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Indiens Reinigungskräfte für Latrinen werden aufgrund ihrer Kaste ausgebeutet

Inder*innen unterdrückter Kasten reinigen trotz Verbots und unter Lebensgefahr händisch Latrinen. Ihre Lage offenbart systemische Diskriminierung, desolate Infrastruktur und geringe Fortschritte bei der Umsetzung menschenwürdiger Arbeit.
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Eines der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) ist die Förderung von menschenwürdiger Arbeit und Wirtschaftswachstum (SDG 8). In Indien gefährdet jedoch die weit verbreitete manuelle Latrinenreinigung das Erreichen dieses Ziels. Informelle Arbeiter*innen aus unterdrückten Kasten arbeiten dabei unter gefährlichen und unhygienischen Bedingungen.

Bei der manuellen Latrinenreinigung reinigen die Arbeiter*innen unter anderem offene Abwasserkanäle und Latrinen von menschlichen Exkrementen. Manche steigen dazu ohne Schutzausrüstung in Gruben hinab, wo sie potenziell giftigen Abfällen ausgesetzt sind. Darunter sind auch schädliche Gase und Krankheitserreger, die zu Krankheiten wie Leptospirose, Hepatitis und Helicobacter führen können. Offizielle Statistiken über Todesfälle gibt es kaum, doch laut Berichten sind bereits Menschen ums Leben gekommen.

Bei der Berichterstattung über die Notlage der „Kanalarbeiter*innen” in Indien bestätigte BBC-Mitarbeiter Roxy Gagdekar Chhara aus dem indischen Bundesstaat Gujarat das Rätsel um die Statistiken zur manuellen Latrinenreinigung. Er bezog sich dabei auf einen indischen Bundesminister, der 2021 vor dem Parlament erklärte, die Regierung habe durch Umfragen 58.098 solcher Reinigungskräfte im Land identifiziert. Der Minister fügte hinzu, es gebe aber „derzeit keine Berichte über die Praxis der manuellen Latrinenreinigung im Land.“ Seine Behauptung wird allerdings durch Daten von Safai Karmachari Andolan angefochten, einer Bewegung, die sich für die Abschaffung der manuellen Latrinenreinigung einsetzt. Die Organisation gibt an, dass es mehr als 770.000 solcher Arbeiter*innen gebe.

Verbot wird kaum durchgesetzt

Die Arbeit der Latrinenreiniger*innen ist so demütigend, dass sie in der Regel im Verborgenen oder nachts erledigt wird, damit die „zivilisierte“ Gesellschaft etwas so Abscheuliches nicht sehen muss. Offiziell ist diese Form der Latrinenreinigung in Indien illegal. Indien verbot 1993 mit dem „Employment of Manual Scavengers and Construction of Dry Latrines (Prohibition) Act” erstmals die manuelle Latrinenreinigung. 2013 wurde ein weiteres Gesetz verabschiedet, das die Beschäftigung als manuelle Latrinenreinigungskraft unterbindet und Betroffene bei der Rehabilitation unterstützt (Prohibition of Employment as Manual Scavengers and their Rehabilitation Act). Ziel des Gesetzes ist es, betroffene Personen zu identifizieren und ihnen durch Rehabilitationsprogramme neue Perspektiven zu eröffnen. Im Jahr 2014 entschied der Oberste Gerichtshof Indiens, dass die manuelle Latrinenreinigung eine grobe Verletzung der internationalen Menschenrechte darstellt.

Kastenbasierte Ungleichheit und strukturelle Armut

Trotz der gesetzlichen Regelungen und der offensichtlichen Gefahren dieser Praxis sind die Menschen aus Armut auf sie angewiesen. Das Kastensystem Indiens spielt dabei eine bedeutende Rolle, da insbesondere Arbeiter*innen aus unterdrückten Kasten betroffen sind. Die Dalits, die sogenannten Unberührbaren, und die Adivasi, die indigene Bevölkerung Indiens, gehören zu den am stärksten unterdrückten Gruppen des Landes. Seit Jahrhunderten werden sie ausgegrenzt und ihrer grundlegenden Menschenrechte beraubt. In der Folge sind sie häufiger von Armut, mangelndem Zugang zu Bildung und geringeren Beschäftigungsmöglichkeiten betroffen. Die Zeitung Indian Express berichtete unter Berufung auf Regierungsdaten, dass überwältigende 97 % der manuellen Latrinenreiniger*innen in Indien Dalits sind – dies unterstreicht die starke Verbindung zwischen der Kaste und dieser Form von Arbeit. 

Die manuelle Latrinenreinigung offenbart verschiedene Probleme der indischen Gesellschaft. Neben der Unterdrückung ganzer Bevölkerungsgruppen und fehlenden Arbeitnehmerrechten hat das Land mit unzureichender, veralteter Infrastruktur zu kämpfen. Dazu gehören schlecht gewartete öffentliche Toiletten, überflutete Straßen und verschmutzte Abwasserkanäle im öffentlichen Raum. Obwohl das Land technologische Fortschritte gemacht hat, fehlen geeignete Maschinen, um die sanitäre Infrastruktur sauber zu halten. Unter diesen Umständen bietet die manuelle Latrinenreinigung billige Arbeitskräfte. 

Die Diskriminierung unterdrückter Gruppen in Indien, auch am Arbeitsplatz, muss aufhören! Die Menschen, die derzeit als manuelle Latrinenreiniger*innen arbeiten, sind in einem Teufelskreis aus sozialer Diskriminierung und Ausgrenzung aus weiten Teilen des Arbeitsmarktes gefangen. Sie verdienen jedoch eine menschenwürdige Arbeit – genau wie alle anderen auch.

Ipil Monica Baski ist eine freiberufliche Autorin und Aktivistin aus Indien.
Ipilbaski16001@gmail.com 

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