Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Geberharmonisierung und die EU

Risiko zweier Geschwindigkeiten

Koordiniertes Handeln erfordert mehr als nur das Sammeln von Informationen. Nötig sind außerdem ein gemeinsamer Plan, sinnvolle Arbeitsteilung und gute Einzelleis­tungen aller Beteiligten. In der Entwicklungszusammenarbeit der EU funktioniert das noch nicht besonders. Die Wirksamkeit der EU-Hilfe wird nicht durch technische Harmonisierung verbessert, sondern durch eine Vertiefung der europäischen Integration. Die Koordination in der EU ist kein Selbstzweck. Sie ist das Mittel, mit dem die EU-Politik komplementärer und einheitlicher gestaltet werden kann.

[ Von Paul Engel und Niels Keijzer ]

Das Compact Oxford English Dictionary definiert „coordination“ als „Fähigkeit, verschiedene Körperteile geschmeidig und gleichzeitig zu bewegen“. Noch ist das nicht die Stärke der EU. Schon die Pearson-Kommission 1969 und die Brandt-Kommission 1980 beklagten die mangelnde Kooperation in der Entwicklungspolitik. 1992 verpflichteten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs (der Europäische Rat) im niederländischen Maastricht dazu, ihre entwicklungspolitischen Bemühungen zu koordinieren.

Der Vertrag von Maastricht unterstreicht Koordination, Kohärenz und Komplementarität (die „drei K“). Die europäischen Regierungen und ihre Durchführungsorganisationen sollen nicht nur ihre Arbeit koordinieren, sondern auch gewährleisten, dass das Gesamtbild stimmig und mit der Politik in anderen Bereichen (zum Beispiel Handel oder Sicherheit) vereinbar ist.

Obwohl es bereits in den ersten Jahren nach dem Vertrag von Maastricht einige Initiativen gab (siehe Artikel Seite 62), kam die Koordinierung der EU-Entwick­lungspolitik erst nach der Jahrtausendwende in Fahrt. Zum Beispiel setzten sich einige Mitgliedstaaten und die Kommission nach und nach stärker für entwicklungspolitische Kohärenz ein (Policy Coherence for Development, PCD). Von 2003 bis 2005 setzten sich sechs aufeinanderfolgende EU-Präsidentschaften verstärkt für dieses Ziel ein, was im Mai 2005 schließlich zur Verabschiedung von 12 spezifischen PCD-Verpflichtungen führte. Bis 2006 akzeptierte eine große Mehrheit von 25 EU-Mitgliedern PCD als Politikziel. Mehr als die Hälfte von ihnen änderten entsprechend die institutionelle Struktur ihrer Entwicklungspolitik.

Diese Dynamik hat sich auch nach der Erweiterung der EU auf zunächst 25 und inzwischen 27 Mitglieder nicht abgeschwächt. Im November 2005 verabschiedete die EU den „Europäischen Konsens über Entwicklungszusammenarbeit“, in dem die Mitgliedstaaten und die Kommission zum ersten Mal einen gemeinsamen Grundsatzrahmen festlegten.

Verhaltenskodex

Im Mai 2007 verabschiedete die EU einen Verhaltenskodex für die entwicklungspolitische Arbeitsteilung. Das Papier zählt zu den wichtigsten entwicklungspolitischen Erfolgen der deutschen Ratspräsidentschaft. Das Dokument veranschaulicht aber zugleich die Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung in der EU, denn die verschiedenen Kodex-Teile wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten verabschiedet.

Der Kodex enthält elf zentrale Richtlinien für die Entwicklungspolitik (siehe Artikel S. 64). Am bekanntesten sind wohl die Vorgaben für Mitgliedstaaten und Kommission, sich jeweils nur in drei Sektoren pro Partnerland zu engagieren und die Gesamtzahl der Akteure pro Sektor auf maximal fünf zu begrenzen.

