Behinderung

Dysfunktionale Ausbildung

Staatliche Institutionen in Indien schaffen es nicht, Menschen mit Behinderungen (MmB) in den Arbeitsmarkt zu integrieren wie es das UN-Menschenrechtsprinzip erfordert. In der Regel leben MmB in Armut und bleiben im informellen Sektor hängen.
Es ist besser, in einer Stadt zu leben: Kinder in Bangalore. Liba Taylor/Lineair Es ist besser, in einer Stadt zu leben: Kinder in Bangalore.

Indiens staatliches Ausbildungssystem für MmB funktioniert nicht. Ein Beispiel ist das Industrial Training Institute for the Physically Handicapped (ITIPH) in Kolkata. Es hat die allerneuesten teuren und speziell auf Behinderte zugeschnittene Maschinen und es bietet Ausbildungen mit Jobgarantie an. Die Ironie dabei: Das Institut kann jetzt auch von Personen ohne Behinderungen besucht werden, unter dem Vorwand, dass es „nicht genug Nachfrage“ von Behinderten gäbe. Aber es wurde nie ernsthaft versucht, MmB auf dem Land zu erreichen, wo die meisten von ihnen leben.

Generell haben die staatlichen Ausbildungszentren Vocational Resource Centres (VRCs) eine gute Infrastruktur sowie Berater für die MmB. Sie bieten eignungsbasierte Trainings und flexible Programme an. Aber zu viele Techniken sind überholt und führen nicht zu hochqualifizierter Ausbildung. Buchbinden, Stenografie oder Schreibmaschinenschreiben sind Beispiele von Bereichen, die dort unterrichtet werden, obwohl sie auf dem Arbeitsmarkt wohl kaum noch gebraucht werden.

Wie die ITIPH ereichen die VRCs kaum die Landbevölkerung – in ländlichen Gebieten finden sich nur wenige Niederlassungen. VRCs kümmern sich um MmB vom Land in der Regel nur dann, wenn sie von lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) darum gebeten werden. Aber es gibt nur wenige NGOs für behinderte Menschen.

Das Stadt-Land-Gefälle ist frappierend. Nur 1,5 Prozent der MmB in ländlichen Gebieten erhalten eine Ausbildung bei den VRCs, und es sieht nicht so aus, als wären diese Absolventen in der Lage, sich selbstständig zu ernähren. Die VRCs bieten keine Unterstützung für junge Unternehmer an, aber ohne Hilfe ist eine selbstständige Tätigkeit selten erfolgreich.

Zu viele Trainingsprogramme – ob staatlich oder von NGOs – zielen nur auf das Erlernen eines Handwerks, aber nicht auf seine Anwendung. Die Auszubilden werden kaum darin unterstützt, ihre gelernten Fertigkeiten im Job praktisch anzuwenden. Viele Trainingsprogramme entsprechen nicht der Marktrealität und helfen nicht dabei, Kredite oder Rohmaterialien zu bekommen. Es ist ein ganzheitlicher Ansatz vonnöten. Nur damit können die Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen, wenn sie die Ausbildung abgeschlossen haben.

Berufsausbildungsprogramme für MmB sind oft zu schablonenhaft. Sie berücksichtigen nicht die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen. Es gibt viele verschiedene Beeinträchtigungen und manche schränken mehr ein als andere. In den staatlichen Ausbildungsprogrammen sind Männer mit orthopädischen Beeinträchtigungen überrepräsentiert. Das liegt daran, dass sie am leichtesten zu integrieren ist.

Wenn keine formale Ausbildung möglich ist, nutzen MmB oft ihre eigenen sozialen Netzwerke, um Fertigkeiten zu erlernen. Der Vorteil von informellem Training ist, dass es einfach in den laufenden Geschäftsbetrieb eingebunden werden kann und dass Neulinge sich schnell einfinden. Nach einer kurzen Lehrzeit, die vor allem aus informellem Learning-by-doing besteht, können physisch beeinträchtigte Personen schon Geld verdienen. Der Haken an diesen Jobs ist, dass sie in der Regel schlecht bezahlt sind und keinerlei Beschäftigungssicherheit bieten. Weil die Produktivität nur gering ist, bleiben MmB in diesem Sektor auf lange Sicht weiterhin arm. (is)

 

Ipsita Sapra ist Soziologin am Hyderabad-Campus des Tata Institute of Social Sciences. Ihre Doktorarbeit beschäftigt sich mit jungen Menschen mit Behinderungen.
ipsita_basu@yahoo.com