Klima
Ein Jahr ist zu kurz
[ Von Hannelore Börgel ]
Erbarmungslos brennt die Sonne, trockenes Land zieht sich kilometerweit entlang der holprigen Pisten im Osten des Tschad. 250 000 sudanesische Flüchtlinge und 180 000 Vertriebene leben an der sudanesischen Grenze.
Seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 wartet der Tschad auf den demokratischen Wandel – und erlebte stattdessen Krieg, eine libysche Invasion und Militärcoups. Ein autoritäres Regime löste das andere ab. Meist regierten autokratische Präsidenten mit Hilfe kleiner, ethnisch homogener Eliten.
Heute besteht die bewaffnete Opposition aus mindestens zehn verschiedenen, untereinander zerstrittenen Gruppen. In der zivilen Opposition schlossen 2004 die wichtigsten Parteien eine Allianz. Sie hat aber kein politisches Programm. Das ermöglicht es dem Präsidenten Idriss Déby, taktische Allianzen mit verschiedenen Rebellengruppen zu schließen.
Vor diesem Hintergrund bemüht sich die EU seit vergangenem Jahr, zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln. Es gab schon ein Abkommen, das unter anderem die Erstellung eines Wählerregisters, die Einrichtung einer unabhängigen Wahlkommission und einen gemeinsam abgestimmten Parlamentswahltermin vorsah. Doch ein Putschversuch im Frühjahr hat alles wieder in Frage gestellt.
Die Spannungen in der Region haben mehrere Ursachen. Die Eliten in Tschad und Sudan wollen sich den Zugriff auf das Erdöl sichern, armen Menschen geht es derweil um den Zugang zum Wasser. Die Geburtenrate ist auf beiden Seiten der Grenze hoch, und der Treibhauseffekt, der auf der weltweiten Nutzung fossiler Energieträger beruht, dürfte die Wasserknappheit in Zukunft noch verschärfen. Manche Beobachter sagen, der Konflikt, der hier tobt, sei der „erste ökologische“ Krieg des 21. Jahrhunderts. Das ist insofern übertrieben, als die ökologischen Probleme nur eine, aber eben nicht die einzige Ursache der Spannungen sind.
Angespannte Sicherheitslage
Die Sicherheitslage ist seit 2005 permanent schlechter geworden. Dass die Regierungen von Sudan und Tschad sich bei der Bekämpfung von Rebellen unterstützten, ist lange her. Heute sind sie verfeindet. Die sudanesische Strategie der Destabilisierung des Tschad ist eine Reaktion auf dessen Unterstützung von Rebellen in Darfur. Weil die Regierungen die bewaffnete Opposition im jeweiligen Nachbarland unterstützen, sind die Krisen beider Länder eng verflochten. Khartum sucht einen militärischen Triumph in Darfur – dafür wäre aber ein Regimewechsel in N’Djamena nötig, damit die Rebellen Rückzugsraum und Unterstützer verlieren. Auf den Putschversuch im Februar in N’Djamena reagierten denn auch vom Tschad unterstützte Rebellen, indem sie im Mai in die Vororte Khartums vordrangen.
Die Zivilbevölkerung im Osten des Tschad wurde seit 2005 wiederholt von Janjaweed-Milizen aus Darfur angegriffen. Zugleich gründeten sich auf tschadischer Seite in Grenznähe ethnisch-basierte Selbstverteidigungsgruppen. Allerdings griffen sie wegen Streitigkeiten um Wasser und Land immer wieder auch andere Volksgruppen im eigenen Land an.
Neben regionalen Akteuren wie Libyen, Sudan und Ägypten verfolgen auch internationale Akteure wie Frankreich, USA und China Interessen in der Region. 2003 wurde im Süden des Tschad Erdöl gefunden, auch im Norden sollen neue Ölfelder entdeckt worden sein. Die Weltbank reagierte kaum, als die tschadische Regierung 2005 ein Abkommen über die Verwendung von Öleinnahmen brach. Statt sie für Entwicklungs- und Sozialausgaben zu nutzen, kaufte sie Waffen. China belohnte Tschads Bruch mit Taiwan mit Krediten und erhielt Konzessionen im Ölsektor.
Um wenigstens die Sicherheitslage zu stabilisieren, aber auch um innenpolitische Interessen zu bedienen, forderte Frankreich den Einsatz von EUFOR-Soldaten. Nach anfänglichem Zögern einigte sich die EU im Frühjahr darauf, die EUFOR für ein Jahr zu entsenden. Die Aufgabe der 4000 Soldaten aus 14 Ländern bis März 2009 ist die Rückführung der intern Vertriebenen sowie der Schutz der Flüchtlinge, der UN-Bediensteten und des humanitären Personals im Tschad.
Nicht alle intern Vertriebenen können zurückgeführt werden. Unklar ist zudem, was nach dem Einsatz der EUFOR-Truppen im kommenden März passiert. Bis zu den Parlamentswahlen, die für Ende 2009 geplant werden, wird die Sicherheitslage angespannt bleiben, weitere Putschversuche werden erwartet. Im Osten gibt es immer mehr Banditen. Manche vergleichen die Situation im Osten des Tschads mit Somalia. Beobachter gehen davon aus, dass das Mandat der EUFOR mindestens bis zu den Wahlen verlängert wird.
Auf die Sicherheit in den 12 Flüchtlingslagern entlang der sudanesischen Grenze hat EUFOR keinen Einfluss, da das Mandat nur bis zu deren Toren reicht. In den Lagern herrschen traditionelle Systeme. Mädchen und Jungen werden von unterschiedlichen Rebellentruppen rekrutiert. Es gibt sexuelle Übergriffe und Gewalt. 850 durch die UN-Mission MINURCAT ausgebildete tschadische Polizisten und Kommandeure sollen seit Oktober für mehr Sicherheit sorgen. Man verspricht sich davon aber auch die freiwillige Rückkehr intern Vertriebener.
