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Sexuelle Aufklärung

Der Wahrheit ins Gesicht sehen

In der nigerianischen Kultur werden moralische Standards hoch gehalten. Doch in der Realität werden extrem viele Teenager schwanger.
Beratung zur Empfängnisverhütung an einer Aidsklink in Lagos. Tom Koene/picture-alliance/dpa Beratung zur Empfängnisverhütung an einer Aidsklink in Lagos.

Wegen der großen Bedeutung von Religion und Traditionen leugnen viele Nigerianer, wie verbreitet Sex unter Teenagern ist. Der Demographic Health Survey (DHS) brachte 2013 die schockierende Realität ans Licht: Nur drei von zehn Frauen gaben an, mit 20 oder mehr Jahren zum ersten Mal Sex gehabt zu haben. 54 Prozent hatten vor ihrem 18. Geburtstag zum ersten Mal Geschlechtsverkehr, und ganze 24 Prozent waren beim „ersten Mal“ sogar jünger als 15.

Der DHS zeigte auch, dass lediglich zwei Prozent der Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren Verhütungsmittel benutzen – oft, weil sie keinen Zugang dazu haben. Es verwundert daher nicht, dass 23 Prozent der Mädchen in Nigeria in diesem Alter schon Kinder haben.

Einige Mädchen werden schwanger, weil sie freiwillig in jungen Jahren Sex haben. Andere werden vergewaltigt oder zur frühen Heirat gezwungen. Die meisten Mädchen sind nicht aufgeklärt. Sie wissen nichts über Verhütungsmittel, und nur wenige haben überhaupt Zugang dazu. Dabei würden Kondome gleichzeitig auch vor HIV/Aids schützen.

Viele weibliche Teenager genießen auch die für sie noch ungewohnte Aufmerksamkeit der Männer, einige sind neugierig auf Sex. Verletzlicher macht sie, dass sie in einer patriarchalen Gesellschaft leben, in der von Frauen erwartet wird, dass sie schüchtern und bescheiden sind. Unerfahrene Teenager verlangen von einem Mann nicht, ein Kondom zu benutzen. Und allzu oft nutzen Männer das aus.

Eine Teenagerschwangerschaft ruiniert in vielen Fällen das Leben eines Mädchens, ganz gleich, ob es verheiratet ist oder nicht, ob es freiwillig mit einem Mann geschlafen hat oder unter Zwang. Meistens brechen die schwangeren Mädchen die Schule ab und erlernen keinen Beruf. Wenn sie nicht schon verheiratet sind, müssen viele den Vater ihres Kindes heiraten, der oft selbst noch nicht bereit für die Vaterrolle ist.

Oft halten die jungen Körper dem Stress von Schwangerschaft und Wehen nicht stand. Viele Mädchen bekommen dadurch eine Geburtsfistel – eine häufige Folge fehlender Geburtsvorsorge und -nachsorge. Die daraus resultierende Inkontinenz führt zu gesellschaftlicher Ausgrenzung. Häufig haben die Frauen keinen Zugang zu Operationen, oder die Eingriffe werden nicht sauber ausgeführt.

Es gibt viele Berichte über Teenager, die mit allen möglichen gefährlichen Dingen experimentieren, um ihre Schwangerschaft zu beenden. Die medizinischen Komplikationen sind schrecklich. Abtreibungen sind in Nigeria illegal – und illegale Abtreibungen sind meistens unsicher.

Die meisten Teenagerschwangerschaften gibt es laut DHS in den nordwestlichen Bundesstaaten Katsina, Jigawa und Zamfara. Diese Staaten haben auch die schlechtesten Daten zu frühen Eheschließungen, Fisteln und dem Zugang zu Verhütungsmitteln. Kein Wunder also, dass dort auch die Zahlen der Mütter- und Kindersterblichkeit hoch sind.

