Editorial

Praxis und Predigt

Mächtigen Menschen und Institutionen fällt es nicht unbedingt auf, wenn ihre Glaubwürdigkeit erodiert. Die Regierungen der reichen Industriena­tionen müssen bald aufwachen – oder sie verlieren jeglichen Führungsanspruch.

Von Hans Dembowski

Die Entwicklungsländer wissen nicht, was sie in den nächsten sieben Jahren als Kompensation für den Treibhauseffekt bekommen werden. Feste Zusagen machten die Industrienationen beim Klimagipfel in Kopenhagen nur für 2010 bis 2012. Obendrein stellten sie in Aussicht, von 2020 würden jährlich 100 Milliarden Dollar fließen. Grundsätzlich steht derweil längst fest, dass die hoch entwickelten Volkswirtschaften
– die Hauptverursacher der steigenden Temperaturen sind,
– arme Gesellschaften beim Klimaschutz über herkömmliche Entwicklungshilfe (ODA) hinaus unterstützen müssen und
– nicht zulassen dürfen, dass letztere die Hauptopfer werden.

All das ist seit dem ersten Rio-Gipfel klar. Er setzte – anders als sein müder Abklatsch in diesem Juni (siehe Presseschau in dieser Ausgabe) – deutliche Zeichen. Leider haben die reichen Nationen ihre Versprechen von 1992, den Ausstoß von Klimagift zu senken und den ökologischen Wandel in Entwicklungsländern zu fördern, aber nicht einmal halbherzig erfüllt. Das Kyoto-Protokoll, das später Reduktionspflichten festschrieb und den Handel mit eingesparten Emissionen ermöglichte, war unambitioniert – und wurde von den USA nicht ratifiziert. ­Viele andere Staaten taten das, erfüllten aber ihre Pflichten nicht.

Mittlerweile ist der Klimawandel nicht mehr zu verhindern. Besonders arme Länder leiden unter immer verheerenderen Stürmen, Fluten und Dürren. Es ist Konsens, dass benachteiligten Staaten Unterstützung für die Anpassung an den Treibhauseffekt über sonstige Hilfe hinaus zusteht. Von 2010 bis 2012 ­sagten reiche Nationen dafür aber nur 3 Milliarden Dollar zu – lächerlich wenig.

In armen Ländern erzeugen hohle Versprechen Unmut. Ob es nun um die entwicklungsfreundliche Neuregelung des Welthandels geht, um das Versprechen 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung reicher Länder für ODA zu nutzen oder dessen aktuelle Vermengung mit der „zusätzlichen“ Klimafinanzierung – Entscheidungsträger aus Entwicklungsländern sind Enttäuschungen gewohnt. Ihnen ist auch bewusst, dass heutige Macht- und Einkommensverhältnisse Wurzeln in der Kolonialzeit haben. Die Öffentlichkeit der reichen Welt hat das vergessen und hält die Entwicklungspolitik irrtümlicherweise für ein Zeichen von Großherzigkeit.

Deutschland steht klimapolitisch gut da und hat nenneswerte Kyoto-Pflichten erfüllt. Dazu trug in den neuen Bundesländern der Kollaps der Ostblockwirtschaft bei, aber dennoch zeichnen heute hohe Produktivität, vergleichsweise niedrige Arbeitslosigkeit und große Exporterfolge die hiesige Volkswirtschaft aus. Das zeigt, dass eine moderne Industriegesellschaft durchaus Emissionen senken und zugleich wettbewerbsfähig bleiben kann. Spannend sind zudem Atomausstieg und Energiewende. Beobachter wissen, dass Deutschland auf eben die Techniken setzt, die reiche Regierungen gern armen empfehlen.

Peinlich ist derweil, wie sich manche Industrienationen hinter Schwellenländern verstecken – gerade so, als könnten sie für Klimaschutz nichts tun, wenn China, Indien, Brasilien und andere ihre Emissionen nicht auch senken. Es stimmt, dass aufstrebende Volkswirtschaften eher früher als später Emissionen werden begrenzen müssen. Aber wenn etablierte Mächte, die ökonomisch und technisch immer noch großen Vorsprung haben, führen wollen, müssen sie mit gutem Vorbild vorangehen. Keine Predigt überzeugt ohne Praxis.