Recycling

Gemeinsames Trennen verbindet

Die vielen syrischen Flüchtlinge im Libanon tragen zur Überforderung der Infrastruktur und Verwaltung bei – was sich auch in der Müllsituation niederschlägt. In einer Kleinstadt in der Bekaa-Ebene, wo die meisten Syrer untergekommen sind, nehmen die Menschen das Problem nun selbst in die Hand.
Der Libanon bekommt sein Müllproblem nicht in den Griff. Müllberge an einer Straße in einem Vorort von Beirut. picture-alliance/dpa Der Libanon bekommt sein Müllproblem nicht in den Griff. Müllberge an einer Straße in einem Vorort von Beirut.

In Bar Elias, etwa zwölf Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, gibt es seit kurzem eine Recycling-Arbeitsgruppe. Sie besteht aus Flüchtlingen, die in einem Lager leben, und aus libanesischen Bewohnern des angrenzenden Stadtviertels.

Im Rahmen des Projekts trennen 53 Familien aus beiden Gruppen in ihren Haushalten Plastik und Blech. Das gesammelte Material wird verkauft, und von dem Erlös soll ein Anliegen finanziert werden, das Syrern und Libanesen gleichermaßen zugutekommt. Im Gespräch sind ein neuer Anstrich für das Schulgebäude und die Reparatur des öffentlichen Wasserhahns.

In dem Flüchtlingslager, offiziell Informal Tented Settlement genannt, leben etwa 15 Familien, die aus dem Umland der nordsyrischen Stadt Aleppo geflohen sind. Die Kieswege zwischen den Hütten sind gepflegt, es liegt kein Müll herum. Eine der Bewohnerinnen ist Amina Hussaini. Die junge Frau sagt, sie habe die Abfalltrennung gut in ihren Alltag integriert. Die Kinder hätten zwar am Anfang immer wieder Plastik verkauft, um Geld für Eis und Süßigkeiten zu bekommen. Aber nun funktioniere es reibungslos.

Am Ortseingang von Bar Elias, das an der Hauptverbindungsstraße zum syrischen Grenzübergang Masnaa liegt, steht auf einem Schild: „Einwohnerzahl 50 000“. Doch damit sind nur die Libanesen gemeint. In den vergangenen Jahren sind viele Syrer dazu gekommen: nach Angaben des Bürgermeisters ungefähr 70 000. Laut UNHCR leben in der Bekaa rund 35 Prozent der mehr als eine Million im Libanon registrierten syrischen Flüchtlinge.

Die Gegend galt schon immer als arm und unterentwickelt. Die Menschen leben hauptsächlich von der Landwirtschaft und vom Grenzhandel mit Syrien. Der schnelle Bevölkerungszuwachs hat den Konkurrenzkampf um Ressourcen angefacht.

Fayez Okasha, der aus Bar Elias stammt und bei dem Recycling-Projekt mitmacht, sagt, dass die ohnehin begrenzten Arbeitsplätze und die desolate Infrastruktur nicht mitgewachsen seien: „Diese prekäre Situation führt dazu, dass viele Libanesen die Syrer als Last empfinden.“

Medyan Al-Ahmad, der seit vier Jahren in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Bar Elias lebt, erklärt, wie Probleme zwischen Einheimischen und Flüchtlingen entstehen: „Müll aus einem Flüchtlingslager landet auf dem benachbarten Grundstück von Libanesen. Oder Einheimische beschweren sich über den Geruch der Kanalisation vom Lager in ihrer Nähe.“

Das Recycling-Projekt entstand Schritt für Schritt. Mit dabei waren Alaa Alzaibak und Medyan al-Ahmad, die bei der syrischen Organisation Basmeh und Zeitooneh aktiv sind. Die NGO ist in der humanitären Hilfe tätig und unterstützt Flüchtlinge und Gastgemeinschaften in den Bereichen Bildung, Soziales und Kultur. Sie ist Partner der deutschen Organisation Forum Ziviler Friedensdienst, die das Projekt begleitet (siehe hierzu auch den Beitrag in E+Z/D+C 2014/05, S. 158).

„Unser Ziel ist es, Spannungen zwischen Syrern und Libanesen in Bar Elias abzubauen und die beiden Bevölkerungsgruppen einander näher zu bringen“, sagt Alaa. Das soll durch ein Vorhaben erreicht werden, das aus den Bedürfnissen von Syrern und Libanesen vor Ort entsteht, an dem beide mitwirken und von dem beide profitieren.

