Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Multilaterale Institutionen

Kredit in der Krise

Schnelle Unterstützung für Länder mit Finanzproblemen leistet traditionell der Internationale Währungsfonds. Seit Beginn der globalen Finanzkrise jedoch ­leisten auch die multilateralen Entwicklungsbanken relativ kurzfristig Hilfe an Schwellen- und Entwicklungsländer. Damit konnten sie vielen Schwellenländern helfen, ärmere Länder blieben jedoch meist außen vor.
„Die armen Entwicklungsländer spürten die Effekte der Krise vor allem über den Rückgang ihrer Exporterlöse“: Ananas­export in Ghana. Ron Giling/Lineair „Die armen Entwicklungsländer spürten die Effekte der Krise vor allem über den Rückgang ihrer Exporterlöse“: Ananas­export in Ghana.

Als im Oktober 2008 die Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach, stoppte plötzlich die gesamte Kreditvergabe im globalen Finanzsystem. Viele Experten befürchteten, dass nun vor allem die Schwellenländer von den internationalen Kapitalmärkten abgeschnitten würden. Deutlich abgefedert haben diesen Effekt unter anderem die Multilateralen Entwicklungsbanken – Weltbank und regionale Entwicklungsbanken – und der Internationale Währungsfonds (IWF). Sie stellten nach dem Ausbruch der Finanzkrise kurzfristig finanzielle Mittel für Schwellen- und Entwicklungsländer bereit.

Diese Antwort der Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs) auf die globale Finanzkrise war, gemessen am Umfang, beispiellos. In den Jahren nach der Krise (2008 –2010) verliehen sie erheblich mehr als vor der Krise (2005 –2007) (siehe Tabelle). Die Entscheidung zu dieser massiven Mittelerhöhung trafen die G20-Staatschefs auf ihrem ersten Gipfel im November 2008 in Washington.


Grundsätzlich fällt die kurzfristige finanzielle Abfederung externer Schocks vor allem in die Zuständigkeit des IWF, während die Entwicklungsbanken eher langfristige Finanzierungen bereitstellen. Zwar plädierten die G20 für eine klare Arbeitsteilung der IFIs im Rahmen einer vor allem von den Schwellen­ländern geforderten umfassenden Reform der Bretton-Woods-Institutionen. Die Krise erforderte jedoch schnelles Handeln, was die Rollenverteilung der Institutionen gehörig durcheinander brachte.

Der größte Teil der zusätzlichen Finanzmittel floss in Länder mit mittlerem Einkommen. Schließlich waren diese Länder, die gut in die internationalen Finanzmärkte integriert sind, unmittelbar von dem plötzlichen Rückgang der Kreditvergabe betroffen. Die armen Entwicklungsländer hingegen spürten die Effekte der Krise vor allem über den Rückgang ihrer Exporterlöse im Jahr 2009. Für sie standen kaum zusätzliche Mittel zur Verfügung. Für ärmere Länder verfügen die IFIs über konzessionäre Fonds, die Kredite mit niedrigen Zinsen und langen Rückzahlungsfristen oder auch nicht-rückzahlbare Zuschüsse anbieten. Die Industrieländer waren in der Krise jedoch nicht bereit, diese Fonds bei den Entwicklungsbanken mit zusätzlichen Mitteln nennenswert aufzufüllen. Der IWF weitete zwar kurzfristig seine Finanzmittel für arme Entwicklungsländer aus, jedoch auch in deutlich geringerem Umfang als für Länder mit mittlerem Einkommen.

Der IWF stellte angesichts der Krise zudem neue Instrumente zur Verfügung. Traditionell bietet er Beistandskredite an, die an strikte wirtschaftspolitische Bedingungen geknüpft sind. Nun jedoch stellte er – mit der Flexible Credit Line – für Länder mit guter makroökonomischer Politik kurzfristig Liquidität praktisch ohne Konditionalität bereit.

