Ernährung
Noch mehr Hunger
Nach Protesten von Bauern und Ökologen hat die tansanische Regierung Investitionen in Biotreibstoffe im Wert von mehreren Millionen Dollar ausgesetzt. Das berichtete die kenianische Wochenzeitung „The East African“ im Oktober. Die Angst vor Nahrungsmittelknappheit und Druck von Umweltschützern hätten die Regierung dazu veranlasst, hieß es.
Über dieses Szenario dürfte sich Ute Hausmann freuen. Die Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation FIAN Deutschland hatte angesichts des Welternährungstags genau davor gewarnt: Hunderttausenden Kleinbauern, Indigenen und Hirten in Afrika drohe die Vertreibung, wenn ihre Landrechte gegenüber Großinvestoren nicht gestärkt würden. Vor allem kritisiert Hausmann aber, „dass die Förderprogramme in erster Linie auf Saatgut und Dünger ausgelegt sind. Deren Herstellung verbraucht sehr viel Energie”. Außerdem drängten sie kleine Bauern in die Abhängigkeit von großen Industrieunternehmen. Zielführend seien vielmehr kleinbäuerliche Strukturen und ökologische Landwirtschaft.
Doch das Problem ist vielschichtiger. Laut einer aktuellen Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin löst ein ganzer Mix von veränderten Rahmenbedingungen plötzliche Agrarpreissteigerungen aus, wie sie etwa im Frühjahr 2008 stattfanden. Weil die Märkte mehr und mehr von der Nachfrage bestimmt würden, steige das Risiko von Preissprüngen, meint SWP-Autorin Bettina Rudloff. Derlei sei früher durch Überproduktion in reichen Ländern kompensiert worden. Insgesamt, so schreibt sie weiter, stabilisiert aber die Öffnung der Agrarmärkte durch das WTO-Abkommen von 1994 die Preise – allerdings auf einem insgesamt höheren Niveau. Davon profitieren zwar diejenigen, die ihre Erzeugnisse verkaufen, Konsumenten hingegen hätten das Nachsehen. Destabilisierend wirkten allerdings Ausnahmen von der Marktöffnung – etwa durch automatische flexible Schutzzölle.
Unklar bleibt laut SWP-Studie bisher der Einfluss von Spekulationsgeschäften auf den Preis von Agrargütern. Hier sei schon die Definition schwer. Seit mehr als hundert Jahren werden für viele landwirtschaftliche Erzeugnisse Termingeschäfte abgewickelt, und das ist, streng genommen, immer Spekulation, weil künftige Preise antizipiert werden. Problematisch sind möglicherweise aber Preiswetten, bei denen die Käufer kein Interesse am realen Güterhandel mehr haben, sondern nur auf Spekulationsgewinne hoffen. Sowohl die G8 als auch die Europäische Kommission haben Analysen in Auftrag gegeben, um diese Dinge besser zu verstehen.
Tendenziell wird in Zukunft das weltweite Nahrungsangebot der Welternährungsorganisation FAO zufolge wegen geringerer Ertragssteigerungen und klimabedingter Ausfälle sinken (siehe auch Artikel auf der nächsten Seite). Die Nachfrage werde dagegen steigen, denn die Weltbevölkerung wachse und Schwellenländer konsumierten mehr Fleisch. Im Jahr 2050, so die UN-Organisation, werden 9,1 Milliarden Menschen ernährt werden müssen. Dafür sei die Steigerung der Erträge durch intensivere Landwirtschaft nötig.
FIAN und Brot für die Welt sind anderer Meinung. In einer Studie, die sie im Oktober mitveröffentlicht haben, werden vor allem die schlecht koordinierte internationale Politik sowie fehlende nationale Ernährungsstrategien dafür verantwortlich gemacht, dass der Kampf gegen den Hunger nicht vorankommt. Notwendig sei in erster Linie eine demokratischere Welternährungsarchitektur. Das UN-Komitee müsse Koordination, Strategieformulierung und Monitoring übernehmen, fordert Bernhard Walter von Brot für die Welt.
Ein entsprechender Vorschlag zur Reform des Gremiums liegt bereits vor: Er sieht vor, dass in Zukunft alle FAO-Mitgliedsstaaten ein Stimmrecht haben. Zusätzlich sollen aber Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, zwischenstaatliche Organisationen und Unternehmerverbände als Teilnehmer zugelassen sein. Das Komitee zur Welternährung solle sich zudem an die FAO-Leitlinien zum Recht auf Nahrung von 2004 halten. Die endgültige Entscheidung über diese Reform werden die Vertreter des Welternährungsgipfels Mitte November in Rom fällen.
Laut FAO hungern heute mehr als eine Milliarde Menschen. Rund 100 Millionen davon seien wegen der globalen Finanzkrise in Not geraten. Das gilt vor allem dort, wo die Ernährungssituation schon zuvor problematisch war. In 29 Ländern ist die Lage laut Welthungerindex derzeit „ernst oder sogar gravierend“. Den Index veröffentlichten die Welthungerhilfe, das Washingtoner International Food Policy Research Institute und Concern Worldwide aus Irland in diesem Jahr zum vierten Mal.
Die Demokratische Republik Kongo steht am Ende des Hungerindexes, gefolgt von Burundi, Eritrea, Sierra Leone, Tschad und Äthiopien. Der Welthungerindex erfasst drei Indikatoren: Den Anteil der Unterernährten in der Bevölkerung, den Anteil untergewichtiger Kinder unter fünf Jahren und den Anteil der Kinder, die vor dem fünften Lebensjahr sterben. Erstmals wurde dieses Jahr der Einfluss von Frauen untersucht. Das Ergebnis: Der Hunger ist in den Gesellschaften weiter verbreitet, in denen Frauen weniger Einfluss haben.
Claudia Isabel Rittel