Geberländer

BRICS ohne Mörtel

China baut Straßen und Flughäfen in Afrika, Brasilien fördert Angolas Wiederaufbau, Indien erneuerbare Energien in Ostafrika: Europas Enga­gement in Entwicklungsländern hat vielfältige Konkurrenz bekommen.

Von Peter Hauff

Aus Sicht vieler Mitgliedsregierungen der Organisation für wirtschaft­liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind die BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) eine Staatengruppe mit einheitlichen Vorstellungen über offizielle Entwicklungshilfe (ODA). Ihre Kooperation mit armen Ländern scheint gleichen Mustern zu folgen, wobei Rohstoff- und Exportinteressen sowie re­gionale und globale Machtansprüche als dominante Motive gelten. Der Eindruck der Einheitlichkeit trügt aber, sagen Wissenschaftler von zwei unabhängigen Forschungseinrichtungen, dem Südwind Institut in Siegburg und dem europäischen Ableger des Ecologic Institute. In ihrer Studie für das Europäische Parlament (EP) empfehlen sie, Europa solle seine Positionen gegenüber den BRICS überdenken.

In der Regel sehen Europäer höchstens Russland als ebenbürtigen Akteur. Laut Studie versäumte es Russland aber bisher, eine 2007 angekündigte ODA-Agentur zu schaffen. Moskaus Verhältnis zu ehemaligen Sowjetrepubliken schwankt dabei zwischen Sparwünschen und der Angst um seine geopolitische Autorität.

„Neue Geber“ mit langer Praxis

Wegen Russlands Engagement in Zen­tralasien halten sich EU-Mitglieder in der Region zurück. Ihre Politiker definieren Armenien, Aserbaidschan oder Moldawien nicht als Entwicklungsländer, sondern als Partner der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP), betonen die Autoren. Doch welche Rolle Demokratie und Menschenrechte in Verhandlungen mit dem BRICS-Mitglied Russland spielen sollen, blendet ihre Studie aus.

Brasilien kommt politischen Vorstellungen des Westens am nächsten, schreiben die Autoren. Nicht nur in Südamerika, auch in Afrika wachse seine Bedeutung. Allerdings propagiert Brasilien demokratische Werte in seiner Entwicklungspolitik fast überhaupt nicht, sondern betont natio­nale Souveränität. Dem Außenministerium in Rio de Janeiro untersteht seit 1987 die Agência Brasileira de Cooperação (ABC). Anfangs diente sie dazu, Entwicklungshilfe etablierter Geber zu empfangen, ist mittlerweile aber selbst eine Gebereinrichtung (siehe Elton Hubner in E+Z/D+C 2012/05, S. 214 f.). Brasilien will einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat – seine Projekte in armen Ländern dienen diesem Ziel, wie die Studie festhält.

Auch Indien ist eine Demokratie und strebt in den Sicherheitsrat. Es ist sogar seit 50 Jahren technischer Partner ande-rer Entwicklungsländer. Entsprechende Fonds, Institutionen und Programme verwaltet Indien aber in schwer nachvollziehbaren Strukturen. Derweil agiert es am liebsten bilateral, wie die Studie ausführt. Noch für 2012 hat die Regierung die Gründung einer Indian Agency for Partnership in Development (IAPD) angekündigt. Deren Haushalt werde für fünf bis sieben Jahre über 11 Milliarden Dollar umfassen.

Südafrika ist die größte Volkswirtschaft des Kontinents; im Vergleich zu den anderen BRICS bleibt es aber ein Federgewicht. Laut der Studie für das Europa-Parlament propagieren Südafrikas Politiker wirtschaftliche Integration in Afrika und fördern Frieden und Sicherheit. Die Entwicklungspolitik betreffe aber nur eigene Regionalinteressen. Schaltstelle ist das Außenministerium (Department of International Relations and Cooperation – DIRCO). Es kündigte für Sommer 2012 die Gründung eine South African Development Partnership Agency (SADPA) an, um die Finanzierung von Entwicklungspolitik zu bündeln. Bis Redaktionsschluss Ende August war das nicht geschehen. Dass die Regierung von Präsident Jacob Zuma eher antiimperialistische Solidarität als demokratische Werte betont, kommt in der Studie nicht zur Sprache (siehe auch Bericht über SADC Tribunal auf S. 318).