Viele Länder wollten allerdings nicht auf die Unterstützung des IWF zurückgreifen. Zudem brauchten sie zumeist auch gar keine Liquiditätshilfe, da sie über ausreichende Währungsreserven verfügten. Sie bevorzugten stattdessen Budgetkredite von der Weltbank und den regionalen Entwicklungsbanken, genannt Policy based lending oder Program loans. Mit diesen konnten sie ihre antizyklische Fiskalpolitik in der Krise finanzieren – also die Staatsausgaben erhöhen und Steuern senken, um die Konjunktur anzuregen. Ein erheblicher Teil der zusätzlichen Finanzmittel der Entwicklungsbanken wurde also als Budgetkredite ausgereicht. Anders wäre kurzfristige Hilfe gar nicht möglich gewesen.

Zusätzlich richtete die Weltbank noch eine Art Beistandskreditlinie für Länder mit mittlerem Einkommen ein, die Deferred Drawdown Option. Sie bot damit jenen Ländern eine Absicherung gegen den Abfluss von Währungsreserven an, die aus politischen Gründen den Gang zum IWF scheuten, wie beispielsweise Indonesien. Auch bei der International Development Association (IDA), dem konzessionären Weltbank-Fonds speziell für die armen Länder, wurde durch eine Umschichtung von Mitteln – jedoch ohne eine Mittelerhöhung – ein Fast Track eingerichtet: eine Möglichkeit, schnell Budgetkredite zu vergeben. Eine kurzfristige Erhöhung von IDA wäre schwierig gewesen, weil dies eine Mobilisierung zusätzlicher Haushaltmittel durch die Geber erfordert hätte.

So waren die Entwicklungsbanken zu wichtigen Krisenhelfern geworden, während die IWF-Angebote mit wenigen Ausnahmen zunächst nur zögerlich in Anspruch genommen wurden. Im Folgenden ein detaillierter Blick auf die Angebote der verschiedenen Institutionen.


Arme Länder nutzen IWF-Kredite kaum

Damit der IWF dennoch seine Rolle bei der Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte übernehmen konnte, beschlossen die G20 im April 2009 eine Verdreifachung seiner Mittel von 250 Milliarden auf 750 Milliarden Dollar. In weiteren Schritten wurden die Finanzmittel, auf die der IWF im Bedarfsfall zurückgreifen kann, auf 1,4 Billionen Dollar aufgestockt. Dies sollte nicht zuletzt seine Handlungsfähigkeit in der Eurokrise sichern. Zudem wurden auch die Sonderziehungsrechte (SDR, Währungseinheit des IWF), ausgeweitet. In zwei Allokationen im August und September 2009 wurden sie fast verzehnfacht: von 21,4 Milliarden SDR auf 204 Milliarden SDR (ca. 314 Mil­liarden Dollar). Der IWF stellt seinen Mitgliedsländern so dauerhaft mehr Liquidität bereit, damit diese Finanzkrisen besser abfedern können.

Wie bereits erwähnt, reformierte der IWF zudem seine Instrumente. Er richtete neue vorbeugende Kreditlinien mit Ex-ante-Konditionalität ein: die Flexible Credit Line (FCL) und die Precautionary and Liquidity Line (PLL). Länder, die in einem vorhergehenden Qualifikationsverfahren sehr gute oder gute Wirtschaftspolitiken attestiert bekommen, qualifizieren sich für die FCL und PLL. Sie können im Bedarfsfall kurzfristig Kredite in großem Umfang vom IWF abrufen. So haben sie beispielsweise bei einer Finanzkrise schnell Liquidität zur Verfügung und werden vor Ansteckungseffekten geschützt. Die FCL wurde bislang nur von drei Ländern in Anspruch genommen: Mexiko, Kolumbien und Polen. Eine erste Analyse zeigt, dass die FCL in dem volatilen weltwirtschaftlichen Umfeld stabilisierend gewirkt und zu einem Rückgang der „Spreads“ – also der Risikoaufschläge auf die Staatsanleihen von Schwellenländern – geführt hat. Deshalb mussten diese Länder letztlich gar nicht auf die durch FCL zugänglichen Kredite zurückgreifen. Es hatte schon ausgereicht, dass die Kredite bereit­standen, um die Finanzmärkte zu beruhigen.


