Regionale Integration
Mangelnde Bodenhaftung
[ Von Claudia Isabel Rittel ]
In puncto Sicherheitspolitik hat sich in Afrika in den vergangenen Jahren viel getan. Mit der Gründung der Afrikanischen Union im Jahr 2002 haben die Mitgliedsstaaten sich vom Prinzip der Nichteinmischung distanziert, das ihre Vorgängerin, die Organisation Afrikanischer Einheit, charakterisierte. Neue Gremien wie der Friedens- und Sicherheitsrat wurden geschaffen und Soldaten der AU sind an verschiedenen Missionen beteiligt (siehe dazu E+Z, 2008/05, S. 212 f).
Weitaus schwieriger gestaltet sich die wirtschaftliche Integration. Es gibt eine Vielzahl an Organisationen, die sich dieses Ziel auf die Fahnen geschrieben haben: der gemeinsame Markt Ost- und Südafrikas (COMESA) und die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) im Osten, die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC) im Süden, die Zentralafrikanische Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (CEMAC) im Zentrum und die Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) und die Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (UEMOA) im Westen. Insgesamt gibt es acht Regionalorganisationen, die unterschiedlich erfolgreich sind. Im vergangenen Jahr haben sich COMESA, SADC und EAC zusätzlich zur Afrikanischen Freihandelszone zusammengeschlossen.
Doch die Vielfalt hat Nachteile. So gehören einige Länder mehreren Organisationen mit ähnlichen Zielen an. Kenia, Tansania und Uganda beispielsweise engagieren sich sowohl in der COMESA als auch der EAC, die beide jeweils eine Zollunion und ein gemeinsames Zahlungssystem anstreben. Zwei Zollunionen anzugehören ist mit großem administrativem Aufwand vielleicht machbar. Die Teilnahme an zwei Währungssystemen zugleich ist unmöglich.
Verwirrung auch im Westen: Alle Länder der UEMOA sind zugleich Mitglieder von ECOWAS. Die UEMOA hat mit dem CFA-Franc eine gemeinsame Währung, die noch auf die Kolonialzeit zurückgeht. Der CFA-Franc ist in ECOWAS-Ländern, die nicht zur UEMOA gehören, nicht gültig. Fünf von ihnen – unter ihnen auch Nigeria – planen seit 2000 ihre eigene Währung, den Eco. Immer wieder wurde seine Markteinführung verschoben, weil die beteiligten Länder nicht die entsprechenden Kriterien erfüllten. Anderseits gibt es in der angrenzenden CEMAC einen CFA-Franc, der zwar eine eigene Währung ist, aber einen identischen Wechselkurs hat.
Künftig müssen sich die Länder, die mehreren Organisationen angehören, wohl für eine entscheiden. Professor Helmut Asche, der an der Universität Leipzig Wirtschaft und Politik Afrikas lehrt, prognostiziert, dass sowohl COMESA als auch SADC untergehen werden. „Glücklicher Gewinner“ wird seiner Meinung nach die EAC sein.
Neben Doppelmitgliedschaften gibt es weitere Schwierigkeiten. So wird das Budget der Afrikanischen Union, das 2008 rund 150 Millionen Dollar betrug, fast vollständig aus externen Quellen bestritten – und sie braucht mehr Geld. „Es ist ein Skandal, wie wenig auch reiche Mitglieder an die AU zahlen“, sagt João Gomes Porto vom Afrika-Zentrum für Friedens- und Konfliktstudien an der Universität Bradford. Auch das Budget der „Intergovernmental Authority on Development“ (IGAD), der mehrere ostafrikanische Länder angehören, kommt größtenteils aus dem Ausland: 60 Prozent steuert USAID bei, 30 Prozent sind deutsche Entwicklungshilfe, und lediglich zehn Prozent zahlen die Mitgliedsstaaten selbst.