Not als Dauerzustand
Es dürfte kaum überraschen, dass in diesen Wirren die tschadische Wirtschaftspolitik sich trotz ihrer offiziellen Strategie der Armutsbekämpfung weiterhin auf die Versorgung des Präsidenten und seiner Klientel ausrichtet. Der Großteil der Bevölkerung hat nichts von den Öleinnahmen. Mehr als 40 Prozent der etwa acht Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Not ist ein Dauerzustand. Was kann die Entwicklungszusammenarbeit unter diesen Rahmenbedingungen leisten?
Diese Frage stellt sich nicht nur im Tschad, sondern überall, wo hartnäckige Konflikte ganze Regionen prägen. Die deutsche Entwicklungspolitik geht davon aus, mit einjähriger Bewilligung von Nothilfe über einen Zeitraum von drei Jahren das gröbste Elend lindern zu können. Danach soll technische und finanzielle Unterstützung einsetzen, um dauerhaft tragfähige Strukturen zu schaffen.
Vor Ort fehlt es aber typischerweise an entsprechenden staatlichen Strukturen. Mit wem soll man „gute Regierungsführung“ praktizieren, wenn es nur wenige integere Ansprechpartner gibt? Die Konzentration auf institutionelle Entwicklung kann die kurzfristig dringend benötigten Wirkungen bei der ökonomisch gebeutelten Bevölkerung nicht bringen.
Folglich muss im Tschad – wie auch in Afghanistan oder in der Demokratischen Republik Kongo – Not- und Übergangshilfe länger als ursprünglich geplant andauern. Derzeit wird sie jährlich diskutiert und bewilligt. Krisenregionen brauchen aber Konzepte, die sich auf wesentliche Elemente mit schneller Wirkung konzentrieren, wie beispielsweise Infrastruktur und elementare Organisationsformen. Kleine ökonomische Kreisläufe müssen möglich werden. Beim Straßen- und Wegebau kann das über die Entlohnung der zur Arbeit herangezogenen Bevölkerung geschehen.
Im Osten des Tschad gibt es vielversprechende erste Erfolge. Wichtig ist beispielsweise der Flussschwellenverbau. Er trägt dazu bei, die Krisenregion wirtschaftlich zu stabilisieren. Regenwasser wird mit Hilfe von Steintrassen rückgestaut und dadurch ins Grundwasser geleitet. Die Trinkwasserversorgung wird zuverlässiger und auch die Landwirtschaft profitiert. Früher rissen in der Regenzeit Wasserströme fruchtbares Land mit sich fort. Heute kann mehr Hirse und Sorghum geerntet werden.
Auch in der Zwischensaison sind Pflanzzeiten möglich geworden, sodass sich der Gemüseanbau vervielfacht hat. Bauernfamilien ernähren sich besser und verkaufen ihre Überschüsse auf den lokalen Märkten. Von diesem Fortschritt auf niedrigem Niveau profitieren auch die Armen. Denn während der Pflanz- und Erntezeit beschäftigen die Bauern Flüchtlinge aus den Lagern sowie arme Dorfbewohner als Tagelöhner. Zum Teil verpachten sie in der Zwischensaison Land an Bauern, die nicht im Einzugsgebiet des Flussschwellenverbaus wohnen. Das wird vertraglich geregelt, was dazu beiträgt, Streitfälle gewaltfrei zu schlichten und Konfliktpotential früh zu erkennen.
Eine Anzahl von Dörfern im Osten des Tschads war in der Trockenzeit weitgehend unbewohnbar geworden. Durch den Flussschwellenverbau können Familien nun wieder ganzjährig in den Dörfern bleiben. In der Nähe der Lager arbeitet man mit sudanesischen Flüchtlingen zusammen, die im Gemüseanbau erfahrener sind.
Über den Ausbau der Infrastruktur werden Handwerkern und Bauern technische Fertigkeiten vermittelt. Auf Übungsbaustellen werden sie für Maurer- und Wartungsarbeiten geschult. Sudanesische Flüchtlinge werden eingebunden, in der Hoffnung, dass sie diese Fertigkeiten nach ihrer Rückkehr in den Sudan ebenfalls nutzen. In einer Krisen- und Konfliktregion wie dem Osten Tschads werden Maßnahmen mit sichtbarer Wirkung und mittelfristiger Orientierung benötigt. Der jährliche Bewilligungszeitraum lässt das aber kaum zu. Dreijährige Bewilligungen wären besser. Die mittelfristig orientierten Maßnahmen sollten als Zwischenschritt hin zu der auf Langfristigkeit angelegten ausdifferenzierten TZ und FZ verstanden werden, die sich dann auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen konzentrieren können.
Im Vordergrund der mittelfristig angelegten Entwicklungszusammenarbeit muss die Stabilisierung und der bescheidene ökonomische Fortschritt in kleinen, überschaubaren Räumen stehen. Die Rahmenbedingungen in solchen Krisen- und Konfliktgebieten kann die Entwicklungspolitik kurzfristig kaum beeinflussen – sie kann aber die Grundsteine dafür legen, dass sich einmal in Gang gesetzte Wirtschaftskreisläufe verstetigen und so langfristig zur politischen und gesellschaftlichen Überwindung der Gewalt beitragen. Der jährliche Bewilligungsrhythmus der Nothilfe reicht dafür nicht.