Ohne China wären die BRICS ein zahnloser Tiger, schreiben die Wissenschaftler. China koordiniere seine Politik in drei verschiedenen Ministerien (Finanzen, Ausland, Handel). Peking betreibe keine sepa­rate Entwicklungspolitik, heißt es, sein Engagement sei aber beachtlich. Die China Development Bank und die staatliche Export-Import-Bank vergaben laut Financial Times in den beiden Jahren 2009 und 2010 Kredite im Wert von 110 Milliarden Dollar in Entwicklungsländern. Das entspricht grob der Hälfte des gesamten ODA-Aufwands der OECD-Mitglieder im selben Zeitraum.

Chinas Absichten in Afrika machen Europa argwöhnisch, zumal Peking mit autokratischen Herrschern wie im Sudan und Simbabwe kooperiert. An welchen Regeln und Umweltvorschriften sich seine Entscheider orientieren, haben aber die wenigsten Europäer vor Augen. Eine Fallstudie der Französischen Entwicklungsagentur AFD untersucht Erfahrungen in einem Ölförderungs-Projekt im Tschad aus dem Jahr 2009, an dem europäische, chinesische und zentralafrikanische Partner beteiligt waren. Fazit: Peking legt Wert auf stabile Verhältnisse im Land und sucht den Dialog; solche Chancen zur Zusammenarbeit sollte der Westen nutzen. Eine Studie des zivilgesellschaftlichen Friedensnetzwerks Saferworld, London, kommt zu einem ähnlichen Schluss: China wisse, dass es von Erfahrungen anderer Geber lernen kann. Pekings heutige Politik in Konfliktregionen biete Chancen für gemeinsame Friedensmaßnahmen mit dem Westen. Würden China und etablierte Geber ihre Politik gegenüber fragilen Staaten besser koordinieren, dann sänken dort die Gefahren für Frieden und Sicherheit.

Werden BRICS helfen, westliche Hegemonie zu überwinden und alte Fehler zu vermeiden? Nein, befürchtet Ian Scoones vom Institute for Development Studies in Sussex: „Die überkommenen Muster einer von Fachleuten bestellten Entwicklungspolitik wiederholen sich“, schreibt er mit Blick auf Chinas Beitrag zu Agrarentwicklung in Simbabwe. „Dass Hilfe anzubieten immer auch Macht bedeutet, wird außerhalb Afrikas leider nur schemenhaft wahrgenommen, egal woher die Experten stammen.“

Den Europaparlamentariern und der EU-Kommission empfiehlt die Südwind- und Ecologic-Studie derweil, die unterschiedlichen Anliegen der BRICS mit differenzierter Politik zu beantworten. Sie raten dazu, mit Unterkoalitionen der BRICS zu arbeiten, wie etwa BASIC (Brasilien, Südafrika, Indien, China) oder IBSA (Indien, Brasilien, Südafrika), deren Vorstellungen stärker zusammenpassten als die der BRICS insgesamt.

In jedem Fall warnen die Autoren, der Entwicklungsausschuss (DAC) der westlich dominierten OECD sei kein guter Rahmen, um mit BRICS zu verhandeln. Die Gründung der neuen Global Partnership for Effective Development Cooperation (siehe Interview mit Talaat Abdel-Malek auf S.345 ff.) stand bei Ausarbeitung ihrer Studie noch bevor. Die Aussicht darauf begrüßten die Autoren aber: „Sie öffnet der Welt ein Fenster, um auf die neue geopolitische Ordnung einzugehen und neuen Gebern das Recht auf ihre eigene Meinung und Agenda zu vermitteln.“

Peter Hauff