Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Rezensionsaufsatz

Kleines Instrument, große Wirkung

Muhammad Yunus hat mit seiner Grameen Bank unter anderem erreicht, dass Mikrokredite mittlerweile weltweit zum Standardrepertoire der Entwicklungspolitik gehören. Mikroversicherungen ergänzen diese sinnvoll. Sie sichern die wirtschaftliche Existenz armer Menschen gegen die finanziellen Folgen von Krankheit oder Tod von Angehörigen ab. Seit etwa zehn Jahren beschäftigen sich Experten mit der Frage, wie Versicherungssysteme Menschen auch in Ländern mit schwach entwickelten Finanzsektoren erreichen können.


[ Von Dirk Reinhard ]

Im Jahr 2002 startete die Weltbank-nahe Consultative Group to Assist the Poor (CGAP) ihre Working Group on Microinsurance, die 2008 in Microinsurance Network umbenannt wurde. Ziel ist, das Wissen über Mikroversicherungen zu vergrößern und umfassend zugänglich machen. Wichtige Impulse kommen auch von der Microinsurance Innovation Facility der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und vom MicroInsurance Centre in den USA.

Bislang fördern nur wenige Geberorganisationen Mikroversicherungen in nennenswertem Umfang. Die Bill & Melinda Gates Foundation nimmt seit 2007 eine Vorreiterrolle ein. Ihr Leitfaden „Lessons and Recommendations for Donors Supporting Microinsurance“ (Chandani, 2008) erläutert, welche Grundsätze Geberorganisationen bei der Förderung beachten sollten. Demzufolge müssen vor allem der Bedarf und die Lebenssituation der potenziellen Kunden berücksichtigt werden.

Die International Association of Insurance Supervisors (IAIS) und das Microinsurance Network haben vor einigen Jahren eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet. Sie untersuchte 2008 unter anderem am Beispiel von Kolumbien, Indien, den Philippinen, Südafrika und Uganda, wie sich unterschiedliche Regulierungen und Arbeitsweisen von Behörden auf die Verbreitung von Mikroversicherungen auswirken (Bester / Chamberlain / Hougaard, 2009). Im Ergebnis werden die Voraussetzungen für einen geeigneten gesetzlichen Rahmen zur Förderung der Mikroversicherungen deutlich. Es hat sich gezeigt, dass der Staat mit proaktivem Regulierungsansatz die Verbreitung von Mikroversicherungen fördert. Unsichere Gesetzeslagen wirken dagegen hinderlich. Ende vergangenen Jahres startete diese Arbeitsgruppe zusammen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Access to Insurance Initiative, deren Sekretariat bei der GTZ angesiedelt ist.

Praktische Tipps

Im Zuge des „The Good and Bad Practices“-Projekts veröffentlichte das Microinsurance Network 25 Fallstudien (CGAP Working Group on Microinsurance, 2004 – 2006) über die Erfahrungen mit bestehenden Mikroversicherungssystemen. Darin wurde erstmals untersucht, welche Faktoren die Einführung be­güns­tigen und welche sie behindern.

Das Kompendium „Protecting the Poor“ (Churchill, 2006) fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen und gibt den bislang umfassendsten Überblick über das Themengebiet. Das Buch kann kostenfrei aus dem Internet heruntergeladen werden und liegt mittlerweile auf Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch vor. Es erläutert unterschiedliche institutionelle Optionen, erklärt die Rollen der wichtigsten Akteure und erörtert, wovon eine nachhaltige und effiziente Verwaltung von Mikroversicherungen abhängt.

Zur Bewertung der Leistung von Mikroversicherungssystemen sind Indikatoren nötig. Seit 2006 definiert eine gemeinsame Projektgruppe der Belgischen Raiffeisenstiftung (BRS) zusammen mit der luxemburgischen Nichtregierungsorganisation ADA entsprechende Kennzahlen. Nach umfassenden Tests durch Experten hat die Projektgruppe neun Grundsätze und zehn Messgrößen im Handbuch „Performance Indicators for Microinsurance“ (Garand / Wipf, 2008) veröffentlicht. Das Buch erläutert ausführlich Berechnung und Anwendung dieser Messgrößen und erweist sich als ein wichtiges Instrument für Praktiker. BRS und ADA bieten auch Seminare zu dem Thema an.

