Menschenrechte
Weg in die Hungersnot
Im Südsudan greift die Gewalt um sich: Augenzeugen fühlen sich an die Massaker in Ruanda vor zwanzig Jahren erinnert. Der politische Konflikt zwischen Präsident Salva Kiir und dem ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar im Dezember letzten Jahres ist längst in ethnische Auseinandersetzungen umgeschlagen. Kiir mobilisierte seine Volksgruppe, die Dinka, und Machar die seine, die Nuer. Bewaffnete Banden töteten gezielt Angehörige des jeweils anderen Stammes.
Mehr als 1 Million Menschen sind geflohen; das ist ein Zehntel der Bevölkerung. Doch viele Regionen des großen Landes haben keine Kommunikationskanäle zur Stadt. Wie viele Menschen vertrieben oder getötet wurden, und wie viele in den Busch geflohen sind, ohne Nahrung, ohne medizinische Versorgung, abgeschnitten von der Umwelt, weiß niemand.
Die UN hat in ihrem Report vom Mai 2014 klar dargelegt, dass es sich auf beiden Seiten um systematische ethnische Säuberungen handelt. Entsprechend hat Amnesty International, deren Jahresbericht 2013 ebenfalls massive Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die UN aufgefordert, ihre Mission im Südsudan (UNMISS) zu erweitern.
Jetzt beginnt die Regenzeit. Es sind die entscheidenden Wochen in diesem weiten, fruchtbaren Land: Wenn die Bauern jetzt nicht aussäen, wird es im Herbst keine Ernte geben. Viele Menschen sind jedoch weit von ihren Dörfern und Feldern entfernt, und marodierende Gewalttäter halten sie von der Rückkehr ab. Die Mehrheit der Menschen im Südsudan wird bald nichts mehr zu essen haben.
Ungeachtet der aufziehenden Katastrophe sind die Machthaber weiterhin mit ihren Auseinandersetzungen beschäftigt. Kiir und Machar unterzeichneten zwar am 10. Mai ein Friedensabkommen, das unter anderem einen sofortigen Waffenstillstand und eine gemeinsame Übergangsregierung vorsieht. Danach herrschte zwar in der Hauptstadt Juba Ruhe, in mehreren Provinzen wird jedoch weiter gekämpft. Die Kämpfenden dort interessieren sich nicht für die Papiere, die Politiker in Addis Abeba unterzeichnen.
Zudem ist es nicht einmal Kiir und Machar selbst mit dem Abkommen wirklich ernst. Sie legten keine Details für eine Übergangsregierung fest und halten sich auch sonst nicht an ihre Absprachen. Schon am Tag nach der Unterzeichnung erklärte Kiir, er sei und bleibe der Präsident Südsudans, komme, was wolle. Er verschob auch gleich die nächsten Präsidentschaftswahlen um mehrere Jahre auf 2017 oder 2018. So sieht kein ernsthaftes Friedensabkommen aus. Schon jetzt sind mehr als vier Millionen Menschen im Südsudan auf Hilfe von
außen angewiesen. Geflohen vor roher Gewalt, ohne Habe und zusammengepfercht in Flüchtlingslagern, liegt ihre einzige Hoffnung in der internationalen Solidarität.
Am 20. Mai beschloss eine Geberkonferenz in Norwegen, als Nothilfe 1,2 Milliarden Dollar bereitzustellen. Das liegt unter der Marke von 1,8 Milliarden Dollar, die laut UN nötig sind, um eine Hungerkatastrophe enormen Ausmaßes abzuwenden.
Nothilfe für Hungernde ist unabdingbar. In diesem Moment jedoch könnte eine andere Maßnahme wirksamer sein: eine rasche Aufstockung der UN-Blauhelme. Genug Soldaten sollten umgehend an strategischen Orten stationiert und mit einem robusten Mandat ausgestattet werden – mit dem Befehl, aktiv einzugreifen, sobald Menschenrechtsverletzungen begangen werden.
Selbst wenn Südsudans Spitzenpolitiker nicht viel für einen dauerhaften Frieden tun, so sollte die internationale Gemeinschaft ihre Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) ernst nehmen und jetzt eingreifen, um weitere ethnisch begründete Massaker zu verhindern. So könnte ein erzwungener Frieden geschaffen werden – und die Bauern vielleicht doch noch ihre Felder bestellen.
Eva-Maria Verfürth ist Redakteurin bei E+Z/D+C.
eva-maria.verfuerth@fs-medien.de