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Keine Ruhe im Ruhestand

In Nigeria ziehen immer mehr Menschen in die Stadt. Dadurch ändert sich auch die Beziehung zwischen den Generationen – ebenso wie die Betreuung alter Menschen.
Selbständige im informellen Sektor können meistens nicht viel Geld für harte Zeiten zurücklegen: Straßenverkäufer in Kano. Joe Penny/Reuters Selbständige im informellen Sektor können meistens nicht viel Geld für harte Zeiten zurücklegen: Straßenverkäufer in Kano.

Sarah Alade lebt in Ibadan, Nigeria, mit Tochter und Schwiegersohn. Geboren wurde sie in Ogbomosho, Oyo State. Sie verlor ihren Ehemann bereits vor 30 Jahren, aber als Geschäftsfrau konnte sie die Ausbildung ihrer einzigen Tochter auch selber bezahlen. Ihr Geschäft begann jedoch schlechter zu gehen, als sie an Arthritis erkrankte und wegen der heftigen Schmerzen nicht mehr regelmäßig arbeiten konnte. Jetzt, mit 82 Jahren, weiß Sarah, dass sie dennoch besser dran ist als viele andere ältere Menschen, da ihre Familie sich um sie kümmert: „Meine Tochter und mein Schwiegersohn sind keine reichen Leute, aber sie sorgen trotzdem für mich“, sagt sie.

Der 74-jährige Anthony Egwuatu hat nicht so viel Glück; er hat kein Kind, das ihn aufnehmen könnte. Er ist ein Soldat im Ruhestand und hat früher bei Friedensmissionen im Ausland gedient. Aber aufgrund der Verzögerungen bei den Rentenzahlungen ist er bettelarm. Mit einem Teil seiner Abfindung von der Armee baute er ein behelfsmäßiges Haus in dem Dorf, wo er lebt. Er ist jedoch auf den guten Willen seiner Nachbarn oder gelegentliche Pensionszahlungen angewiesen, um sein tägliches Auskommen zu haben und gesund zu bleiben.


Hohe Lebenshaltungskosten

Die meisten Nigerianer, die jetzt alt sind, haben nicht für ihr Alter vorgesorgt. In ihrer Jugend waren Ackerbau und einfacher Handel die vorherrschenden Berufe; es gab keine strukturierte Rentenplanung. Diejenigen, die zu ihren besten Zeiten genug Geld hatten, waren in der Lage, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu bezahlen. In der Regel geht es diesen Leuten nun auch im Alter gut, weil ihre Kinder finanziell bessergestellt sind und sie mitversorgen können. Aber die Mehrheit, die früher einfache Landarbeiter oder Kleinhändler waren, benötigten ihr gesamtes Einkommen zum Überleben und konnten nichts für die Zukunft beiseitelegen.

In weiten Teilen Afrikas schreiben es die kulturellen und gesellschaftlichen Normen vor, dass Kinder für ihre Eltern sorgen, wenn sie alt sind, ihnen Nahrung und Gesundheitsversorgung bezahlen und sie zu sich nach Hause holen. Die meisten Nigerianer sind überzeugt, dass Kinder mehr Segen Gottes erteilt bekommen, wenn sie sich um ihre alten Eltern kümmern und versuchen, sie glücklich zu machen. In Wirklichkeit müssen die erwachsenen Kinder jedoch oft schon kämpfen, um selber finanziell über die Runden zu kommen; für die Eltern zu sorgen ist deswegen gar nicht so einfach. Abdul Hassan, ein Beamter aus Abuja, rechnet vor, wie schwer es für Kinder ist, alleinige Versorger ihrer Eltern zu sein: „Ich schicke meinen Eltern jeden Monat 10 000 Naira (rund 67 US-Dollar). Zum Glück leben sie in ihrem eigenen Haus, deswegen brauchen sie keine Miete zu zahlen, aber ich muss ihnen auch eine Haushaltshilfe für monatlich 2000 Naira bezahlen“, erklärt er. „Ich wünschte, ich könnte noch mehr für sie tun, aber ich lebe in Abuja mit diesen wahnsinnig hohen Mieten. Ich habe außerdem Frau und Kinder, die ich versorgen muss, und all das von meinem bescheidenen monatlichen Gehalt von 140 000 Naira (934 Dollar).“

In Nigeria liegt das Rentenalter bei 65 Jahren, im öffentlichen Dienst beginnt es nach 35 Dienstjahren. Alte Leute, die für private Großfirmen oder Banken gearbeitet haben, haben von jeher Pensionen bekommen, anders als jene, die für die Regierung tätig waren. Aber viele Menschen, die früher für andere private Organisationen gearbeitet haben, sind in keiner Rentenkasse versichert.

Die Regierung hat zwar einen Rentenplan für pensionierte Beamte, aber die Unterstützungsempfänger bekommen fast nie ihr Geld – schuld ist die Korrup­tion. Viele haben schon Glück, wenn sie überhaupt ihre Abfindung bekommen. Es gibt Berichte von Rentnern, die aus Erschöpfung zusammen gebrochen sind, als sie in der Schlange standen, um ihre Rentenzahlung abzuholen. Wegen Nichtauszahlung oder Verspätung der Leistungen gibt es regelmäßig Protestmärsche von Pensionären, angeführt von der Nigeria Union of Pensioners (NUP).

