Bezug auf die Beschäftigung von Frauen, von der auch die Familien profitieren. Zu den Ergebnissen gehören höhere Einkommen, Ernährungssicherheit, Zugang zum Gesundheitswesen, gestiegenes soziales Ansehen und weniger Prostitution. Es werden auch weniger Frauen als Haushaltshilfen ausgebeutet. Damit das gelingt, kommt es natürlich auf die Amts- und Regierungsführung an. Eine unabhängige Aufsichtsbehörde kann für einen stimmigen Rechtsrahmen sorgen, Ärgernissen nachgehen und die Rechte von Investoren und Arbeitnehmern austarieren. Die Erfahrung lehrt, dass nachhaltiger Erfolg von fairen Arbeitsbedingungen abhängt. Das ist auch nicht überraschend, denn höhere Produktivität hängt nun mal von besseren Arbeits- und Lebensbedingungen ab.
Was für eine Art von SEZ ist heute sinnvoll?
Der Dienstleistungssektor wird in Entwicklungsländern auf rasante Weise wichtiger. Diesen Trend müssen SEZ aufnehmen. China hat beispielsweise 2013 die Shanghai Pilot Free Trade Zone geschaffen, um Wachstum durch liberalisierten Kapitalverkehr und schnellere Zollabfertigung zu stärken. Bislang sind die Ergebnisse gut. Die Kapitalströme sind angewachsen und der heimische Wechselkurs der chinesischen Währung hat sich dem internationalen angenähert. Südkorea bietet ein weiteres Beispiel. Das Land richtet Regulation-free Zones ein, um Zentren für zukunftsträchtige Wirtschaftszweige zu schaffen. Relevante Schlagworte sind unter anderem „smarte“ Geräte, das „Internet der Dinge“ und „Bio-Gesundheit“.
Aber eigentlich sind SEZ doch auf sich selbst bezogene Gebiete?
Nein, das sollten sie nicht sein. Sie sind sogar für die Stadtentwicklung wichtig – und werden immer wichtiger. Es steht fest, dass smarte Städte modernste Technik nutzen, um den Lebensstandard zu steigern und Umweltschäden zu reduzieren. Wissens- und Hightech-basierte SEZ machen das möglich. Nötig sind Systeme für e-Governance, Forschungs- und Entwicklungszentren, Bildungsinstitutionen et cetera. Staaten sollten die langfristige Stadtentwicklung mit SEZ-Strategien verbinden. Malaysia tut das. Iskandar Malaysia ist ein gutes Beispiel dafür, wie Stadtplanung mit SEZ-Methoden betrieben werden kann. Es geht darum, im Bundesstaat Johor einen Wirtschaftskorridor mit Blick auf Infrastruktur, Regierungsführung, Vernetzung, Mobilität, Wohnraum, Umwelt, Gesundheit und Bildung für den Wettbewerb stärker zu machen. Letztlich ist das Ziel, Investitionen zu steigern und dafür zu sorgen, dass die Menschen besser leben können.
In welchem Maße sind SEZ dann noch auf Ausfuhren ausgerichtet?
Das hängt vom Entwicklungsstand eines Landes ab. Herkömmliche SEZ in gering entwickelten Ländern sind weiterhin stark exportorientiert, aber SEZ in höher entwickelten Ländern sind mehr auf Strukturwandel ausgerichtet. Japan hat 2013 zu diesem Zweck National Strategic Special Zones eingeführt.
Wohin geht der Trend?
Noch mehr SEZ sollten darauf ausgerichtet werden, Industriecluster zu bilden, und zwar grenzüberschreitend, sowie innerhalb von Ländern. Ein Beispiel ist in den Niederlanden die Brainport Eindhoven Region, die aus Eindhoven und 20 umliegenden Gemeinden besteht. Ihr Innovationssystem stützt sich auf die Zusammenarbeit von Unternehmen, Staat und Wissensinstitutionen. Public-private-Partnerships und interdisziplinäre Ansätze sind üblich. Große Nähe, niedrige Schwellen und hohes wechselseitiges Vertrauen treiben Innovation an.
Jong Woo Kang arbeitet als Ökonom bei der Asian Development Bank und war der Leiter des Teams, das den Asian Economic Integration Report 2015 mit einem Sonderkapitel über Sonderwirtschaftszonen verfasst hat.
jkang@adb.org
Link
Asian Economic Integration Report 2015:
https://aric.adb.org/aeir