Soziale Sicherung
Schutz für Arme
Von Markus Bär
Mikroversicherungen ermöglichen armen Menschen in Entwicklungsländern für nur wenige Dollar im Monat eine Absicherung gegen elementare Lebensrisiken. Sie funktionieren im Prinzip wie gewöhnliche Versicherungen. Es gibt
– Versicherer, die das Schadensrisiko tragen,
– Versicherungsnehmer, die Prämien bezahlen und im Schadensfall abgesichert sind, und
– Vermittler, die Versicherer und Versicherungsnehmer in Kontakt bringen und zugleich als Vertrauenspersonen fungieren.
Die Vermittler helfen den Versicherungsnehmern, die Produkte zu verstehen oder Auszahlungsanträge zu formulieren. Häufig sind lokale Organisationen als Vermittler tätig. Das können Dorfgemeinschaften oder Kirchengemeinden sein, aber auch kommerzielle Anbieter wie Telekommunikationsunternehmen oder Groß- und Einzelhändler. Persönliche Unglücksfälle sind für arme Menschen oft gravierender als für Wohlhabende. Häufig hängt das Familieneinkommen von einer einzigen Person oder Erwerbsgrundlage ab (etwa Ackerbau oder Fischfang). Ein Unfall, eine Krankheit oder eine schlechte Ernte können ganze Familien, die bis dahin einigermaßen zurechtgekommen sind, tief ins Elend stürzen. Weil sie kaum finanzielle Reserven haben, sind die Betroffenen unter Umständen gezwungen, Land oder andere Vermögenswerte zu verkaufen, die ihre Existenzgrundlage bilden.
Deshalb sind arme Menschen in der Regel weniger risikobereit als wohlhabende. Eine Folge ist, dass es ihnen oft nicht gelingt, sich neue Einkommensquellen zu erschließen und sich aus der Armut zu lösen. Viele Kleinbauern nutzen lieber weiterhin ineffiziente Anbaumethoden und pflanzen wenig ertragreiche Getreidesorten an, als etwas Neues zu wagen.
Allerdings lässt sich mit traditionellen Agrarmethoden die wachsende Bevölkerung vieler Regionen nicht versorgen. Die hohe Landflucht unterhöhlt derweil die traditionellen sozialen Strukturen, die den Individuen eine gewisse Sicherheit geboten haben. Entsprechend werden andere Absicherungsmöglichkeiten nötig.
Mikroversicherungen schützen Versicherungsnehmer vor den Folgen unerwarteter Schadensfälle. Sie erlauben ihnen deshalb auch, wirtschaftlich aktiver zu handeln und sich neue Einkommensquellen zu erschließen. Viele arme Menschen sparen ihr weniges Geld bislang für etwaige Krankheitskosten. Eine Versicherung wäre billiger und böte besseren Schutz.
Unterentwickelter Markt
Trotz des offensichtlichen Nutzens von Mikroversicherungen ist der Markt bisher kaum entwickelt. Noch 2007 waren in den hundert ärmsten Ländern der Welt im Durchschnitt weniger als fünf Prozent aller Menschen grundversichert. Um dieses wichtige, aber schwierige Geschäftsfeld voranzubringen, hat sich die KfW Entwicklungsbank mit anderen öffentlichen und privaten Investoren zusammengetan und den Beteiligungsfonds LeapFrog gegründet (siehe Kasten).
Die Unterentwicklung dieses Marktsegments hat viele Gründe. Der wichtigste ist, dass Mikroversicherungen viel komplizierter sind als kleine Spar- und Kreditprogramme. Versicherungsanbieter müssen diverse Risiken präzise abschätzen und den Eintritt von Schadensfällen eindeutig beurteilen können. Gerade im ländlichen Raum sind die Daten aber oft nicht zuverlässig. Selbst im städtischen Raum sind viele arme Menschen nicht amtlich gemeldet. Sie haben keine Ausweise und oft auch keine Adresse – von Bankkonten ganz zu schweigen. Zugleich haben sie niedrigere Lebenserwartungen und werden häufiger krank als bessergestellte Zeitgenossen.
Die Vertriebs- und Verwaltungskosten von Mikroversicherungen sind aus diesen Gründen meist recht hoch, wohingegen die Prämien gering sind. Folglich muss das Geschäftsmodell von Mikroversicherungen sehr effizient sein. Lokale Organisationen sind als Vermittler zwischen Versicherungsunternehmen und ihren Kunden oft unabdingbar.
Im Versicherungswesen ist Größe viel wichtiger als im Bankwesen, denn sie trägt dazu bei, Risiken rechnerisch auf viele Schultern zu verteilen. Wäre eine Agrarversicherung zum Beispiel nur in einer einzigen Region tätig, könnte sie schon ein einziges Unwetter überfordern, weil auf einen Schlag alle Kunden Schadensfälle melden würden. Typisch für das Mikroversicherungswesen ist deshalb die Kooperation lokaler Vermittler, die ihre Kunden und ihre Lebensverhältnisse kennen, mit großen Versicherungsunternehmen, die ihre Risiken breit streuen.
Bisher konzentrieren sich jedoch viele Versicherungsunternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern auf das profitable konventionelle Geschäft mit den wachsenden urbanen Mittelschichten. Sie scheuen die Risiken des wenig erprobten Mikroversicherungsgeschäfts.
Skepsis potenzieller Kunden
Auch auf der Nachfrageseite gilt es Hindernisse zu überwinden. Potenzielle Kunden wissen oft nur wenig über Versicherungen und haben folglich auch kein Vertrauen. Vielen Kulturen ist das Konzept fremd. Das beeinträchtigt das Wachstum der Branche.
Mikrokredite lassen sich leichter vermarkten als Mikroversicherungen. Während bei Mikrokrediten das Finanzinstitut in Vorleistung tritt, zahlt bei einer Mikroversicherung der Kunde im Voraus. Er muss darauf vertrauen, dass der Anbieter seriös und solide ist. Das ist gerade für arme Menschen ein riesiger Schritt.
Auch bringen Mikroversicherungen, anders als Kredite, nicht in jedem Fall einen wirtschaftlichen Vorteil. Tritt der versicherte Schaden nicht ein, zahlt die Versicherung auch nicht. Das finden viele Kunden unattraktiv. Die Anbieter müssen intensiv daran arbeiten, dass die Kunden die Vorteile einer Versicherung verstehen und Vertrauen in den Anbieter entwickeln.
Mikroversicherungen sind kein Allheilmittel gegen Armut. Sie können Menschen ein sichereres, selbst-bestimmteres und würdevolleres Leben ermöglichen. Für ihren Erfolg ist neben Kapital eine langfristige und verlässliche Begleitung des Marktes durch Investoren notwendig. Auch braucht der junge Sektor viel Expertise und technische Unterstützung. Deshalb ist die Zusammenarbeit öffentlicher und privater Partner, wie LeapFrog sie praktiziert, in diesem Gebiet ausgesprochen sinnvoll.