Energiepolitik
26 einsame Reiter
Wenn es um Biodiesel geht, dann richtet sich alle Aufmerksamkeit auf Brasilien: Die aufstrebende Wirtschaftsmacht fördert diesen Sektor bereits seit Jahren und wurde zum weltgrößten Exporteur von Ethanoltreibstoff. Andere Länder Lateinamerikas sind noch weit davon entfernt, ihre Ressourcen wirtschaftlich so gezielt zu nutzen. Doch Brasilien geht auch Risiken ein: Zuckerrohr für die Ethanolproduktion belegt wichtige Flächen zum Nahrungsmittelanbau.
Der gesamte Kontinent ist voller Energiequellen: Von Kohleförderung über Hydroenergiegewinnung bis Biodieselproduktion scheint alles möglich und vieles wirtschaftlich. Einige Länder Lateinamerikas sind Netto-Ölexporteure und die Region produziert über 20 Prozent der weltweiten Wasserenergie. Nichtsdestotrotz haben immer noch schätzungsweise 15 Prozent der Lateinamerikaner keinen Zugang zu Strom. Mit dem Anstieg der Bevölkerungszahlen wächst auch der Energieverbrauch – und so steigt selbst in Lateinamerika der Druck, Energie zu sparen.
Noch dazu ist die Region stark vom Klimawandel bedroht: Das IPCC erwartet bis 2050 allein in Brasilien und Mexiko einen Rückgang der Mais-, Reis- und Kaffeeernte um ganze 70 Prozent, so María Cristina Silva Parejas, frühere Vizedirektorin des lateinamerikanischen Zentrums für Europabeziehungen in Chile. Dem Erhalt des Ökosystems kommt damit eine wachsende Bedeutung zu und die Sinnhaftigkeit von Ethanolproduktion – beispielsweise – wird fraglich.
Regionale Integration gefordert
Das Verhalten der lateinamerikanischen Staaten sei dem Ernst der Lage nicht angemessen, waren sich Experten einig, die Anfang Oktober am 2. Cologne Latin America Symposium von Connosco Consulting in Köln teilnahmen. Die Länder stünden zwar vor denselben Herausforderungen, könnten sich aber nicht auf gemeinsame Lösungen einigen.
Regionale Zusammenarbeit sei für eine sichere Stromversorgung essentiell, meint beispielsweise Rolf Linkohr, der bis 2009 Direktor des Centre for European Energy Strategy in Brüssel war. In Lateinamerika existiere noch kein länderübergreifendes Stromnetz, um Energieimporteure und -exporteure zu vernetzen. Dies liege unter anderem daran, dass Energie in Lateinamerika nicht wie in Europa als Ware gehandelt, sondern vielmehr als ein politisches Instrument angesehen werde, um nationale Interessen zu verteidigen. Bolivien beispielsweise beliefere zwar Brasilien und Argentinien mit Gas, nicht jedoch den unliebsamen Nachbarn Chile. Chile müsse deshalb teure Energie aus Indonesien importieren. Darüber hinaus hegten viele Regierungen die Sorge, dass bei Öffnung des Energiemarktes US-amerikanische Firmen die nationalen Unternehmen aufkaufen und den Markt dominieren würden.
Erste Schritte hin zu einer energiepolitischen Zusammenarbeit sind dennoch bereits getan: Im Mai 2008 wurde auf Beschluss des Staatenbündnisses UNASUR der Südamerikanische Energierat (Consejo enerjético sudamericano) gegründet, dessen Ziel ein regionales Energieabkommen ist. Auf einem UNASUR-Gipfel im Mai dieses Jahres wurden die Energiestrategierichtlinien (Lineamientos de la estratégia energética) beschlossen.
Innovationen für die Wettbewerbsfähigkeit
Die Frage, welche Energiequellen zu fördern sich lohnt, ist derweil nicht einfach. Viele Volkswirtschaften basieren weiterhin auf Kohle-, Öl- und Gasförderung – Venezuela beispielsweise finanziert knapp die Hälfte der Haushaltsgelder aus Öl-Einnahmen –, doch die Produktion geht zurück. Katastrophen wie die im Golf von Mexiko werfen aus ökologischen wie ökonomischen Gründen die Frage auf, ob Lateinamerika überhaupt noch Öl fördern sollte.
Auch regenerative Energiegewinnung ist nicht unproblematisch. In Brasilien, das 80 Prozent seines Energiebedarfs mit Wasserkraft deckt, mussten für Staudämme Teile des Amazonaswalds abgeholzt werden. Rechne man den daraus entstandenen Schaden für die Atmosphäre mit, so könne Hydroenergie sogar mehr CO2 verursachen als Öl- oder Kohleförderung, warnt Linkohr. Fazit: Es müssen neue Lösungen gefunden werden.
Europäische Modelle zu kopieren bringe Lateinamerika da nicht weiter, erklärt jedoch Carsten Linnenberg von Anaerobic Digestion Solutions. Strom müsse möglichst nah am Konsumenten gewonnen werden und lokale Gegebenheiten berücksichtigen – jede Region brauche deshalb eigene Lösungen. Während einige arme Länder Asiens, darunter Vietnam, eigene Strategien entwickelt haben, scheint das in Lateinamerika in weiter Ferne. Die Voraussetzungen für Innovationen fehlen, so Mario Pacas von der Universität Siegen. Vor allem gebe es zu wenig Ingenieure. In der Berufsausbildung wurde nie ein Schwerpunkt auf Energieförderung gelegt, dabei sei das unerlässlich zur Entwicklung neuer Technologien.
Auch beim Konsum fehlt Lateinamerika das Bewusstsein, mit Energie zu haushalten. „Zum Teil brauchen wir doppelt so viel Energie, um ein Produkt herzustellen, wie Deutschland“, schätzt Silva Parejas. Lateinamerika laufe deshalb Gefahr, in puncto CO2-Reduktion und Technologieentwicklung den Anschluss an Asien zu verlieren, warnt auch Imme Scholz vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik: „Technologie wird in Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit einer Region bestimmen.“ Ohne eigene Innovation drohten die lateinamerikanischen Länder reine Rohstoffexporteure zu bleiben.
Mit Energie haushalten
Drei Dinge sind es, die den Experten zufolge vor allem verbessert werden müssen, um Lateinamerika konkurrenzfähig zu halten:
– Die Länder müssen regionale Integration stärken, um in Energiefragen – wie beim Aufbau eines Stromnetzes – zu kooperieren,
– sie brauchen höhere Investitionen zur Förderung von Innovation und Technologie, und
– die Gesellschaft muss die Bedeutung des Energiesparens bewusster wahrnehmen.
Es bleibt eine große, aber unumgängliche Herausforderung für Regierungen, Wissenschaft und Gesellschaft, natürliche Ressourcen so zu schützen und wirtschaftlich zu nutzen, dass Umwelt und Nahrungssicherheit respektiert werden. „Unsere Zukunft liegt in der Energieproduktion“, fasst Andrés González von der San-Francisco-Universität in Ecuador zusammen. „Wenn wir uns zusammentun, ist das eine große Chance. Noch sind wir aber kein Team, sondern 26 einsame Reiter.“
Eva-Maria Verfürth