Das Dokument ist auch auf Kritik gestoßen. So wurde zum Beispiel bemängelt, der Kodex definiere den Begriff „Sektor“ nicht genau. Manche Kritiker fürchten sogar, die Einführung des Kodex könnte zu „verwaisten Sektoren“ führen, wenn sich alle EU-Geber nur noch auf die leichten Aufgaben konzentrieren. Grundsätzlicher noch sind die zunehmenden Bedenken über die Spannungen zwischen Geberharmonisierung auf der einen Seite und der Anpassung an Prioritäten und Strukturen der Zielländer (alignment) auf der anderen. Solche Spannungen wirken sich direkt auf die Fähigkeit der Zielländer aus, selbst die Verantwortung für die Politik zu übernehmen, um so bestmöglich von der Entwicklungshilfe zu profitieren.

EU-Mitglieder und Kommission können sich offenbar auch nicht auf ihre jeweiligen komparativen Vorteile einigen. Die im Entwicklungskonsens festgehaltenen Vorteile der Kommission umfassen im Grunde alle Sektoren. Und die Entwicklungsagenturen der Mitglieder können sich leicht mit „neu geschaffenen“ komparativen Vorteilen ausgestattet sehen, wenn ihre Parlamente entsprechende Beschlüsse fassen.

Andererseits wäre es zynisch, der EU jeglichen Fortschritt abzusprechen. Vielversprechend ist, dass Verfahren geändert wurden, so dass Mitglieder und Kommission Entwicklungsprogramme gemeinsam finanzieren können. Außerdem haben Länder wie Schweden, Deutschland und die Niederlande damit begonnen, die Zahl ihrer Partnerländer zu reduzieren. Und schließlich gibt es eine Reihe Berührungspunkte zwischen der Paris Declaration on Aid Effectiveness aus dem Jahre 2005 und den verschiedenen EU-Dokumenten zum Thema, die bewirken, dass sich die verschiedenen Abkommen gegenseitig unterstützen.

Auch der weltweite politische Kontext wandelt sich. In den 90er Jahren sank das Entwicklungshilfe­volumen. Dieser Trend konnte umgekehrt werden; die EU hat sich zur Aufstockung der Entwicklungshilfe auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts bis 2015 verpflichtet. Wenn die Hilfe derart erhöht wird, ist verstärkte und bessere Koordinierung unerlässlich, denn die Zahl der Mitarbeiter von Entwick­lungsagenturen dürfte nicht entsprechend steigen.

Gleichzeitig verstärken die aufstrebenden Giganten der Weltwirtschaft ihre entwicklungspolitischen Aktivitäten. Diese „neuen“ Geber beteiligen sich nicht am Paris-Programm der OECD und spornen die EU zu mehr Effizienz an, weil sie die Rolle „konventioneller“ Geber in Frage stellen.

Während der portugiesischen Präsidentschaft veröffentlichte die EU im September ihren ersten zweijährigen Bericht über die PCD-Förderung. Er sorgte für einige Diskussion, und die Kommission hat kürzlich eine öffentliche Befragung gestartet, um das Thema dieses Jahr im politischen Blickfeld zu halten.

Gemeinsame Evaluierungen

Insgesamt bleibt es jedoch schwierig, die Qualität der EU-Koordination in Entwicklungsfragen zu bestimmen. Es gibt keinen klaren Maßstab. Zwar gibt eine im Rahmen der Paris-Erklärung erstellte „Grundsatzstudie“ (Baseline Survey) der OECD einigen Aufschluss. Mangelndes Einverständnis unter den OECD-Gebern über die Definition von Schlüsselindikatoren und ihre Auswertung beeinträchtigen jedoch ihren praktischen Nutzen.

Schon im Oktober 2000 starteten die Leiter der EU-Evaluierungsdienste im Entwicklungsbereich (EUHES) ein gemeinsames Bewertungsprogramm. An diesem Projekt beteiligen sich die Evaluierungsdienste der Mitgliedstaaten und der Kommission. Ursprünglich lautete das Ziel, die Fortschritte seit Maastricht in Bezug auf die drei K einzuschätzen. Dieser Schritt im Jahr 2000 leitete ein gemeinsames, mehrjähriges Engagement ein, das die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Evaluierungsgremien gefördert hat.