2013 warnte die Nationale Bevölkerungskommission (National Population Commission – NPC), dass die Zahl von Teenagermüttern in Nigeria bis 2015 auf 60 Millionen steigen werde. Sie forderte energisches Handeln, um diesen Trend zu stoppen. Entscheidend ist vor allem eine gute Aufklärungsarbeit. Länder, in denen Jungen und Mädchen umfassend und offen über die Veränderungen von Körper und Seele in der Pubertät aufgeklärt werden, haben die niedrigsten Raten von Teenagerschwangerschaften.

Aber in der nigerianischen Gesellschaft wird nicht offen über Sexualität gesprochen, sogar unter verheirateten Paaren ist das Thema tabu. Verfechter von Sexualkundeunterricht in Schulen stoßen auf heftige Gegenwehr von religiösen Führern, die vor Sittenlosigkeit warnen. In der nigerianischen Gesellschaft wird Abstinenz gepredigt – und ignoriert, dass unzählige Teenager ohnehin sexuell aktiv sind.

In den Städten gibt es weniger Teen­agerschwangerschaften als in ländlichen Gegenden, wo Armut und Analphabetismus stärker verbreitet sind. Aber sogar in einer großen Stadt geht kaum ein Mädchen zu einem Familienplanungszentrum und bittet um Unterstützung. Die meisten trauen sich nicht einmal, Kondome oder die Pille in der Apotheke zu kaufen.

In den Städten sorgen viele Eltern schwangerer Teenager dafür, dass ihre Töchter nach der Geburt weiter zur Schule gehen können. Andere arrangieren illegale Abtreibungen. Die meisten minderjährigen Mütter in Städten ereilt aber dasselbe Schicksal wie ihre ländlichen Leidensgenossinnen: Sie werden mit einem Mann verheiratet, den sie nicht wollen, haben keinen Zugang mehr zu Bildung und Berufschancen und leiden oft unter gesundheitlichen Problemen.

Die Regierung des Bundesstaates Lagos hat die Gesundheit von Jugendlichen zur Priorität erklärt. Das vom UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) unterstützte Programm „Hello Lagos“ bietet sexuelle Aufklärung und Angebote der Reproduktionsmedizin für junge Menschen an. Teenagern wird nahegelegt, auf Sexualkontakte zu verzichten, bis sie alt genug sind, um mit den Konsequenzen umzugehen. Gleichzeitig wird sexuell aktiven Teenagern der Zugang zu Kondomen ermöglicht. Die Zusammenarbeit mit dem UNFPA erstreckt sich auch auf die Ausbildung und Überzeugung von Mitarbeitern des Gesundheitsdienstes, damit diese den Jugendlichen weniger wertend gegenübertreten.

Im Norden Nigerias, wo frühes Heiraten stärker verbreitet ist, informieren Nichtregierungsorganisationen Mädchen darüber, dass die Nutzung von Gesundheitsdiensten die Gefahr von Schwangerschaftskomplikationen verringert. Im Bundesstaat Niger versucht die Stiftung RAiSE, traditionelle und religiöse Organisationen von der Notwendigkeit von Vor- und Nachsorgeuntersuchungen zu überzeugen. RAiSE wurde von Amina Abubakar Bello gegründet, Gynäkologin und Ehefrau des Gouverneurs des Bundesstaates. Die Organisation ist stolz darauf, dass sie zu einem Rückgang der Kinder- und Müttersterblichkeit beigetragen hat. Im Bundesstaat Kano unterstützt die Fistula Foundation seit Jahren Frauen beim Zugang zu Operationen.Gesundheitsfragen anzugehen ist wichtig, aber letztlich muss Nigeria akzeptieren, dass das Interesse an Sexualität ungeachtet aller religiösen und kulturellen Überzeugungen zur Jugend dazugehört. Teenager brauchen Unterstützung, damit sie erfolgreich durch diese Lebensphase navigieren können.


Damilola Oyedele ist Journalistin in Abuja.
damiski22@yahoo.com

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