Der IWF stärkte auch sein Engagement in den armen Entwicklungsländern. Er stockte seine Mittel für konzessionäre Kredite beträchtlich auf: auf 17 Milliarden Dollar bis 2014. Und er gewährte allen Niedrigeinkommensländern einen Erlass ihrer Zinszahlungen für ausstehende konzessionäre Kredite bis Ende 2011. Offenbar benötigten jedoch nur wenige Niedrigeinkommensländer diese Krisenmittel – oder sie fürchteten die Auflagenpolitik des IWF. Ende 2012 jedenfalls waren lediglich rund 8,8 Milliarden Dollar an konzessionären Krediten für Niedrigeinkommensländer ausgeliehen. Im Vergleich zum laufenden Griechenland-Programm des IWF in Höhe von 36,6 Milliarden Dollar ist dies ein eher bescheidener Betrag.

Wichtiger als die Ausleihungen selbst war für die Entwicklungsländer jedoch die Signalwirkung dieser Ankündigungen. Tatsächlich gingen zwei Drittel der Ausleihungen an die überschuldeten Länder Europas. Dies geschah zwar mit Unterstützung der Schwellenländer, diese merkten jedoch gelegentlich an, dass sich die europäischen Krisenländer wenig anpassten und der IWF große Nachsicht mit ihnen und der zögerlichen Politik zur Stabilisierung der ­Eurozone zeigte.


Weltbank unterstützt ­Schwellenländer

Die Weltbank verdreifachte in der Krise die nicht-konzessionären Mittel für Länder mittleren Einkommens (IBRD-Kredite). Ein großer Teil davon ging an die G20-Schwellenländer. Einige konnten so den Gang zum IWF und das damit verbundene Stigma umgehen. Man könnte auch kritisch einwenden, dass sich die G20-Schwellenländer mit der Vereinbarung von Kapitalerhöhungen für die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken in erheblichem Umfang selbst geholfen haben, während die armen Länder, mangels einer Erhöhung von IDA-Mitteln, weitgehend leer ausgingen.

Zusätzlich zu den IBRD-Krediten bot die Weltbank Finanzierungshilfen an, um den Rückzug kommerzieller Banken auszugleichen. So wurden Mikrofinanz­institute in Entwicklungsländern durch eine globale Kreditlinie abgesichert. Außerdem machte die International Finance Corporation (IFC), die zur Weltbankgruppe gehört, Garantien und Kreditlinien im Umfang von bis zu 5 Milliarden Dollar für die Handelsfinanzierung verfügbar. Dennoch kritisierten Fachleute die IFC dafür, dass sie wie ein privatwirtschaftliches Institut ihre Finanzierungen im Jahr 2009 etwas zurückfuhr und damit prozyklisch agierte.

Ähnlich wie beim IWF zahlte auch die Weltbank nur einen Teil der Gelder unmittelbar aus. Sie ist nicht darauf eingerichtet, Mittel schnell auszuzahlen, weil Projektkredite und Budgetfinanzierung gewisse Vorbereitungszeit brauchen. In den Jahren 2009 und 2010 beispielsweise zahlte sie nur 56 bzw. 65 Prozent der zugesagten IBRD-Kredite aus, und auch von den zugesagten IDA-Mitteln wurden 2009 und 2011 nur 66 bzw. 63 Prozent ausgezahlt.

Wichtiger als die Auszahlung selbst war aber oft die Signalwirkung für die Kapitalmärkte. Die Verfügbarkeit dieser Mittel hat sich positiv auf die Refinanzierungskosten der Länder mit mittlerem Einkommen auf den internationalen Kapitalmärkten ausgewirkt, was an den sich rasch wieder normalisierenden Spreads für Staatsanleihen abzulesen war.