Gemeinsame Evaluierungen liefern interessante Hinweise auf das tatsächliche Ausmaß von Koordination in der EU. Im Februar 2007 bat das EUHES-Sekretariat das European Centre for Development Policy Management (ECDPM) darum, die Evaluierungen in einem Synthesebericht zusammenzufassen, um den europäischen Entscheidungsträgern die Ergebnisse zu vermitteln.

Es gab vier Hauptergebnisse:
- Auf der Leitungsebene der Entwicklungsagenturen haben die Bemühungen zur Koordination zugenommen. Allerdings ist diese institutionelle Koordinierung kein Selbstzweck. Sie dient der Förderung der beiden anderen K (Kohärenz und Komplementarität). Die empirischen Daten weisen jedoch darauf hin, dass im Rahmen dieser Koordination oft nur Informationen und Dokumente ausgetauscht wurden – nachdem Entscheidungen bereits getroffen waren. Das reicht keinesfalls für gute Kohärenz und Komplementarität; Effizienz und Wirkung der EU-Hilfe lassen weiterhin zu wünschen übrig, zum Beispiel im humanitären Bereich.
- Auf Zielländer-Ebene wird verstärkte Koordination und Komplementarität in der Zusammenarbeit mit der EU eher behindert als gefördert. Das liegt unter anderem daran, dass Entscheidungen nicht vor Ort, sondern in den europäischen Hauptstädten oder in Brüssel gefällt werden. Außerdem sind die Mandate oft unklar, der Informationsaustausch ist mangelhaft und zeitlich schlecht abgestimmt. Gegenwärtig führt Koordinierung nicht zu gemeinsamen Lagebeurteilungen oder gar alle Parteien bindenden gemeinsamen Entscheidungen auf lokaler Ebene.
- Die Evaluierungen zeigen auch, dass sich die EU-Mitglieder nicht darüber einig sind, was „Komplementarität“ genau bedeutet und wie sie sich in der Praxis auswirkt. Informations- und Meinungsaustausch haben einen zu großen Stellenwert, was das Streben nach besseren Ergebnissen beeinträchtigt und zugleich die Transaktionskosten in die Höhe treibt.
- Kommission und Mitgliedstaaten sind dabei, flexiblere gemeinsame Planungsvereinbarungen zu erarbeiten und anzuwenden. Solche Maßnahmen erhöhen die Chancen auf Verbesserung erheblich. An manchen dieser Vereinbarungen sind auch Geber außerhalb der EU beteiligt. Erfolgversprechende Modelle sollten breit aufgestellt werden, um sie noch weiter zu verbessern.

Aus diesen und anderen Ergebnissen folgen vier wesentliche Empfehlungen zur besseren Koordinierung in der EU:
- Eine gemeinsame Anstrengung zu mehr Harmonisierung würde der EU und ihren Mitgliedern bei der Überwindung von alltäglichen Koordinierungshürden helfen.
- Weitere politische und operative Orientierungshilfen sind wichtig, um die EU-Koordinierung in der Praxis voranzubringen.
- Gute Verfahren sollten weit verbreitet werden.
- Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen der EU sollten zur Unterstützung der Koordinierungsarbeit verstärkt gefördert werden.

Wie es weitergeht

Im Juni 2007 wurde der Arbeitsgruppe des EU-Rates zur Entwicklungszusammenarbeit (CODEV) das Synthesedokument vorgelegt. CODEV, dem Vertreter der Mitgliedstaaten und der Kommission angehören, kam zu einigen Schlussfolgerungen, die vom Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen – der obersten europäischen Entscheidungsinstanz für auswärtige Angelegenheiten – im November gebilligt wurden. Der Ratsbeschluss fordert alle Mitgliedstaaten und die Kommission dazu auf, Vorschläge zur Verwirklichung der drei K von Maastricht zu machen.

Jüngste Debatten auf europäischer Ebene deuten jedoch darauf hin, dass es zur Frage, wie viel Fortschritte die EU kurz- und mittelfristig im Bereich Koordination und Arbeitsteilung machen sollte, unterschiedliche Meinungen gibt – besonders angesichts des dritten OECD High Level Forum über die Effektivität von Entwicklungshilfe, das im September in Accra stattfindet.

