Kommentar

Revolution ohne Machtwechsel

Nach der Euphorie über den Sturz Hosni Mubaraks regt sich in Ägypten zunehmend Kritik an der Übergangsregierung. Viele fragen sich, ob tatsächlich eine neue demokratische Ordnung entsteht.


Von Andreas Jacobs

Der bekannte ägyptische Autor Alaa El-Aswany drückt es so aus: „Wir hatten eine erfolgreiche Revolution, aber sie ist nicht an der Macht. Stattdessen haben wir die Armee damit beauftragt, diese Revolution zu verwalten.“ Nach wie vor rechnen viele Ägypter ihrem Militär hoch an, dass es sich während des Umbruchs im Januar und Februar zunächst zurückhielt, dann den Präsidenten absetzte und schließlich einen demokratischen Wandel versprach. Gut vier Monate später fragen sich aber immer mehr Menschen, ob der Hohe Militärrat und seine Übergangsregierung tatsächlich einen demokratischen Wandel fördern oder doch nur ihre eigenen Interessen sichern.

Kritik an der Armee kam erstmals auf, als die Militärpolizei am 9. März den Tahrir-Platz gewaltsam von Demonstranten räumte und dabei fast 200 Aktivisten festnahm. Schlagstöcke und Elektroschockgeräte sollen zum Einsatz gekommen sein. Frauen berichteten von Vergewaltigungsdrohungen und sexueller Misshandlung. Seit dem Sturz Mubaraks sind laut Menschenrechtsorganisationen mehrere tausend Personen verhaftet und von Militärgerichten in Eilverfahren zu teils hohen Haftstrafen verurteilt worden. Laut Pressemeldungen sind in den vergangenen Wochen vier Menschen in Polizeigewahrsam gestorben. Im Juni kündigte die Regierung ein Gesetz an, um Streiks und Demonstrationen mit hohen Strafen zu ahnden.

Auch die Medien spüren den repressiven Druck. Sachliche Kritik am Militär, so eine offizielle Stellungnahme, werde man in den Medien zwar dulden, Beleidigungen oder Verunglimpfungen aber unverzüglich ahnden. In der Praxis wird die Definition von sachlicher Kritik eng ausgelegt. In den vergangenen Wochen kündigte der Hohe Militärrat Verlagen und Sendern gegenüber eine Zensur von Beiträgen über das Militär an. Mehrere bekannte Journalisten wurden bereits einbestellt und befragt, die Ausstrahlung unliebsamer Talkshows gestoppt.

Regierungsvertreter rechtfertigen diesen Kurs mit der notwendigen Herstellung von Sicherheit, Ordnung und Wirtschaftskraft. Tatsächlich braucht das Land dringend Investitionen und Touristen. Preise, Armut und Arbeitslosigkeit steigen zum Teil rapide. Gleichzeitig häufen sich die Spannungen zwischen den Religionsgruppen und die Berichte über Gewalttaten.

Aber es geht auch um handfeste Eigeninteressen des Militärs, in dessen Händen sich nach Expertenmeinung mindestens ein Drittel der ägyptischen Volkswirtschaft befindet. Unternehmer in Uniform produzieren fast alles – vom Auto bis zum Mineralwasser. Immobiliengeschäfte haben in den vergangenen Jahren den Reichtum der Generäle gemehrt. Die Wahrung solcher Interessen scheint wie eine rote Linie, die keine Reform antasten soll.

Vor allem liberale und säkulare Ägypter äußern mittlerweile Skepsis. Ende Mai organisierten fast 400 ägyptische Blogger eine „Internet-Demonstration“ gegen den Hohen Militärrat. Der Unmut richtet sich nicht nur gegen Zensur und Kontrolle, sondern auch gegen den von der Regierung vorgegebenen politischen Fahrplan. Die Einberufung von Parlamentswahlen im September und die Verschiebung eines Verfassungsprozesses, so viele Beobachter, begünstigten Islamisten und Vertreter des alten Regimes. Die Bevölkerung werde derweil mit Versprechen, Subventionen und Schauprozessen gegen den ­Mubarak-Clan und dessen Günstlinge ruhig­­gestellt.

Fareed Zakaria von CNN und Time ­Magazine bezeichnet das Land bereits als „Militärdiktatur“. Dieses Urteil wird den gewonnenen Freiheiten und der Entschlossenheit der ägyptischen Demokratiebewegung nicht gerecht. Aber der Respekt vor deren Zivilcourage darf nicht den Blick auf die Realität verstellen. Ägypten hat eine Revolution erlebt, aber keinen wirklichen Machtwechsel. Hinter den Kulissen agiert nach wie vor der alte Apparat. Neu ist sicherlich, dass viele Militärs den Druck der Straße fürchten und die Notwendigkeit von Veränderungen erkennen. Sie scheinen bereit, mehr Freiheit und Mitbestimmung zu erlauben, solange Machtposition und Privilegien der Armee nicht in Frage gestellt werden. Ob das reicht? Die entscheidenden Impulse für die künftige Entwicklung müssen von der Zivilgesellschaft kommen.