Piraterie in Somalia
Kehrtwende empfohlen
Laut Food and Agriculture Organisation der Vereinten Nationen (FAO) leben viele Haushalte Somalias inzwischen direkt oder indirekt von Piraterie. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 300 Dollar pro Jahr versprechen Überfälle fremder Schiffe bessere Lebensumstände: Pro erfolgreicher Entführung verdient jeder Pirat zwischen 10 000 und 15 000 Dollar. Die Lösegelder bewegen sich Schätzungen zufolge zwischen ein und fünf Millionen US-Dollar.
Der internationale Militäreinsatz gegen Piraten vor der Küste Somalias hat die Gefahren im Schiffsverkehr nicht behoben. Im Gegenteil: Die Zahl der Angriffe hat sich mit Beginn der Militäraktion im Jahr 2008 verdoppelt. Die regionale Wirtschaft hat sich erfolgreich auf Piraterie eingespielt. Zu diesem Ergebnis kam schon 2010 eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Internationale Marineeinsätze hätten nur dafür gesorgt, dass die Situation nicht ausufere, und Lösegelder seien kalkulierbar geworden.
Fünf Aktionsebenen
Noch schärfer urteilt jetzt ein Report des Duisburger Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF). Der Versuch, Piraterie alleine durch Abschreckung zu bekämpfen, sei schon im Grundsatz falsch. Selbst bessere Koordination ändere nichts an diesem Befund. Zur Verbesserung der Lage empfehlen die Autoren, Piraterie als Symptom übergeordneter Probleme „im somalischen Kontext“ wahrzunehmen. Lehren aus der Friedensforschung könnten den Blick schärfen. Auf fünf Handlungsebenen zeigt die Studie, wie bessere, inkrementelle Strategien aussehen könnten:
1. Auf lokaler Ebene müssen Akteure enger mit Sippen und Clans kooperieren, die nach dem Zerfall des somalischen Staates 1991 soziale Ordnung schaffen. Workshops mit Ältesten, muslimischen Geistlichen und Geschäftsleuten sollen Banditen dazu bewegen, Überfälle aufzugeben. Als unkonventionelle Lösung schlägt die INEF-Studie auch Mikrokredite für aussteigende Piraten vor.
2. Auf regionaler Ebene empfiehlt die Studie eine bessere Mitsprache und Teilnahme von Somalias Nachbarstaaten und des Jemen, denen Piraterie steigende Handelskosten bringt. Ins Boot gehören aber auch verfeindete Nachbarländer wie Eritrea und Äthiopien. Friedenstruppen der Afrikanischen Union (AMISOM) schützten zwar Somalias Übergangsregierung vor Angriffen islamistischer Milizen, nähmen Piraterie aber nicht als Problem wahr.
3. Die Autoren bestreiten, dass Freiheitsentzug Piraten tatsächlich abschreckt. Sozialarbeit und Sippenstrafen für Familien oder Clans von Piraten könnten wirkungsvoller sein. Allerdings böten Haftstrafen die Chance, Straftäter auf eine legale Existenz vorzubereiten – etwa durch Lese- und Schreibkurse, Ausbildungen in der Landwirtschaft oder Verwaltung.
4. Ein internationaler Fonds soll Lösegeldzahlungen zentralisieren. Oft verzichten Reedereien darauf, Überfälle zu melden, um höhere Versicherungsprämien zu verhindern. Die internationale Gemeinschaft wisse zu wenig über Zahlungswege und die Höhe von Lösegeldern. Die INEF-Autoren glauben, eine Zentralstelle könnte Erpresser dazu bringen, mindestens einen Teil ihres Lösegelds für öffentliche Investitionen (Straßen, Krankenhäuser, Schulen) abzugeben.
5. Um der Piraterie die politische Rechtfertigung zu entziehen, sei Diplomatie nötig. Piraten nutzen ihr Robin-Hood-Prestige, um Überfälle zu legitimieren. Die Ausbeutung der Fischbestände durch ausländische Fischer und Giftmüllexporte haben den Boden dafür bereitet. Somalier selbst können entsprechende Vorbehalte am besten entkräften.
Eigene Küstenwachen könnten ebenfalls ein Zeichen setzen, schreiben die INEF-Autoren: „Ein einziges Kriegsschiff, das nicht Piraten bekämpft, sondern zum Schutz somalischer Gewässer bereitgestellt wird, könnte bereits einen Unterschied machen.“ Größtes Hindernis bleiben die geschäftlichen Interessen vieler Beteiligter – von somalischen Dorfältesten bis zu ausländischen Versicherern. Eine Ausweitung internationaler Militärs dagegen würde Piraten zur Aufrüstung bringen, statt Ursachen zu beseitigen.
Peter Hauff