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Interview mit Mojib Latif, Klimaforscher

„Kein klares Muster“

Das Intergovernmental Panel on Climate Change ist wegen eines Faktenfehlers in seinem vierten Assessment Report von 2007 ins Gerede gekommen. Wie Anfang des Jahres bekannt wurde, zitierte der 938-Seiten starke Bericht der Arbeitsgruppe 2 („Auswirkungen, Anpassung und Verletzlichkeit“) eine unwissenschaftliche Quelle mit der Aussage, die Himalayagletscher würden bis 2035 abschmelzen. Hans Dembowski hat den Klimaforscher Mojib Latif, der am Bericht der Arbeitsgruppe 1 („Physikalische Grundlagen“) mitgewirkt hat, zu den Folgen des Fehlers befragt.

Bedeutet es Entwarnung für Südasien, wenn die Gletscher im Himalaya nun doch nicht so schnell abschmelzen werden, wie vorhergesagt wurde?
Nein, überhaupt nicht. Die globale Erwärmung findet statt, sie ist messbar und sie ist wissenschaftlich ohne den Einfluss von Treibhausgasemissionen nicht zu erklären. Der Meeresspiegel steigt, auch daran hat sich gar nichts geändert. Was die Gletscher angeht, kann es sogar sein, dass sie doch noch schneller abschmelzen, wenn sich zum Beispiel Rußpartikel auf dem Eis absetzen und Wärme aufnehmen. Das ist jetzt aber Spekulation, keine sichere Erkenntnis. Wir müssen das, was wir wissen, immer von dem unterscheiden, was wir uns als plausibles Szenario vorstellen können.

Müssen sich die Regierungen von Entwicklungsländern in Asien und Afrika auf veränderte Monsunmuster einstellen? Die lange Trockenzeit in Indien im vorigen Jahr war ungewöhnlich – und darauf folgten besonders heftige Regenfälle.
Zuverlässige Prognosen darüber, ob und wie der Monsun sich ändert, sind heute unmöglich. Wir können nicht vorhersagen, welche Wetterlagen in Folge des Klimawandels künftig in welcher Regelmäßigkeit auftreten werden. Sie dürfen von der Wissenschaft nicht zu viel erwarten. Die Phänomene, die Sie erwähnt haben, können mit dem Treibhauseffekt zu tun haben – hätten grundsätzlich aber auch ohne ihn auftreten können. In der Vergangenheit hat es immer wieder ungewöhnliche Wetterlagen gegeben.

Das klingt, als wäre vielleicht doch alles nur halb so wild.
Nein, es ist einfach noch kein klares Muster zu erkennen. Wir können zwar nicht genau sagen, was die Folgen des Klimawandels sein werden, glauben aber, dass sie umso unangenehmer ausfallen können, je heftiger der Wandel ausfällt. Gerade die Ungewissheit ist ein Grund für zügiges Handeln.

Hat die Glaubwürdigkeit des IPCC wegen des Gletscherfehlers auf Dauer gelitten?
Das kann ich noch nicht beurteilen. Auf alle Fälle ist es wichtig, sorgfältig mit solchen Dingen umzugehen. Wir dürfen das nicht herunterspielen oder auf die leichte Schulter nehmen. Wir müssen in Zukunft genauer prüfen, welche Daten in den Bericht hineinkommen und welche nicht. Wissenschaft ist nicht verhandelbar, es gibt rigorose Kriterien, und auf die müssen wir achten. Es nützt nichts, Zahlen zu verwenden, die aus zweifelhaften Quellen stammen, nur um noch dieses oder jenes Institut aus diesem oder jenem Land mit an Bord zu holen. Diesmal kam die falsche Zahl aus einem Entwicklungsland, aber so etwas kann auch in einer reichen Nation passieren. Gerade weil die Berichte politisch folgenreich sind, müssen wir darauf achten, dass die Datenbasis stimmt.

Irren ist aber nun mal menschlich – kann es überhaupt einen völlig fehlerfreien Assessment Report mit vier Bänden, ein paar 1000 Seiten Gesamtlänge und Autoren aus der ganzen Welt geben?
Nein, natürlich nicht. Aber man kann Fehler, wenn man sie findet, benennen, und man muss aktiv nach ihnen suchen. Der Patzer mit dem Himalaya wäre zu vermeiden gewesen. Wir brauchen außerdem Korrigendum-Seiten, wo erkannte Mängel in Veröffentlichungen publik gemacht werden. Solide Wissenschaft geht mit Fehlern offensiv um, und das kann und muss das IPCC auch leisten.

Ihr Kollege Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung meint, das IPCC solle ganz von politischen Einflüssen befreit werden und sein Vorsitzender, Rajendra Pachauri, solle zurücktreten. Wie sehen Sie das?
Zu Pachauri möchte ich mich nicht äußern. Aber in der besten aller Welten halten sich die Politiker aus den Berichten komplett heraus. Denn nur dann können wir rigorose wissenschaftliche Standards durchsetzen.

Haben Sie denn den Eindruck, dass politische Entscheidungsträger wegen dieses Fehlers das Thema Klimawandel weniger ernst nehmen?
Nein, davon merke ich nichts – übrigens auch nicht bei den Managern aus der Wirtschaft, mit denen ich ja auch immer wieder Kontakt habe. Diese Leute sehen den Fehler als das. was er ist: als vermeidbar – aber eben auch nur als einen winzigen Mosaikstein, der am dramatischen Gesamtbild nichts ändert.

Wie schätzen Sie die Selbstverpflichtungen ein, die verschiedene Regierungen Ende Januar beim UNFCCC-Sekretariat abgegeben haben? Im Grunde versprechen sie das zu tun, was sie beim Klimagipfel in Kopenhagen angeboten hatten – gehen darüber auch nicht hinaus. Die Fachwelt war sich aber einig, dass die Regierungen in Kopenhagen nicht genug angeboten hatten, um den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen.
Selbstverpflichtungen sind schön und gut, aber ein richtiges Abkommen wäre besser. Und dafür ist es ja auch noch nicht zu spät. Der Abschluss ist auch bei der nächsten Vertragsstaatenkonferenz in Mexiko in diesem Jahr noch möglich. Wenn die Politiker es mit dem Klimaschutz ernst meinen, dann können sie es dort beweisen.

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Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.