Inklusion

Es tut sich etwas

Menschen mit Behinderungen haben mit vielen Hindernissen zu kämpfen – erst recht in Afrika. Dank zivilgesellschaftlichem Engagement verbessert sich ihre Situation langsam. Dennoch bleibt noch viel zu tun, bis Menschen mit Behinderungen die gleichen Chancen wie alle haben.
Visions Solidaires unterstützt vor allem behinderte Frauen in Togo. Godong/picture-alliance Visions Solidaires unterstützt vor allem behinderte Frauen in Togo.

In Afrika ist es, mehr als irgendwo sonst auf der Welt, eine tägliche Herausforderung, mit einer Behinderung zu leben. Für Menschen im Rollstuhl oder mit Gehbehinderung ist es schwierig, sich in der Stadt voller Barrieren zu bewegen, wo Wege und Gebäude unzugänglich sind. Die soziale Ausgrenzung ist besonders groß, wenn es keine Mobilität und keinen Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen oder Behörden gibt.

Dennoch gibt es einen Hoffnungsschimmer: Die Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderungen beginnt sich in vielen afrikanischen Ländern zu ändern. Dafür verantwortlich ist das Engagement der Zivilgesellschaft mit Unterstützung von internationalen Nichtregierungsorganisationen. So kann man etwa in Togo feststellen, dass Menschen mit Behinderungen nicht mehr nur wahrgenommen werden, sondern es langsam Bemühungen zu ihrer sozialen Integration gibt.

Noch vor einigen Jahren schien es undenkbar, dass Menschen mit Behinderungen ein gutes und erfülltes Leben führen können. Jeder invalide Mensch war Zielscheibe für Spott und Mitleid und zum ewigen Bettlertum verdammt. Menschen mit Behinderungen lebten versteckt, denn in der Gesellschaft wurden sie schlecht behandelt. In vielen Familien wurde die Behinderung als ein Fluch angesehen und man glaubte, wer sich mit behinderten Menschen beschäftige, riskiere, selbst von dem bösen Fluch infiziert zu werden.  Als es einigen Behinderten ermöglicht wurde, eine Schule zu besuchen, kam es zu einem ersten Umdenken. Die Menschen mit Behinderungen, die zur Schule gehen durften, machten so große Fortschritte, dass es ihnen die Achtung und den Respekt ihrer gesunden Mitmenschen einbrachte.

Erste Förderschulen wurden in den 1970er Jahren in Togo mithilfe deutscher Entwicklungsorganisa­tionen und amerikanischer Evangelisten eingerichtet. Es wurden fünf Bildungseinrichtungen für Menschen mit Sehbehinderungen in fünf Städten in verschiedenen Regionen Togos geschaffen. Für geistig behinderte Kinder gibt es neun Zentren und Förderschulen, die sich aber größtenteils in der Hauptstadt Lomé befinden, und Kinder mit Hörschädigungen werden in verschiedenen spezialisierten Schulen aufgenommen. Die älteste und bekannteste ist die Ephphatha-Schule in Lomé, die in den 70er Jahren von der Église des Assemblés de Dieu mit Unterstützung der deutschen Christoffel-Blindenmission (CBM) gegründet wurde.

In zunehmendem Maße wird sich die Debatte über die Notwendigkeit von Förderschulen für Schüler mit Behinderungen hin zur Notwendigkeit von inklusiven Schulen bewegen, in denen gesunde und behinderte Schüler gemeinsam lernen. Inklusion ist eine große ­Herausforderung und bringt grundlegende Veränderungen mit sich, sowohl was den Bau von Schulgebäuden als auch die Evaluierung der Einrichtungen betrifft.


Hochschulerfahrung

Aber trotz der großen Aufgabe scheint die Inklusion voranzuschreiten: 27 Studenten mit Sehbehinderungen sind im aktuellen Semester an der Universität Lomé eingeschrieben und Hunderte Studenten mit körperlichen Behinderungen studieren an den Unis in Togo. Die NGO Visions Solidaires kann bald durch eine Partnerschaft mit der Christoffel-Blindenmission (CBM) Studenten mit körperlichen und mit Sehbehinderungen einige Gebäude und Pausenhöfe an Unis zugänglich machen. Außerdem wird Visions Solidaires auch schwerhörigen und tauben Studenten den Zugang zu Unis ermöglichen. Es soll Unterricht in Zeichensprache sowohl für Studenten als auch für Lehrkräfte geben.

Auch im Arbeitsbereich tut sich langsam etwas. Es hat sich herausgestellt, dass es der Unterstützung internationaler Partner wie der CBM bedarf, um Behinderten ohne Schulbildung einen Arbeitsplatz zu vermitteln, und solchen, die eine Schule besucht haben, den Zugang zum öffentlichen Dienst zu verschaffen. Diese Starthilfe ermöglicht es Visions Solidaires heute, die Arbeitsplätze in der öffentlichen Verwaltung und in der Privatwirtschaft den speziellen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen anzupassen.

Wohlgemerkt sind es in erster Linie Frauen mit Behinderungen, die unterstützt werden. Sie haben meist wesentlich geringere Schulbildung als Männer und bekommen oft keine finanzielle Unterstützung zur Gründung eines Unternehmens. Aber dies konnte verbessert werden: Seit 2012 betreibt die togolesische Organisation zur Förderung von Frauen mit Behinderungen (Association pour la Promotion des Femmes Handicapées du Togo) ein von CBM finanziertes, na­tionales Projekt, das Frauen mit Behinderungen den Zugang zu Mikrokrediten erleichtert und ihre Unternehmensgründungen unterstützt.

Auch im Bereich Sport tut sich einiges. Menschen mit Behinderungen üben verschiedene Sportarten aus. Dies tut ihrer persönlichen Entwicklung gut und unterstützt ihre Integration in die Gemeinschaft. Am 15. und 16. November 2013 fand in Kara, im Norden Togos, die 10. nationale Meisterschaft für Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen statt. Hundert togolesische Sportler mit Behinderungen nahmen an den Wettkämpfen in Disziplinen wie Kugelstoßen, Speerwerfen, Tischtennis oder Basketball teil. Die Besten unter ihnen qualifizierten sich für die Afrikanischen Behindertensportmeisterschaften.

Trotz der Errungenschaften und Fortschritte der vergangenen zwanzig Jahre gibt es noch immer kaum Menschen mit Behinderungen in Führungsposi­tionen. Dieses Thema war Schwerpunkt einer politischen Kampagne von Visions Solidaires bei den Parlamentswahlen im Juli 2013. Die Kampagne zielte darauf ab, dass Politiker und Beamte die Wahlen inklusiv gestalten sollen, so dass Menschen mit Behinderungen kandidieren können und einen besseren Zugang zu den Wahlbüros erhalten.

Die Kampagne hatte Erfolg: Jérémie Yao Vidja, ein Mann mit einer Sehbehinderung, wurde als Abgeordneter in der Nationalversammlung für den Kreis Amou nominiert und gewählt. Dies war eine Premiere, aber doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es muss noch viel geschehen, um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem afrikanischen Kontinent umzusetzen.

 

Samir Abi ist Wirtschaftsexperte und Exekutivdirektor der zivilgesellschaftlichen Organisation Vision Solidaires.
samirvstg@gmail.com
http://visionssolidaires.com/