Konkurrenz und Misstrauen
Die Vielfalt der Regionalorganisationen führt zu Abgrenzungsproblemen – sowohl der Organisationen untereinander als auch mit der AU. So gehen die Meinungen darüber auseinander, ob die Vereinten Nationen in erster Linie mit der AU zusammenarbeiten sollen oder auch mit Regionalorganisationen. Zwar haben beispielsweise ECOWAS und IGAD als erste auf dem Kontinent Systeme zum Konfliktmanagement entwickelt. Doch da die AU inzwischen auf dem Gebiet aktiv ist, fühlt sie sich übergangen, wenn sie nicht die erste Ansprechpartnerin der UN ist. Konkurrenz ruft Misstrauen hervor, wo Vertrauen notwendig ist: nämlich bei der Übertragung von Hoheitsrechten.
Wenn Staaten Hoheitsrechte abgeben, verlieren sie Macht und Kontrolle. Das ist aber Voraussetzung für erfolgreiche Integration. Regierungen, die Integration ernsthaft betreiben, müssen auch Entscheidungen umsetzen, die ihnen nicht gefallen. Und sie müssen akzeptieren, dass den Gemeinschaftsinstitutionen eine Eigendynamik inne wohnt. Das belegen derzeit die regionalen Gerichte am deutlichsten. Ursprünglich geschaffen als Schlichtungsinstanzen für Handelsfragen, befassen sie sich bisher vor allem mit Menschenrechtsfällen.
Wie Gerichtsentscheidungen bisweilen einfach blockiert werden, verdeutlicht ein Beispiel aus Simbabwe. Farmer hatten gegen die Enteignung durch Robert Mugabe vor dem SADC-Tribunal geklagt und Recht bekommen. Mugabe jedoch bezeichnete die Entscheidung des internationalen Gerichts als „Nonsense“ und sagte: „Unser Land ist nicht dem SADC-Tribunal unterworfen“ (Originalzitat: „Our land is not subject to the SADC-tribunal“). Simbabwe ist Vollmitglied dieses Staatenverbunds.
Es kommt auf die politische Elite an. Doch die wird heftig kritisiert. Der Politikwissenschaftler John Emeka Akude etwa bezeichnet sie als „beschämend“, weil sie sich nicht für das Wohlergehen ihrer Länder interessiere sondern nur Eigeninteressen verfolge. George W. Kanyeihamba, ein ehemaliger Richter des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, berichtet von anderen Schwierigkeiten. Viele Regierungen achteten nur darauf, dass sie jemand vertrete, der absolut loyal sei. Kreative und innovative Lösungen kämen so nicht zustande.
Aber da ist auch eine junge Elite, die die Dinge pragmatisch betrachtet. Zu ihr gehört der stellvertretende Direktor des Afrikaprogramms von Amnesty International, Tawanda Hondora. Er weist darauf hin, dass der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte, der 2006 seine Arbeit aufgenommen hat, der erste Versuch gewesen sei, überhaupt eine kontinentale Menschenrechtsinstitution ins Leben zu rufen. „Wir haben aus den Fehlern gelernt“, sagte er bei den Potsdamer Frühjahrsgesprächen, die die Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF), das Renner-Institut, die Zeitschrift Welttrends und das Entwicklungspolitische Forum von InWEnt veranstalteten.
Der 26-jährige J. B. Cronje aus Südafrika, der beim Zentrum für Handelsrecht des südlichen Afrikas arbeitet, gibt sich dagegen skeptisch. Für die Bildungselite bestünden schlicht nicht genug Anreize, sich in der Politik zu engagieren. Denn Funktionäre, die mehr wissen als ihre Kollegen, würden schnell als Bedrohung wahrgenommen. Da viele Hochschulabsolventen lieber in die Wirtschaft gingen, würden Regierungsinstitutionen intellektuell ausgedünnt.
Der Erfolg der afrikanischen Integration wird letztlich auch davon abhängen, ob die Regierungen souveräner Staaten in nationales Recht umsetzen, was sie untereinander abgesprochen haben. Wichtig ist zudem, dass innerstaatliche Verfahren dazu taugen, Entscheidungen zu implementieren. Effektive Institutionen zu schaffen brauche Zeit, meint Thilo Marauhn von der Universität Gießen, und „ein gewisses Maß an Sturheit“.