Klimawandel – Zeit für eine Revolution

Der Treibhauseffekt ist kein bloßes Umweltthema – es geht um die Zukunft der
Weltwirtschaft. Wer jetzt nicht handelt, nimmt immense Folgekosten in Kauf.
Die Hauptverantwortung tragen die reichen Nationen, denn sie sind auch die Hauptverursacher dieser globalen Krise.

[ Von Heidemarie Wieczorek-Zeul ]

Als ich vor gut acht Jahren Bundesentwicklungsministerin wurde und zum ersten Mal in den Weltbankgremien auf die Notwendigkeit von Erneuerbaren Energien gerade auch in Entwicklungsländern hinwies, habe ich so manchen ungläubigen und verständnislosen Blick geerntet. Doch davon unbeeindruckt, haben wir uns immer wieder für den so dringenden Wandel in der weltweiten Energiepolitik eingesetzt und Stufe für Stufe einen Prozess vorangetrieben, in dem 2002 durch den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg und der Renewables-Konferenz 2004 in Bonn wichtige Meilensteine gesetzt wurden – für einen nachhaltigen Umgang mit Energie und für den Schutz des weltweiten Klimas.

In den vergangenen Jahren war die Klimadebatte gekennzeichnet von den Zweifeln einer stetig schrumpfenden, dafür aber sehr lautstarken Schar von Skeptikern. Sie stellten den menschlichen Einfluss auf das Weltklima in Frage oder brandmarkten ihn als groben, angeblich die Wirtschaft schädigenden Unfug. Diese Zeiten dürften nun endgültig vorbei sein. Spätestens seit Anfang Februar das Wissenschaftlergremium für Klimafragen der Vereinten Nationen (IPCC) – weltweit wichtigstes Gremium zur Bewertung des Klimawandels – seinen vierten Sachstandsbericht veröffentlichte, sind die Argumente der Klimaskeptiker wissenschaftlich widerlegt. Die Uhr steht auf „5 vor 12“. Der ehemalige Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Klaus Töpfer, sagt deshalb zu Recht: „Wer jetzt noch nicht wach ist, der muss sich fragen, was denn eigentlich passieren muss, damit man den Ernst der Lage erkennt.“

Zweifler, die erst noch „Unsicherheiten“ klären wollen und die Notwendigkeit des Handelns in Abrede stellen, werden sich die Frage nach mangelnder Verantwortung gefallen lassen müssen; wenn schon nicht für sich selbst, dann für das Schicksal zukünftiger Generationen und insbesondere für die bereits betroffenen Menschen in den Entwicklungsländern. Auch wenn die prognostizierten negativen Folgen des Klimawandels für die Entwicklungsländer nicht wirklich neu sind – die Deutlichkeit, mit der die Wissenschaftler des IPCC negative Folgen voraussagen, erlaubt keine Alternative zu einem schnellen und entschlossenen Handeln.

Gravierende Folgen in armen Ländern

Der Klimawandel gefährdet grundlegend nachhaltige weltweite Entwicklung. Es ist längst nicht mehr ein reines Umweltthema. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Sir Nicholas Stern, hat in seiner Studie zu den ökonomischen Folgen des Klimawandels deutlich gemacht, dass uns der Klimawandel bis zu zwanzig Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts kosten kann. Dabei wäre lediglich ein Prozent des globalen Inlandsprodukts nötig, um solche katastrophalen Entwicklungen abzuwenden. Dank Sterns weltwirtschaftlicher Analyse interessieren sich nun endlich auch Wirtschaftsminister, Konzernführer und Investmentbanker für Klimafragen.
Während diese aber noch Gefährdungsanalysen für ihre Portfolios erstellen, sind die Folgen des von den Industrieländern verursachten Klimawandels für viele Entwicklungsländer bereits dramatisch. Durch Überschwemmungen, Dürren, eine prekäre Wasserversorgung, die Verbreitung ansteckender Krankheiten wie Malaria, durch die Zerstörung von Ökosystemen und ihrer Artenvielfalt sind die Hauptziele der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, die Armutsbekämpfung und Erreichung der Millennium Development Goals, gefährdet. Dabei können wir nur erahnen, welche Folgen die durch den Klimawandel ausgelöste Migration für die Stabilität einzelner Weltregionen haben kann. Bedroht sind ganze Staaten, so etwa die „kleinen Inselstaaten“ in Pazifik und Karibik, die durch den Anstieg des Meeresspiegels der Gefahr der völligen Überflutung ausgesetzt sind.

