Wachstumskritik
Anlauf zur Rettung des Planeten?
Von Barbara Unmüssig
Rio de Janeiro 1992: Die erste UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung galt einst als umweltpolitischer Meilenstein. Dennoch haben sich seither alle wichtigen globalen ökologischen Trends vom Klimawandel bis zum Verlust der biologischen Vielfalt zum Schlechteren und nicht zum Besseren gewendet. Regierungen und die Wirtschaft lassen sich bis heute bei ihren Entscheidungen kaum von Klimawandel oder Ressourcenknappheit beeinflussen. Wachstum als Weg aus der Armut und der Wirtschafts- und Finanzkrise bleibt weitgehend unangefochten. Der Wettlauf um Ressourcen jeder Art und in jedem Winkel der Erde prägt mittlerweile auch die internationale Wirtschafts- und Außenpolitik. Fossile Energien und die industrielle Landwirtschaft werden weiter ausgebaut.
Doch hat sich einiges geändert seit Rio 1992: Die Investitionen in effizientere Techniken und erneuerbare Energien steigen weltweit. Sie stellen sich als Milliardengeschäft heraus, und die Schwellenländer mischen kräftig mit. Diese grünen Innovationen und Investitionen werden als Green Economy bezeichnet.
Green Economy spielt auch bei den Vorbereitungen für die Rio+20-Konferenz, die im Juni 2012 stattfinden wird, eine zentrale Rolle. Eine sogenannte Roadmap für grünere Entwicklung soll dort gezeichnet werden. Bei den Vorbereitungen auf den neuen Erdgipfel wird jedoch darum gefochten, was Green Economy ist und wie weit sie reichen soll. Teile der Zivilgesellschaft sehen darin nichts anderes als ein weiteres ergrüntes Geschäftsfeld, das Gerechtigkeits- und Machtfragen ausblendet sowie Freihandel und Wachstum weiterhin oberste Priorität einräumt. Entwicklungs- und Schwellenländer reagieren unterschiedlich: Einige sind interessiert an neuen Investitionen und Geschäftsbereichen, andere bleiben abwehrend, weil sie fürchten, dass Green Economy zu umweltpolitisch begründetem Protektionismus führen könnte.
Green Economy – ein erster Schritt
Interessant ist, wer derzeit welche Beiträge zur Ausgestaltung der grünen Ökonomie liefert. Das UN-Umweltprogramm (UNEP) legt mit seiner Green-Economy-Initiative die weitreichendsten Vorschläge auf den Tisch. Ein im Februar 2011 vorgelegter Bericht rechnet hoch, welch positive Effekte grüne Investitionen auf Beschäftigung, Ressourcen, Emissionen und Umwelt haben könnten. Grüne Wirtschaft rechnet sich, ist die Botschaft vor allem an die Regierungen des Südens.
„Auf dem Weg zu umweltverträglichem Wachstum“ heißt das Konzept, das die OECD im Mai letzten Jahres vorlegte, und richtet sich insbesondere an die Industrieländer. Es fordert neue Wachstumsquellen, die weniger Naturkapital fressen. Die Produktion solle effizienter werden, Innovationen seien nötig, und die Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten müsse angekurbelt werden. Die OECD stellt explizit heraus, dass entsprechende Investitionen Wachstum fördern.
Positiv ist: Beide Berichte erkennen den Klimawandel und die Ressourcenknappheit an und fordern zu schnellem Handeln auf. Effizienz und kohlenstoffärmeres Wirtschaften sehen sie als wichtige Antwort. Angesichts der leeren öffentlichen Kassen müsse der Privatsektor der Motor dieser Entwicklung sein – auch wenn es die ein oder anderen politischen Rahmenbedingungen braucht, um ökologischen Innovationen zum Durchbruch zu verhelfen.
Keiner der Berichte stellt jedoch den Imperativ nach Wachstum grundsätzlich in Frage. Wie genau eine Wachstumsökonomie aussehen könnte, die zugleich Ressourcen schont und Armut mindert, bleibt im Dunkeln. Soziale Dimensionen wie das Recht auf Nahrung, der Zugang zu Wasser, Bildung und Land finden kaum Beachtung. Grüne Ökonomie wird ausschließlich auf ökonomische Parameter wie Effizienz und Produktivität reduziert und nicht in einen Rechts- und Normenkontext eingebettet, in Verteilungs- und Machtfragen. Die Transformation, die wir dringend brauchen, muss jedoch mit politischer Entschlossenheit beginnen: Ungerechtigkeit, Armut, ressourcenfressendem Konsum sowie den Hochrisikotechnologien Atomkraft und genmanipulierter Landwirtschaft müssen Absagen erteilt werden.
Globale Agrarwende
Wie könnte das im Agrarsektor aussehen? Die industrielle Landwirtschaft ist für zwölf Prozent der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. Wenn alle Landnutzungsänderungen dazugerechnet werden, sind es sogar 32 Prozent. Sie sind Hauptursachen für den Verlust von Biodiversität und Wasserreserven, für saure Gewässer und Waldrodung. Jährlich gehen riesige landwirtschaftliche Flächen verloren, weil sie nicht nachhaltig genutzt werden. Dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) zufolge sind etwa ein Drittel der globalen Ackerflächen von Degradation betroffen.
Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach landwirtschaftlichen und tierischen Produkten stetig an, denn die globale Mittelklasse wächst und zeigt gerade beim Essen neue Konsummuster. Bis Mitte des Jahrhunderts müssen neun Milliarden Menschen trotz Klimawandel und knappen Ressourcen ernährt werden.