Der Grund dafür: Nigerias öffentlicher Dienst betrieb früher eine völlig unterfinanzierte Rentenversicherung, einer der wackeligsten Punkte im Jahresbudget. Selbst wenn Budget zugeteilt wurde, gab es jedes Mal einen Verzug in der Auszahlung. 2004 entschloss sich die demokratische Regierung unter Präsident Olusegun Obasanjo, das Rentensystem neu zu gestalten. Das Rentenreformgesetz von 2004 zielte darauf ab, dass jede Person, die im öffentlichen Dienst oder im Privatsektor gearbeitet hat, die ihr zustehenden Zuwendungen pünktlich erhalten soll.

Im Gesetz steht, dass die Rentenreform aus verschiedenen Gründen durchgeführt wurde, zum Beispiel, um „Einzelpersonen zu helfen, während ihres Arbeitslebens für ihre Altersvorsorge zu sparen und so Altersarmut vorzubeugen, und um sicherzustellen, dass Rentner nicht unter einem ineffizienten und umständlichen Prozess der Pensionszahlungen leiden müssen, und um die wachsenden Rentenschulden aufzuhalten“. Das Gesetz beinhaltet auch einheitliche Regeln, Standards und Normen für die Verwaltung und Zahlung von Renten an alle pensionierten Arbeiter. Das Rentensystem wurde daraufhin verfeinert. Private Rentenkassenbetreiber managen den gesamten Prozess der Rentenzahlungen. Alle sind bei der National Pension Commission, der Aufsichtsagentur, registriert.

Die Reform hat einen Wandel eingeläutet. Aber diejenigen, die im informellen Sektor gearbeitet haben, sind nach wie vor auf den guten Willen ihrer Kinder oder anderer Samariter angewiesen.


Gelder verschwinden einfach

Einige Bundesländer haben nun regelmäßige Sozialhilfeleistungen für Alte eingeführt. Staaten wie Osun, Ogun, Ekiti und Ondo – alle in Südwest-Nigeria – zahlen 5000 Naira (34 Dollar) an alle, die in diesem Plan registriert sind. Hinzu kommen eine Krankenversicherung sowie kostenlose Behandlung altersbedingter Krankheiten.

Dieses System läuft jedoch nicht ganz fehlerfrei, zum Beispiel wegen der Veruntreuung von Geldern. Vor kurzem berichteten nigerianische Medien, dass Gelder in Höhe von 46 Milliarden Naira (307 Millionen Dollar) aus dem Rentenfonds für Polizeibeamte veruntreut wurden – von dem Vorsitzenden des Polizei-Rentenvorstands und weiteren Vorstandsmitgliedern. Der Prozess gegen sie läuft noch.


Die Nigeria Union of Pensioners kämpft auf vorderster Front für das Recht auf Rente. Nach Aussagen der Gewerkschaft sind von den 11 709 Milliarden Naira, die den Rentnern zustehen, bisher nur 45 Prozent gezahlt worden. Der neu gewählte Präsident der NUP, Abel Afolayan, hat angekündigt, dass die Gewerkschaft bald den Kampf um eine Mindestrente beginnen wird. Sie soll der Erhöhung des nationalen Mindestlohns entsprechen.

Es gibt aber auch private Initiativen, die sich um das Wohlergehen älterer Bürger kümmern. Das „Se­nior Citizens and Elders Forum Nigeria“ beispielsweise organisiert Fitness-Gruppen, um Rentnern beizubringen, ihre Gelenke mit Yoga in Schuss zu halten. Christliche Missionen haben sogar Altersheime eingerichtet.

All dies zeigt, dass die Wahrnehmung von Alter sich geändert hat. Die „Dave Omokaro Foundation“ (DOF) ist eine private Stiftung, die sich mit dem Thema Altern beschäftigt. Geleitet wird sie von der Soziologin Dr. Emem Omokaro. Durch intensive Lobbyarbeit ist es ihr gelungen, die Nationale Universitäts-Kommission davon zu überzeugen, Gerontologie als spezielles Postgraduierten-Studium im Curriculum einiger nigerianischer Universitäten aufzunehmen. Laut Omokaro haben ältere Menschen nicht nur Probleme mit der Auszahlung ihrer Renten, sondern auch psychologische Traumata durch Einsamkeit und das Gefühl, nicht erwünscht zu sein: „Einige von ihnen haben Kinder, die sie als Last betrachten, vor allem wenn sie in das Alter kommen, in dem sie fast vollständig auf Hilfe angewiesen sind“, sagt sie.

Obwohl schon wichtige Schritte getan wurden, hat Nigeria noch einen langen Weg vor sich, bis ältere Bürger ihren Lebensabend mit dem Gefühl verbringen können, dazuzugehören – und mit genug Geld zum Leben.

Damilola Oyedele ist Chefkorrespondentin bei der Tageszeitung THISDAY aus Abuja, Nigeria. damiski22@yahoo.com

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