In der Vorbereitung des Projekts entwickelten die Aktivisten von Basmeh und Zeitooneh Fragebögen, in denen sie die Bedürfnisse der Libanesen und Syrer abfragten. Beide Bevölkerungsgruppen gaben an, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Infrastruktur für sie oberste Priorität haben. Zur Debatte standen mehrere Ideen, etwa Instandsetzung der Bürgersteige, Begrünung der Stadt, Anlegen eines Gartens und das Recycling-Projekt, das schließlich realisiert wurde.

Die Aktivisten wollen sich nach und nach zurückziehen und die Umsetzung ganz in die Hand der Arbeitsgruppe legen. Laut Alaa zeigt das Projekt bereits erste Erfolge: „Die libanesischen und syrischen Bewohner des Viertels sprechen miteinander und versuchen gemeinsam, Probleme zu lösen.“

Abfallentsorgung ist ein brisantes Thema im Libanon. Im Sommer 2015 sorgten die Müllberge in den Straßen Beiruts sogar international für Schlagzeilen. Die Müllkrise hat allerdings nichts mit den Syrern zu tun. Sie ist Ausdruck eines fehlenden nationalen Plans zur Abfallentsorgung. Seit dem Ende des Bürgerkrieges 1989 hat sich keine libanesische Regierung dieses Themas ernsthaft angenommen.

In der Bekaa stellt die Flüchtlingskrise die ohnehin überlasteten kommunalen Verwaltungen vor große Herausforderungen. In Bar Elias musste die Mülldeponie, die außerhalb des Ortes liegt, immer mehr Abfall aufnehmen. Er ist unsortiert und lagert im Freien auf einem nicht präparierten Boden.

Yahya Faris, der mit seiner Familie in einem Lager in Bar Elias wohnt, hat dafür gesorgt, dass die Kommunalverwaltung eine große Mülltonne vor das Lager stellte. Der Müll werde aber nicht regelmäßig abgeholt – manchmal alle zehn Tage, manchmal nur alle zwei Wochen. Es komme vor, dass der Müll nicht mehr in die Tonne passt und sich die libanesischen Nachbarn beschweren. Faris stört auch die Müllverbrennung, die immer wieder in der Deponie stattfindet. Der Rauch werde ins Lager geweht. Das sei sehr unangenehm, und er mache sich Sorgen um die Gesundheit seiner Kinder.

In einer Untersuchung von OCHA, dem UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten, im Jahr 2015 gehörte Bar Elias in Bezug auf Umwelt und Ökosystem zu den am meisten gefährdeten Gemeinden im Libanon. Das Fehlen eines Müll- und Abwasserplans und die extensive Nutzung des Landes für Siedlungszwecke belasten Böden, Grundwasser, Natur und Gesundheit der Menschen.

Das libanesische Umweltministerium fordert weitreichende Projekte, um den Gemeinden unter die Arme zu greifen. Anders als zu Beginn der Syrienkrise, als die internationalen Geber sich ausschließlich um die Flüchtlinge kümmerten, werden nun vermehrt auch die Bedürfnisse der Gastgemeinschaften berücksichtigt. In Bar Elias finanziert die EU den Umbau der Mülldeponie und die Errichtung von Recycling- und Kompostieranlagen.

Nach Aussagen des Bürgermeisters werden in naher Zukunft 70 Prozent des Abfalls wiederverwertet und der Rest fachgerecht gelagert. Ende 2016 gehen die neuen Anlagen in Betrieb. Sowohl die Libanesen als auch die Syrer in der Region hoffen, dass sich dann nicht nur die Müllsituation verbessert, sondern auch Arbeitsplätze entstehen.


Mona Naggar ist Journalistin und Medientrainerin. Sie lebt in Beirut.
mona.naggar@googlemail.com


Quellen

Environmental Assessment of the Syrian Conflict EASC & Priority Interventions 2014:
http://www.undp.org/content/dam/lebanon/docs/Energy%20and%20Environment/Publications/EASC-WEB.pdf

Updated Factsheet:
http://www.moe.gov.lb/getattachment/dd4e6574-a959-47c1-b2ed-1fc1847b7515/Updated-Fact-Sheet-December-2015-Environmental-Ass.aspx

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.