Sanktionen
Vorteile und Fallstricke von Sanktionen
Sanktionen beeinflussen nicht nur internationale Handelsströme und Beziehungen zwischen Staaten, sondern die gesamte Weltpolitik. Im Falle gewaltsamer Konflikte oder von Menschenrechtsverletzungen greifen Großmächte und Staatenbündnisse immer häufiger darauf zurück – beispielsweise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022. Niemals zuvor wurden Sanktionen so häufig eingesetzt wie heute, und noch nie wurden so viele Ziele ins Visier genommen.
Derzeit seien etwa 200 Sanktionsprogramme gegen 70 Länder in Kraft, wobei die aktivsten Anwender von Sanktionen die USA, die EU und die UN seien, schreibt der Politikwissenschaftler Christian von Soest in seinem Buch „Sanktionen – Mächtige Waffe oder hilfloses Manöver?“ Darin geht der Autor Fragen nach wie: Was leisten Sanktionen? Welche Risiken und Nebenwirkungen haben sie? Schaden sie vielleicht sogar mehr, als sie nützen? Von Soest leitet den Forschungsschwerpunkt „Frieden und Sicherheit“ am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.
Die Wirkung von Sanktionen dürfe nicht überschätzt werden, argumentiert er. Sie seien zwar ein wichtiges Machtinstrument und Ordnungsfaktor internationaler Politik, allerdings weder ein Wundermittel noch die Lösung für jedes außenpolitische Problem. Man könne nicht erwarten, dass Sanktionen zu einem sofortigen Politwechsel bei den Sanktionierten führten; sie wirkten vielmehr mittel- bis langfristig.
Von Soest unterscheidet drei Funktionen von Sanktionen:
- Coercing: das Erzwingen eines Kurswechsels;
- Constraining: das Beschränken der Handlungsmöglichkeiten, etwa durch Waffenembargos oder den Lieferstopp für wichtige elektronische Bauteile;
- Signalling: Symbolpolitik, die Sanktionierten und potenziellen Nachahmern zeigen soll, dass Rechtsverletzungen nicht geduldet, sondern teuer bestraft werden.
Herrschende Klasse umgeht Sanktionen
Wichtig ist auch die Art der Sanktion. In der Vergangenheit seien etwa Handelssanktionen oft gar nicht bei den Herrschenden im Zielland angekommen, analysiert Soest. Diese fanden Wege, die Sanktionen zu umgehen, während die Bevölkerung – insbesondere die Ärmsten – massiv unter den Beschränkungen gelitten hätten. Daher müssten Sanktionen gezielter eingesetzt werden.
Von Soest unterscheidet drei Arten von Sanktionen:
- Finanzsanktionen, etwa die Abkoppelung vom internationalen Bankensystem („De-swifting“) und die Unterbrechung von Finanzströmen,
- Handelssanktionen wie die Unterbrechung der Lieferung von Waffen und Hochtechnologien und
- Individualsanktionen gegen Personen und Organisationen.
Wie der Autor darlegt, wirken die Zwangsmittel je nach politischer Lage des sanktionierten Landes unterschiedlich. Regime mit starker Herrschaftsideologie neigten dazu, den Druck von außen als Angriff auf die gesamte Nation darzustellen. Dies könne zum sogenannten Wagenburg- oder Rally-around-the-flag-Effekt führen: Die Bevölkerung wird dazu angehalten, die eigene Regierung zu unterstützen. Die Opposition hingegen erfahre Unterdrückung durch Polizei und Militär.
Wandel beschleunigen
Unter bestimmten Bedingungen könnten Sanktionen aber auch Wandel anschieben, analysiert von Soest. Beispiel Südafrika: Hier fachten Sanktionen die Wirtschafts- und Regierungskrise des Apartheidregimes sowie die Proteste im Land weiter an, was zum Umsteuern führte.
Von Soest weist darauf hin, dass Sanktionsmächte immer die Wirkung ihrer Zwangsmittel bedenken müssten – sowohl im Zielland als auch zu Hause. Zum einen hätten Sanktionen eine innenpolitische Dimension, sowohl für die heimische Wirtschaft als auch die eigene Bevölkerung, wie beispielsweise die Diskussionen um einen schnellen Ausstieg Deutschlands aus russischen Öl- und Gaslieferungen eindrücklich gezeigt hätten. Zum anderen könnten Sanktionen auch zu Gegenmaßnahmen führen. Außerdem erwirkten sie selten einen sofortigen Kurswechsel im Zielland. Sie bräuchten daher einen langen Atem und Unterstützung im eigenen Land.
Prinzipien für Sanktionspolitik
Zu Grundregeln für die Anwendung von Sanktionen zählen laut von Soest:
- Sie sollten immer das letzte Mittel der Wahl sein – und immer nur ein Teil der Antwort.
- Sanktionsmächte sollten möglichst große Koalitionen schmieden, damit Zwangsmittel wirksam und legitim sind.
- Sanktionen müssen besser gegenüber der Bevölkerung erklärt werden; die mit ihnen verbundenen Forderungen müssen erfüllbar sein; und Sanktionsmächte müssen ihre Zwangsmittel bei einem Kurswechsel lockern.
- Es gilt, die Kosten für die eigene Wirtschaft zu bedenken und zu verhindern, dass heimische Unternehmen die Beschränkungen umgehen.
- Sanktionsmächte sollten das Ende der Zwangsmittel von Anfang an mitdenken, Ausstiegsszenarien entwickeln und Meilensteine festlegen.
- Politisch Verantwortliche sollten sich über die Schattenseiten von Sanktionen im Klaren sein. Beispielsweise schaffen harte Sanktionen immer auch ein humanitäres Dilemma. Zwangsmittel sollten daher gezielt gegen politisch Verantwortliche und ausgewählte Wirtschaftsbereiche eingesetzt werden.
- Beschlossene Sanktionen müssen konsequenter umgesetzt werden.
Es ist nicht zu erwarten, dass Sanktionen bald aus dem Repertoire internationaler Einflussnahme verschwinden werden. Sie sind Ausdruck von Konflikten, und davon gibt es derzeit weltweit mehr als genug: von den Kriegen in der Ukraine und Gaza bis hin zu Spannungen zwischen den großen Handelsmächten, allen voran den USA und China. Bedauernswert ist das nicht zuletzt, weil die Weltgemeinschaft eigentlich viel stärker an einem Strang ziehen müsste – um globale Krisen wie Klimakatastrophe und Artenverlust zu bewältigen und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs – Sustainable Development Goals) zu erreichen.
Buch
Von Soest, C., 2023: Sanktionen. Mächtige Waffe oder hilfloses Manöver? Frankfurt, Frankfurter Allgemeine Buch.
Dagmar Wolf ist Redaktionsassistentin bei E+Z/D+C.
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