Gesundheit
Gift in Kleidung und Kleidungsproduktion
Die Textil- und Modeindustrie gehört zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen. Sie ist verbunden mit der intensiven Nutzung von Pestiziden, Wasser, Energie und gefährlichen Chemikalien. Ihre Emissionen belasten Wasser, Böden und Luft. Von Herstellung bis Entsorgung hat sie gewaltige Auswirkungen auf den Planeten. Problematisch sind Rohstoffzulieferung, Vertrieb und Müllbeseitigung, welche besonders arme Weltgegenden betrifft.
Der Kleidungskonsum hat enorm zugenommen. Entsprechend wird mehr hergestellt; es fällt aber auch mehr Abfall an. Laut Value Village, einer Weiterverwertungsinitiative, landen jährlich fast 12 Millionen Tonnen Textilmüll auf Halden. Davon könnten 95 Prozent weiter genutzt oder recycelt werden – wofür aber in vielen Ländern die Vorbedingungen nicht erfüllt sind. Die Folge ist giftige Umweltverschmutzung durch Müllverbrennung oder Deponien. Besonders betroffen sind Entwicklungsländer, weil sie vielfach Altkleider aus Ländern mit hohen Einkommen importieren.
Gleichzeitig findet bis zu 90 Prozent der Kleidungsfertigung in Entwicklungsländern statt, wo Arbeitsrecht und Schutzbestimmungen entweder kaum beachtet werden oder gar nicht existieren. Die Umweltgesetzgebung ist meist ähnlich dysfunktional. Die sozialen Probleme sind wohlbekannt, und sie bestehen fort, obwohl viele Firmen sich offiziell zu strengen Standards bekennen. Die meisten Beschäftigten sind weitgehend ungebildete Frauen, die Angst um ihre Jobs haben. Zu den Hauptproblemen gehören:
- niedrige Löhne,
- lange Arbeitszeiten,
- unbezahlte Überstunden,
- kein bezahlter Urlaub,
- Ausbeutung von Kindern,
- geringe Aufstiegschancen und
- sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz.
Geschlechtsspezifische Gesundheitsrisiken
Zudem bekommt Arbeitsschutz oft nicht die gebotene Aufmerksamkeit. Manche Gesundheitsrisiken betreffen Männer und Frauen, andere sind jedoch geschlechtsspezifisch. Dazu gehören Brustkrebs, Fehlgeburten und Bluthochdruck während der Schwangerschaft. Erschwerend kommt hinzu, dass die Betroffenen oft gar nicht wissen, mit welchen Chemikalien sie in Kontakt kommen und weshalb das gefährlich ist. Die Firmen lassen sie vielfach im Dunkeln und haben auch keine Betriebsärzte, die im Krankheitsfall helfen könnten.
Bis zu 40,000 synthetische Substanzen werden in der kompletten Liefer- und Produktionskette eingesetzt. Manche sind karzinogen, mutagen oder stören das Hormonsystem. Kaum eine Produktionsstufe kommt ohne Chemikalien aus. Deren schiere Vielfalt erschwert sicheres und umweltfreundliches Management (siehe auch Hans-Christian Stolzenberg über chemische Intensivierung auf www.dandc.eu).
Pro Kilogramm Textilstoff kommen geschätzte 580 Gramm Chemikalien zum Einsatz. Färbereien allein verwenden bis zu 1600 verschiedene Substanzen, zu denen auch gefährliche wie Formaldehyd, Phthalate and perfluorierte Chemikalien zählen. Ihr Nutzen ist Fleckenschutz, Wasserdichte, Knitterschutz oder Ölresistenz.
Carbon-Disulfat wird trotz ernster Gesundheitsrisiken bei der Viskoseherstellung verwendet. Zu den möglichen Folgen gehören koronare Herzprobleme, Störungen des zentralen Nervensystems und Beeinträchtigungen der Netzhaut. Studien haben zudem gezeigt, dass manchmal der Menstruationszyklus gestört wird, die Menopause früher eintritt und andere hormonbedingte Probleme vorkommen.
Tödliche Viskose
In seinem Buch „Fake Silk” (2016) hat Paul Blanc von der University of California der Viskoseproduktion eine “tödliche Geschichte” bescheinigt, die multinationalen Unternehmen bekannt sei. Hohe Profite seien ihnen aber wichtiger als vernunftgebotene Sicherheitsbestimmungen. Das Buch berichtet von „Greenwashing“, das Viskose als umweltfreundlich ausgibt, obwohl die Produktion Gift erfordert. Zum Schutz der Beschäftigten wären strenge Umweltregeln und Arbeitsschutz nötig.