Klimawandel ist auch eine grundsätzliche Frage der Gerechtigkeit gegenüber den Entwicklungsländern und gegenüber künftigen Generationen. Rund 200 Millionen Menschen leben in gefährdeten Küstenregionen, davon 60 Millionen in Südasien. Bei einem Temperaturanstieg von nur zwei Grad Celsius werden zwischen 700 Millionen und 4 Milliarden Menschen von Wassermangel und Hunger betroffen sein – bei einer Erwärmung um drei Grad weitere 250 bis 550 Millionen, davon über die Hälfte in Afrika. Der Klimawandel ist von den Industriestaaten verursacht worden, die Folgen haben aber vor allem die Menschen in Entwicklungsländern zu tragen, die über die wenigsten Ressourcen verfügen, sich auf die negativen Folgen des Klimawandels einzustellen.

Was wir heute tun oder auch nicht tun, wird zudem direkte Auswirkungen auf zukünftige Generationen haben. Das gilt für den Klimawandel in ganz besonderer Weise, weil das Klimasystem der Erde nur mit sehr großer Zeitverzögerung reagiert. Das ist ein weiterer Grund, keine Zeit zu verlieren und zu handeln.

Für mich bedeutet dies konkret, einen zweigleisigen Ansatz in Industrie- und Entwicklungsländern zu fahren: Die Bekämpfung der Ursachen des Klimawandels und die Anpassung an die bereits jetzt spürbaren Folgen müssen Hand in Hand gehen und sich sinnvoll ergänzen.

Die unmittelbare Herausforderung der internationalen Klimapolitik ist eine signifikante Verringerung der Treibhausgasemissionen weltweit. Hier sind primär die Industrieländer gefragt; sie müssen deutliche Signale in Richtung der Entwicklungs- und Schwellenländer aussenden, dass die eigenen Emissionen transparent und glaubhaft reduziert werden. Auf die Führungsrolle der Europäischen Union wird es entscheidend ankommen, um hier echte Fortschritte zu erzielen. Deshalb halte ich den Ansatz der EU für den richtigen Weg, Reduktionen von 30 Prozent bis 2020 anzustreben. Aber auch die übrigen Industrieländer – allen voran die USA – müssen ihre Emissionen reduzieren. Diese Ziele sind allerdings nur mit Hilfe einer gut durchdachten und langfristig ausgerichteten Energiepolitik zu erreichen, in der Energieeffizienz, Erneuerbare Energien und die Entwicklung neuer Umwelttechnologien eine zentrale Rolle spielen.

Hiervon können und müssen auch die Entwicklungsländer profitieren, denn der Zugang zu einer nachhaltigen, bezahlbaren Energieversorgung ist eine zentrale Voraussetzung für die Armutsbekämpfung. Eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung muss das Ziel für die schnell wachsenden Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien sein. Energieeinsparpotenziale sind dort enorm, und der Transfer und die Nutzung kohlenstoffarmer Energietechnologien ist deshalb eine zentrale Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit. Somit lassen sich die Treibhausgasemissionen der Schwellen- und Entwicklungsländer verringern. Das ist im Übrigen auch der Hintergrund für die notwendige fortgesetzte Kooperation mit China und Indien.

