Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Entschuldungspolitik

Historisches Vorbild

In ihrem diesjährigen Schulden­report erinnern die Kindernothilfe und das Bündnis erlassjahr.de an das vor 60 Jahren geschlossene Entschuldungsabkommen für die Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie fordern ähnlich faire und transparente Entschuldungsvereinbarungen für Entwicklungsländer.
Touristen bringen Jamaika Devisen. Bill Bachmann/Lineair Touristen bringen Jamaika Devisen.

Im Februar 1953 unterzeichnete die Regierung der hochverschuldeten Bundesrepublik Deutschland das Londoner Schuldenabkommen. Rund 70 Gläubigerstaaten verzichteten damals auf Forderungen, die teilweise noch aus Vorkriegszeiten stammten. Insgesamt beliefen sich die Schulden auf rund 30 Milliarden D-Mark. Nach zähen Verhandlungen reduzierten sich Deutschlands Auslandsschulden um mehr als die Hälfte. Das trug dazu bei, den Wiederaufbau des
zerstörten Landes voranzubringen und das Wirtschaftswunder der 1950er und 1960er Jahre zu ermöglichen.

Heute argumentieren die Kindernothilfe und erlassjahr.de, hierzulande habe die Öffentlichkeit vergessen, dass Westdeutschland damals – ähnlich wie Griechenland oder afrikanische Länder derzeit – unter hohen Schulden litt und dass der Neustart nicht allein dank deutscher Tüchtigkeit gelang.

Der Schuldenerlass habe damals den Aufschwung finanziert, urteilt Jürgen Kaiser, der politische Koordinator von erlassjahr.de. Das sei ein Akt der politischen Vernunft gewesen. Die USA hätten eine starke Bundesrepublik als Verbündeten im Kalten Krieg gebraucht. Schuldenrückzahlung sei zudem daran geknüpft worden, dass deutsche Exporte zu Deviseneinnahmen führten. Das sei auch ein Anreiz für Gläubigerländer gewesen, deutsche Waren zu importieren. Bei heutigen Entschuldungsvereinbarungen sei das anders, moniert Kaiser. Kindernothilfe und erlass­­­­­­-
jahr.de halten die damalige Entschuldungspolitik für vorbildlich.

Aus Sicht der beiden zivilgesellschaftlichen Organisationen bestehen weltweit akute Überschuldungsrisiken. Die Öffentlichkeit interessiere sich derzeit vor allem für die Eurokrise und übersehe, dass auch Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika Überschuldung droht, kritisiert Patrick Weltin von erlassjahr.de. Er beurteilt volkswirtschaftlich relevante Schuldenrisiken anhand vom Internationalen Währungsfonds (IWF) klar definierter Indikatoren. Relevant sind vor allem:

  •  das Verhältnis der Auslandsschulden zu den Exporterlösen (wobei 25 Prozent als kritische Schwelle gilt),
  • das Verhältnis der Außenschuldendienste (Zinsen und Tilgung) zu den Exporterlösen (200 Prozent) und
  •  das Verhältnis der Staatsverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt (78 Prozent).


Untersucht wurden für den Schuldenbericht 2013 insgesamt 132 Entwicklungs- und Schwellenländer, von denen 65 mindestens einen Grenzwert überschritten. Im vorherigen Schuldenbericht galt das für 44 von 117 untersuchten Ländern. Insgesamt habe sich das Überschuldungsrisiko erhöht, urteilt Weltin, denn die Zahl der Länder, bei denen zwei oder sogar drei Kennzahlen über dem Grenzwert lägen, sei gestiegen. Zudem gebe es große Kontinuität, da Problemfälle aus dem vergangenen Jahr weiterhin als solche auffielen.

Gravierende Schuldenprobleme macht Weltin bei den wenig entwickelten kleinen Inselstaaten (Small Island Developing States, SIDS) aus. Generell gilt, dass Inselstaaten stark von Exporten und Tourismus abhängen, weil sie viele Güter einführen müssen und deshalb Devisen brauchen. Sie sind Preisschwankungen auf dem Weltmarkt besonders stark ausgesetzt und spüren die Konjunktur der reichen Welt. Auch sei die Schuldenlast mancher fragiler Staaten beunruhigend. Zu diesen Ländern zählt Weltin Pakistan, Sudan und Simbabwe.

Weltin führt weiter aus, dass die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDCs) ähnliche Sorgen haben. Sie liegen überwiegend in Afrika und sind ökonomisch stark auf Europa ausgerichtet. Die Krise der Eurozone belaste diese LDCs, warnt der Autor, weil die EU ihr wichtigster Handelspartner sei.

Die Rolle sogenannter neuer Geber wie China, Indien oder Brasilien schätzt der Schuldenreport mit Blick auf andere Länder zwiespältig ein. Ihre Rohstoffnachfrage und Finanzierungsangebote hätten dazu beigetragen, die weltweite Finanzkrise in der armen Welt abzu­federn. Ihre Kredite könnten aber das Überschuldungsrisiko mancher Länder deutlich erhöhen, zumal sie nicht an internationale Stellen gemeldet werden und sich nicht an multilateralen Krite­rien orientieren.