Bemerkenswert ist, dass die Weltbank ihre Finanzierungszusagen auf nur wenige Länder konzentrierte. Zwischen 2008 und 2010 erhielten sechs Länder bis zu 68 Prozent des gesamten IBRD-Ausleihvolumens. Brasilien, Indonesien und Mexiko gehörten im gesamten Zeitraum dazu; China, die Türkei und In­dien in zwei von drei Jahren.

Auch von den IDA-Ressourcen – die speziell für ärmere Länder angeboten werden – ging zwischen 2008 und 2010 rund die Hälfte an nur vier von 79 berechtigten Ländern. Zu den bedeutendsten Empfängern zählten relativ entwickelte Länder wie Indien, Vietnam und Nigeria. Auch wenn die Ursache dafür an den IDA-Verteilungskriterien liegt, die große und relativ leistungsstarke Länder bevorzugen, so ist dies doch problematisch. Schließlich geht es um hoch konzessionäre Mittel – die eigentlich für benachteiligte Länder gedacht waren.

Für die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken stellt sich nun die Frage, ob sie auch weiterhin mit ihren Mitteln kurzfristige Krisenbekämpfung betreiben sollten, oder ob dieses Feld dem dafür eigentlich zuständigen IWF überlassen werden sollte. Da gerade die armen Länder besonders verletzlich sind, ist unstrittig, dass das Kriseninstrument der IDA, das in der Krise neu eingerichtete „Crisis Response Window“, ausgebaut werden soll. Dieses kann Entwicklungsländern bei kurzfristigen Schocks aushelfen, wie sie etwa durch Nahrungsmittel- und Energiepreisschwankungen oder Naturkatastrophen verursacht werden. Zurzeit umfasst diese Fazilität nur fünf Prozent der IDA-Mittel. Zusätzlich hat IDA Ende 2011 den sogenannten „Immediate ­Response Mechanism“ eingerichtet. Darüber können Länder innerhalb von wenigen Wochen Zugang zu noch nicht ausgezahlten Mitteln von bereits zugesagten Projekten bekommen.

Schwieriger ist die Frage, ob die IBRD-Budgetkredite an Länder mittleren Einkommens im Krisenfall wieder so eingesetzt werden sollten oder es nicht vielmehr die vordringliche Aufgabe einer Entwicklungsbank ist, langfristige Investitionen zu finanzieren. So zum Beispiel in „Inclusive Green Growth“, das von der G20 auf dem Mexiko-Gipfel 2012 vereinbarte Leitbild. Die Krisen­finanzierung in diesen Ländern müsste dann dem IWF überlassen bleiben.


Literatur:
Griffith-Jones, S., und Gottschalk, R., 2012: Exogenous shocks – Dealing with the only certainty: uncertainty. Paper prepared for the Commonwealth Secretariat, London.
G20, 2009: G20 Working Group 4: The World Bank and other multilateral development banks. Final Report.
IWF, 2009: Background note: The IMF response to the Global Crisis: Meeting the needs of low-income countries. Washington D.C.
http://www.imf.org/external/np/lic/2009/072909.htm
IWF, 2010: The Fund’s mandate – Future financing role, finance, legal, monetary and capital markets, research and strategy, policy and review departments in consultation with other departments. Washington D.C.
http://www.imf.org/external/np/pp/eng/2010/032510a.pdf
Marino, R., und Volz, U., 2012: A critical review of the IMF’s tools for crisis prevention. Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Discussion Paper 4/2012.
McKay, J., Volz, U., und Wölfinger, R., 2011: Regional financing arrangements and the stability of the international monetary system. Journal of Globalization and Development, Vol. 2 (1), 2011, Article 1.
Volz, U., 2012: The need and scope for strengthening co-operation between regional financing arrangements and the IMF. Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Discussion Paper 15/2012.
Weltbank, 2011: The World Bank Group’s response to the Global Economic Crisis. Washington D.C.