Schäden eindämmen

Ebenso wichtig für die Entwicklungsländer ist eine Unterstützung bei der Anpassung an die schon heute spürbaren Folgen des Klimawandels. Die Verwundbarkeit von Entwicklungsländern gegenüber Klimaveränderungen muss durch eine verbesserte, angepasste Projektplanung und Politikentwicklung vermindert werden. Das erfordert die Integration bereits existierender und vorhergesagter Klimaänderungen, zum Beispiel bezogen auf die Infrastrukturplanung und die Landwirtschaft sowie auf nationale wirtschaftliche Planungsprozesse insgesamt. Davon betroffen sind alle Maßnahmen der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit. Der viel bemühte Begriff des „main- streaming“ erreicht hier eine neue Dimension. Es gilt zu prüfen, ob etwa ein kostspieliges Wasserkraftprojekt durch ausbleibende Niederschläge nach wenigen Jahren zur Investitionsruine wird oder eine küstennahe Straße durch den steigenden Meeresspiegel weggespült wird.

Veränderungen bei der Landnutzung – und hier vor allem die Entwaldung – sind internationalen Schätzungen zufolge für rund 25 Prozent der klimarelevanten CO2-Emissionen verantwortlich. Bislang sind Anstrengungen zur Vermeidung von Entwaldung nicht als CO2-Minderungen im sogenannten Clean Development Mechanism (CDM), dem Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung, zugelassen. An Lösungen, wie der Wald besser geschützt und dies mit Anreizen der Klimapolitik auch finanziell attraktiv für Entwicklungsländer gemacht werden kann, arbeitet die deutsche Entwicklungszusammenarbeit intensiv. Gemeinsam mit anderen bilateralen Gebern, der Weltbank und Nichtregierungsorganisationen werden Möglichkeiten untersucht, den Waldschutz sinnvoll in das internationale Klimaregime zu integrieren und die Entwicklungsländer davon profitieren zu lassen.

Die Entwicklungsländer fordern zu Recht vehement, bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt zu werden. Stets stellt sich die Frage nach ausreichenden finanziellen Ressourcen. Im Rahmen unserer EU-Ratspräsidentschaft engagiere ich mich dafür, den bereits beschlossenen, aber noch nicht funktionsfähigen Kyoto-Anpassungsfonds so auf den Weg zu bringen, dass er bei der nächsten Weltklimakonferenz in Bali verabschiedet werden kann. Bei unseren G8-Partnern werden wir zudem für eine stärkere Ausrichtung der Mittel für die offizielle Entwicklungszusammenarbeit im Hinblick auf die Anpassungsproblematik werben. Diese Mittel alleine können dem Problem allerdings nicht gerecht werden. Es muss gelingen, mit der Privatwirtschaft und den Partnerländern gemeinsam innovative Lösungen für die Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zu finden.

Einen guten Ansatzpunkt hierfür bietet der globale Kohlenstoffmarkt, der sich in den vergangenen beiden Jahren rasant entwickelt hat und ein Milliardenvolumen umfasst. Über den Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) partizipieren auch die Entwicklungsländer an diesem Markt und erhalten Zugang zu modernen Technologien. Die Fortentwicklung des Emissionshandels der EU und dessen Verknüpfung mit möglichen weiteren Handelssystemen, etwa in den USA oder Kanada, ist deshalb essentiell. Seit Jahren engagiert sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit gezielt beim Aufbau von Kapazitäten in Partnerländern, die für die Durchführung von CDM-Projekten erforderlich sind. Ich arbeite nachdrücklich dafür, dass in Zukunft verstärkt auch in Afrika Clean-Development-Mechanismus-Projekte ermöglicht werden können.

Deutschland hat die EU- und die G8-Präsidentschaft zu einem Zeitpunkt inne, zu dem Entwicklungsländerthemen eine herausragende Rolle in der internationalen Klimadiskussion spielen. Klimapolitik wird nur dann erfolgreich sein, wenn wir sie auch als Entwicklungsaufgabe verstehen und angehen. Ohne fairen Interessenausgleich zwischen Nord und Süd, ohne Anerkennung der legitimen Entwicklungsinteressen des Südens und ohne konkrete Unterstützung bei der Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels gibt es keine realistischen Aussichten auf eine Lösung des Klimaproblems und eine erfolgreiche Weiterentwicklung nach dem Auslaufen von Kyoto im Jahr 2012. Die deutsche EU- und G8-Präsidentschaft wird diesen Herausforderungen den angemessenen Stellenwert geben.