Ein weiteres Problemmaterial ist Polyester. Es ist Plastik, das aus fossilen Rohstoffen gemacht wird. Die synthetische Faser erhält durch toxische Additive gewünschte Eigenschaften. Polyester ist das meist-verwendete Material und kommt in 60 Prozent der Kleidung weltweit vor. Es ist gibt verschiedene Varianten, wobei PET in Kleidung und Verpackungen verwendet wird.
Zu den Giftstoffen in der Polyesterherstellung gehört der karzinogene Katalysator Antimon-Trioxid. Er gefährdet nicht nur im Produktionsprozess Tätige, denn Fabrikabwässer sind regelmäßig belastet und verschmutzen dann Grundwasser und Quellen. Selbst Verbraucher und Verbraucherinnen können betroffen sein, denn Experimente haben ergeben, dass für Hautkontakt konzipierte Stoffproben Antimon abgeben können (in einem früheren Aufsatz auf www.dandc.eu bin ich auf Konsumrisiken durch Chemikalien eingegangen).
Mikroplastik ist ein weiteres von Polyester und anderen Kunststoffen verursachtes Umweltproblem. Es kommt in Trinkwasser, Bier sowie in diversen Lebensmitteln einschließlich Honig, Salz und Zucker vor. Waschmaschinen spülen regelmäßig Mikroplastik aus. Es wird mittlerweile in den Ozeanen sowie Gletscher- und Polareis gefunden (siehe Sabine Balk on www.dandc.eu).
Die Branche muss nachhaltig werden
Die Textil- und Kleidungsproduktion nachhaltig zu machen, ist eine gewaltige Aufgabe. Die Industrie muss den Einsatz von Giftstoffen minimieren und dann beenden – und zwar sowohl im Herstellungsprozess als auch in den Produkten selbst. Das ist ein Gebot der unternehmerischen Verantwortung.
Es bestehen zudem ökonomische Anreize. Ein Beispiel ist der Blaue Engel. Dieses Siegel beruht auf der Gesetzgebung Deutschlands und der EU, welche unter anderem die Verwendung von Schwermetallen streng begrenzt und ganze Chemikaliengruppen ausschließt – wie etwa Chloralkane and perfluorierte Stoffe oder Alkylphenol-Ethoxylate. Außerdem dürfen beispielsweise Nanomaterialen in der Herstellung von Leder und Lederprodukten nicht verwendet werden.
Auch der IVN Leather Standard ist erwähnenswert. Der in Berlin ansässige Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN) hat ihn geschaffen. Für die Zertifizierung müssen Firmen im gesamten Produktionsprozess Kriterien erfüllen. Diverse Stoffe sind nicht zulässig – darunter auch solche, die nach den Kriterien des EU-Regelsystems REACH („Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“ – siehe Katja Dombrowski auf www.dandc.eu) zwar problematisch, aber noch nicht verboten sind.
Selbstverständlich steht Menschen weltweit und nicht nur in Europa Schutz zu. Die Industrie muss also überall Sozial- und Umweltstandards einhalten. Auch Arbeitsschutz gilt es vom Baumwollanbau bis zur Abfallentsorgung sicherzustellen.
Informationslücken
Informationslücken in den Lieferketten tragen zu den Problemen bei. Die Manager wichtiger Marken wissen zwar, bei wem sie selbst bestellten, haben oft aber nur vage Vorstellungen davon, wer in deren Zulieferung eine Rolle spiele.
Bei nachhaltigen Textilien geht es um den kompletten Produktions- und Verwendungszyklus. Auf jeder Stufe ist ökologisch- und sozialverträgliches Handeln nötig. Daraus folge auch, dass in moderne Technik investiert werden muss.
Nachhaltigkeit erfordert in der Textilwirtschaft entschlossenes Handeln im Sinne des Umweltschutzes, der sozialen Gerechtigkeit, der wirtschaftlichen Stabilität. Es geht zudem um verwandte Dinge wie die Müllentsorgung. Auf jeder Stufe verdienen die Chemieprobleme mehr Aufmerksamkeit als bisher.
Quelle
Blanc, P., 2016: Fake Silk – The Lethal History of Viscose Rayon. Yale University Press.
Interview with Brigitte Zietlow:
https://sustainfashion.info/de/interview-mit-brigitte-zietlow-umweltbundesamt-uba/
Olga Speranskaya ist eine der beiden Co-Vorsitzenden der zivilgesellschaftlichen Organisation Health and Environment Justice Support (HEJSupport), die Büros in Dachau, Moscow und Ottawa hat.
olga.speranskaya@hej-support.org