Eines der größten Hemmnisse für Entwick­lung und Verbreitung von Mikroversicherungen war bislang, dass die Prämien zwar gering, die Verwaltungskosten aber hoch sind. Mit dem Einsatz moderner Technologien können Anbieter von Mikroversicherungen den Aufwand erheblich senken. Krankenversicherer verwenden deshalb zunehmend Smart-Cards, auf denen wichtige Daten gespeichert sind. In Südafrika versuchen Anbieter von Mikroversicherungen, die Prämienzahlung über die inzwischen sehr weit verbreiteten Mobiltelefone abzuwickeln.

Untersuchungen zeigen jedoch, dass Technik nicht immer optimal zum Einsatz kommt (Berende / Gerelle 2008). Manche Mikroversicherer entwickeln eigene Lösungen neu, obwohl sie (genauso oder ähnlich) anderswo bereits existieren. Die ILO-Studie „Technology for Microinsurance“ beschreibt anhand von Fallbeispielen den effizienten IT-Einsatz in der Praxis. Sie nennt auch wichtige Faktoren für die Kosten-Nutzen-Rechnung.

Enormes Potenzial

Wie groß der potenzielle Markt für Mikroversicherungen ist und wie viele Menschen bereits Zugang dazu haben, erhellte erstmals die Studie „The Landscape of Microinsurance in the World’s Poorest 100 Countries“ (Roth / McCord / Liber, 2007). Demnach konnten 2007 weniger als 80 Millionen Menschen, also weniger als drei Prozent der Bevölkerung dieser Länder, Versicherungsprodukte nutzen. Rund drei Viertel der Versicherten kamen aus China und Indien. Lebens- und Krankenversicherungen machten den Hauptanteil der Versicherungen aus.

Auch in der Klimadiskussion spielen Mikroversicherungen zunehmend eine Rolle. Dabei geht es um Agrarversicherungen. Das Instrument ist allerdings hoch komplex, weshalb es erst wenige ausgereifte Angebote gibt. Das Buch „Agricultural Microinsurance: Global Practices and Prospects“ (Roth / McCord, 2008) führt in das Thema ein. Es beschreibt Fallbeispiele und listet entscheidende Bedingungen für den Erfolg dieses Instruments auf.

Die Studie „The Landscape of Microinsurance in Africa“ (Matul / McCord / Phily / Harms, 2009) beruht auf der Aktualisierung einer Erhebung von 2007. In Afrika gibt es bereits seit Jahrzehnten so genannte informelle Versicherungen, beispielsweise die „Friendly Societies“ in Südafrika zur Deckung von ­Be­erdigungskosten. Infolge der „Bamako Initiative“ zur Verbesserung der Gesundheitssysteme entstanden Ende der 80er Jahre zahlreiche genossenschaftliche Krankenversicherungssysteme. Mitte der 90er Jahre begannen kommerzielle Versicherer – insbesondere in Südafrika –, diesen Markt zu entdecken.

In der Praxis überwiegen in Afrika aber bei weitem preisgünstige Lebensversicherungen zur Absicherung von Bankdarlehen beim Tod des Kreditnehmers. Auf die Bereiche Gesundheit, Landwirtschaft und Sachversicherung entfällt nur ein Bruchteil der abgeschlossenen Verträge. Im größten Teil des Kontinents gibt es aber kaum Mikroversicherungen. Dabei besteht durchaus Bedarf: Ende 2008 waren erst 14 Millionen Arme versichert. Das entsprach zwar einem Anstieg um 80 Prozent seit 2005, aber trotzdem wurden erst 3,5 Prozent von 400 Millionen potenziellen Kunden in Afrika erreicht.

Der Bedarf ist riesig und die Wachstumsraten sind hoch. Dennoch bleibt der Zugang zu Versicherungen noch sehr limitiert. Ohne ein Engagement insbesondere der kommerziellen Versicherungsbranche werden Mikroversicherungen langfristig keinen Erfolg haben. Das legt der Band „Visions of the Future of Microinsurance“ (McCord, 2008) dar. Nur wenn langfristig deutlich mehr Menschen erreicht werden, können die Kosten so weit sinken, dass tragfähige Mikroversicherungskonzepte zur Absicherung der wichtigsten Risiken für Arme nachhaltigen Erfolg haben.

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