In einzelnen Entwicklungsländern tendieren die EU-Regierungen eindeutig dazu, eher eng mit gleichgesinnten Mitgliedstaaten und anderen Gebern zusammenzuarbeiten als EU-übergreifend zu handeln. Dies überrascht nicht, da die Arbeitsbeziehungen zu Gleichgesinnten bereits gut etabliert sind. Allerdings ist diese Vorgehensweise nicht unbedingt gut. Mit wie viel „Koalitionen der Willigen“ sollen wir rechnen? Die Geberlandschaft wird immer dichter besiedelt, was schon jetzt zu Problemen führt. Die EU sollte die Probleme bei der Bereitstellung von Entwicklungshilfe verringern, nicht vergrößern.

Fortschritt in der Koordination hängt auch von den Prioritäten der nächsten EU-Präsidentschaften ab. Es muss sich erst noch zeigen, ob die EU-Mitglieder ihre Zusammenarbeit ausweiten wollen oder ob sie weiter individuell oder im Rahmen Gleichgesinnter agieren. Im Entwicklungsbereich könnte sich ein Europa der zwei – oder mehr – Geschwindigkeiten abzeichnen, was sowohl für die Kohärenz der EU-Politik als auch für die Wirksamkeit der europäischen Entwicklungshilfe ungünstig wäre.

Der Vertrag von Lissabon im Dezember war ein Schritt in die richtige Richtung. Er betont Komplementarität und Effizienz ausdrücklich als Ziel europäischer Entwicklungszusammenarbeit. In der Praxis jedoch werden die EU-Mitglieder mehr tun müssen als bloß Informationen auszutauschen. Wenn die Entwicklungszusammenarbeit der EU mehr sein soll als die Summe der Politik ihrer Mitglieder, dann geht es nicht nur um bessere technische Verfahren und Systeme, sondern um eine Vertiefung der europäischen Integration.

Einige Monate vor der Vertragsunterzeichnung in Maastricht 1992 ver­fass­te die Europäische Kommission eine detaillierte Mitteilung für den Rat und das Parlament. Titel: „Ent­wick­lungszusammenarbeit bis zum Jahre 2000“. Das Dokument forderte unter anderem eine Abwendung von bilateraler Zusammenarbeit zugunsten einer gemeinsamen Strategie. Die Kommission forderte sogar eine „gemeinsame Entwicklungspolitik“. Der Rat jedoch verabschiedete den Vorschlag nicht, und der Vertrag von Maastricht bezeichnete die Entwick­lungszusammenarbeit deshalb als „Gemeinschaftskompetenz“ von Mitgliedstaaten und Kommission.

Dennoch erwähnt der Vertrag wenigstens die „drei K“ der Entwicklungspolitik – Koordination, Kohärenz und Komplementarität. Die Kommission erhielt das Initiativrecht sowie die Verantwortung für Strategien und die Implementierung der EU-Politik.

Solche Strategien und politischen Entscheidungen verabschiedet der EU-Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen (General Affairs and External Relations Council, GAERC), der die oberste Entscheidungsgewalt in der Außenpolitik hat, Entwicklungszusammenarbeit eingeschlossen.

In den Jahren nach Maastricht gab es verschiedene Initiativen zur Verbesserung der EU-Koordinierung. Es stellte sich jedoch heraus, dass Fortschritte hauptsächlich in der Formulierung von Grundsätzen, nicht jedoch in der Praxis erzielt wurden. Darüberhinaus überließen die Mitgliedstaaten die Initiative zumeist der Kommission. Nur einige wenige Regierungen setzten sich für die Implementierung der drei K des Maastricht-Vertrags ein.
Der GAERC fasste mehrere Be­schlüs­se zur Förderung der Ko­ordination. Das wichtigste Dokument war wahrscheinlich der Bericht über die „Komplementarität der Entwicklungspolitik der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten“ aus dem Jahre 1999, der unter anderem die komparativen Vorteile der Kommission hervorhob.

2001 verabschiedete der Rat Richtlinien zur „Stärkung der operativen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft im Bereich der externen Hilfe". In beiden Fällen wurde anerkannt, dass die Zielländer die Richtung vorgeben sollten. (pe/nk)