Pandemie
Pekings schnelle Protestbesänftigung
Chinas Regierung hat in Reaktion auf landesweite Demonstrationen die Lockdownregeln gelockert. Das ist nicht ungewöhnlich, sondern eher typisch. Anders, als viele meinen, versucht die Kommunistische Partei oft und ernsthaft, Proteste oder Streiks mit schnellen Zugeständnissen zu beenden. Dafür gibt es einige Beispiele, speziell auch im Umweltbereich. Es entspricht traditioneller konfuzianischer Ethik, der zufolge Herrscher für eine harmonische Gesellschaft und breites Wohlergehen sorgen sollen. Diese Verpflichtung wirkt auch im modernen China fort, auch wenn die politische Gewaltenteilung wesentlich weniger ausgeprägt ist als im Westen und keine allgemeinen und freien Wahlen abgehalten werden. Die Regierung fühlt sich den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung verpflichtet.
Den landesweiten Unmut haben nicht nur Studierende, sondern auch einfache Erwerbstätige sowie Intellektuelle artikuliert. Die Regierung hat erkannt, dass die harte Null-Covid-Politik große Risiken birgt, speziell für die Wirtschaft, und hat mit der Lockerung die Demonstranten bis Mitte Dezember weitgehend besänftigt. Allerdings entstand so das Risiko einer heftigen Infektionswelle, denn gerade ältere Bevölkerungsschichten sind noch nicht ausreichend geimpft. Das Gesundheitssystem ringt mit großen Herausforderungen.
Die Kehrtwende ist bemerkenswert, denn wenige Wochen zuvor hatte der Parteitag die Amtszeit von Xi Jinping verlängert. Viele Menschen haben die Proteste verfolgt und haben auch die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie in den vergangenen Monaten und Jahren in anderen Staaten und Regionen verfolgt. Hier steht nun China in den Augen vieler nicht mehr so erfolgreich da wie noch vor wenigen Monaten.
Auf die Omikron-Variante haben viele Staaten offensichtlich geschickter reagiert als China, denn die Hospitalisierungsrate ist wesentlich geringer, somit eine ansteigende Infektionswelle weniger dramatisch. Allerdings hat China eine wesentlich größere Bevölkerung und kann daher mit anderen Staaten kaum verglichen werden. Auch andere große Staaten, darunter Indien und die USA, waren bei der Bekämpfung von Covid-19 nicht besonders erfolgreich. Im Vergleich zu China sind dort prozentual viel mehr Menschen gestorben.
Einsichten in Xi Jinpings Umfeld
Xi Jinpings Umfeld hat nun auch gelernt, dass die Fraktion der liberaleren Wirtschaftspolitiker einen größeren Rückhalt als vermutet nicht nur im Privatunternehmertum, sondern auch in der Bevölkerung insgesamt genießt. Die nationalistische Propaganda hatte angesichts der sehr harten Pandemiemaßnahmen keine große Wirkung, wobei auch die Bilder von der Fußball-WM mit unmaskiert feiernden Fans in China eine Rolle gespielt haben.
Der Tod von Jiang Zemin im Dezember, der als Staats- und Parteichef weitreichende Reformen implementierte, hat bei vielen zusätzliches Nachdenken ausgelöst. Jiang Zemin stand für kulturelle Offenheit und Austausch mit dem Westen.
Xi Jinping steht auch nach dem Kurswechsel der Covid-Politik weiter für einen autoritären, aber auch volksnahen Regierungsstil. Die Reaktionen auf die Proteste haben dieses Image akzentuiert, das in den Augen vieler Chinesinnen und Chinesen eher positiv konnotiert ist, auch wenn sich das viele im Westen nicht vorstellen können oder möchten. Mitte Dezember war zu erwarten, dass – sollte keine Gesundheitskatastrophe hereinbrechen – Xi Jinping gestärkt aus der Krise hervorgehen könnte. Die aktuelle Infektionswelle ist jedoch offenbar heftig und vermutlich schlimmer, als die chinesische Führung erwartet hatte.
Niemand will politische Eskalation, und die Führung wird sich um einen ruhigen Kurs bemühen. Das könnte den Beziehungen mit Taiwan zugutekommen. China möchte zurzeit keine großen Spannungen mit dem Westen. Ein Angriff auf Taiwan hätte für die Wirtschaft heftige Konsequenzen. Die Legitimität der chinesischen Regierung ist eng mit dem Versprechen von Wohlstand und der Begrenzung sozialer Ungleichheit verbunden. Diesbezüglich vertrauen ihr die meisten Menschen durchaus.
Berthold M. Kuhn ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet an der Freien Universität Berlin und als Berater für internationale Organisationen und Denkfabriken.
berthold.kuhn@fu-berlin.de