Die Rio+20-Konferenz räumt der Landwirtschaft daher hohe Bedeutung ein. Durch effizienten, ökologischen Anbau könnte sie Umwelt und Ressourcen schonen. Sie kann nicht nur Emissionen einsparen, sondern bei entsprechender Bewirtschaftung die eigenen Emissionen sogar zumindest teilweise kompensieren. Wenn zudem soziale und geschlechterspezifische Aspekte einbezogen werden, kann sie zur Armutsminderung beitragen. Dazu zählen Verteilungs- und Machtfragen beim Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, Beratung, Krediten und Vermarktungsstrukturen.
Im Agrarsektor wird deutlich: Das Wachstum ist begrenzt, denn Boden und Wasser sind endliche Ressourcen. Gerade in diesem Sektor darf die Diskussion um eine grüne Ökonomie deshalb nicht bei Wachstum und grünen Technologien enden. Sie muss ganz explizit die Frage nach einer gerechten Verteilung der Ressourcen stellen, nach Machtinteressen internationaler Konzerne und Eliten. Institutionelle und soziale Innovationen müssen die Machtstrukturen des Agrarsektors verändern. Wir kommen nicht darum herum, die Handels- und Investitionspolitik grundlegend zu überdenken.
Die Regierungen müssen sich bei Rio+20 deshalb auf mehrere Prinzipien einigen:
Schaden beenden:
– Alle schädlichen Subventionen müssen gestrichen werden. Dazu gehören Export-, Diesel- und Düngemittelsubventionen sowie Investitionsbeihilfen in intensive Tierproduktion.
– Länder haben nicht nur innerhalb ihrer nationalen Grenzen die Verpflichtung, Menschenrechte zu schützen. Ihre Politik darf auch keine Menschenrechte in anderen Ländern bedrohen. Handelsabkommen müssen daraufhin überprüft werden. Das „Agreement on Agriculture“ der WTO oder die bilateralen Abkommen werden dieser Anforderung noch nicht gerecht.
– Staaten müssen ökologisch und sozial wichtige landwirtschaftliche Sektoren besonders schützen.
– Private wie öffentliche Investitionen in den Agrarsektor müssen Menschenrechte und Nachhaltigkeit berücksichtigen. Investitionen und Landpacht müssen transparenten Regeln unterliegen, welche die gleichberechtigte Mitsprache aller involvierten Gruppen sicherstellen.
– Spekulation auf landwirtschaftliche Produkte muss gestoppt werden.
– Regelungen für eine gerechte und nachhaltige Agrarpolitik müssen definiert werden – zum Beispiel Tierschutzstandards, Nitratsteuern, Gewässerschutz oder der Erhalt von ökologischen Schutzgebieten.
Food first:
– Oberstes Ziel jeder Landnutzung hat die Sicherung der Ernährung für alle zu sein. Dies muss in jeder Landwirtschafts- und Landnutzungspolitik verankert werden. Auch politische Maßnahmen, wie die Beimischungsquote der EU für Agrartreibstoffe, müssen daraufhin überprüft werden.
Multifunktionalität und Kohärenz:
– Klimaschutz und multifunktionale Landwirtschaft müssen zusammengedacht werden. Viele Programme und Politiken sind jedoch inkohärent. So finanzieren beispielsweise Industrieländer Anpassungsprogramme an den Klimawandel in Entwicklungsländern. Gleichzeitig bauen sie Exporte – von Futtermittel, Fleisch, Lebensmitteln und Baumwolle – massiv aus, ohne die Folgen für den Klimawandel und die Bodendegradation zu beachten. Dies muss sich ändern: Klimaanpassung muss zum Mainstream werden. Alle Investitionen in Landnutzung müssen letztlich klimasensibel sein.
Produktivität:
– Um Produktivität zu steigern, dürfen nicht chemische Dünger und Gentechnik im Vordergrund stehen. Stattdessen müssen Investitionen in bessere Bodenqualität Vorrang haben, wie durch Produktion von organischem Dünger oder Schädlingsbekämpfung.
Effizienz:
– In der Landwirtschaft liegen ungeheure Effizienzpotenziale. Verluste müssen vermieden werden, vor allem beim Wasserverbrauch. Konsumenten in Industrieländern werfen 30 bis 40 Prozent der Nahrungsmittel weg. Mangels Lagerungs- und Vermarktungsstrukturen sind auch Nachernteverluste viel zu hoch. Aufklärung und Beratung können helfen.
Lebensstile:
– Wir müssen unsere Ernährungsgewohnheiten ändern. Der WBGU empfiehlt, weniger tierische Produkte zu konsumieren. Das bedeutet vor allem für Menschen in Industrieländern, dass sie weniger Fleisch essen sollten. So wird laut WBGU auch die Flächenkonkurrenz verringert.
Institutionelle Innovation:
– Die Zuständigkeiten für Ernährung im UN-System müssen gebündelt werden.
– Mit dem Weltagrarbericht 2009 setzte das International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development (IAASTD) Leitlinien für eine nachhaltige und soziale Landwirtschaft. Diese Arbeit soll fortgeführt werden.
– Nach einer wirkungsvollen institutionellen Erneuerung könnte die UNO die Aufgabe übernehmen, die menschenrechtlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Folgen technologischer Erneuerungen abzuschätzen.
Forschung umgestalten:
– Investitionen in Landwirtschaftsforschung sind verschwindend gering. Zudem wird noch immer ein großer Teil der Forschungsgelder in Produktivitätssteigerung gesteckt. Lediglich fünf Prozent werden für die Reduzierung der Nachernteverluste aufgewandt. Dafür müssten Beratungs- und Wissenssysteme erforscht werden. Denn kompetente Beratungsdienste, die auch auf die Bedürfnisse der Produzenten achten, sind noch selten.