Leihmütter
Anonymität schafft Probleme
Was treibt Paare an, Leihmütter zu beauftragen?
Ich kann das nur für Deutschland und die Schweiz beantworten, wo ich Interviews geführt habe. Die Paare können aus medizinischen Gründen – etwa einer früheren Krebserkrankung – kein Kind bekommen oder weil sie homosexuell sind. Sie machen sich lange und gründlich Gedanken. Die Medienberichterstattung, dass Frauen ihre Karriere nicht unterbrechen oder ihren eigenen Körper schonen wollen, ist Unsinn. Eine Leihmutter zu finden und zu beauftragen ist aufwendig und mühsam.
Ist es nicht grundsätzlich Missbrauch oder Ausbeutung, eine fremde Frau ein Kind austragen zu lassen?
Man kann das nicht so verallgemeinern. Wenn die Frau aus großer finanzieller Not Leihmutter wird, ist es natürlich sehr wahrscheinlich, dass es sich um ein missbräuchliches Verhältnis handelt. Aber wenn alle Beteiligten fair miteinander umgehen und im gegenseitigen Einverständnis handeln, sehe ich kein ethisches Problem.
Was sind denn die Motive der Leihmütter?
Sie sind recht unterschiedlich. In Kalifornien, wo Leihmutterschaft erlaubt ist, habe ich mit tief religiösen Frauen gesprochen, die sagten, sie wollten anderen helfen, eine Familie zu haben, denn das sei im Leben ihrem Glauben nach das Wichtigste. Es gibt auch Leihmütter, die aus dem nächsten Familien- oder Bekanntenkreis wissen, wie sehr Paare unter Unfruchtbarkeit leiden können – etwa wenn eine enge Freundin kein Kind bekommen kann. Sie sind bereit zu helfen. Es gibt aber auch Frauen, die gern schwanger sind, selbst aber keine zusätzlichen Kinder mehr wollen. Manche sehen in der Leihmutterschaft die Chance, Geld zu verdienen und sich gleichzeitig zu Hause um ihre eigenen Kinder kümmern zu können.
Was kostet denn eine Leihmutterschaft in Kalifornien?
Mindestens 100 000, eher 150 000 Dollar. Davon bekommt die Frau selbst rund ein Fünftel. Die Vermittlungsagentur, Versicherungen und Rechtsanwälte verdienen auch Geld, und das Gesundheitswesen in den USA ist sehr teuer.
Eine Leihmutter können sich also nur wohlhabende Menschen leisten.
Ja, aber auch das muss nicht so sein. Auch in Israel ist Leihmutterschaft legal, und dort übernimmt unter Umständen der Staat die Kosten, wofür aber ein umständliches Antragsverfahren nötig ist. In der Ukraine zum Beispiel kostet eine Leihmutter aber viel weniger als in Kalifornien. Und kürzlich wurde einer meiner Gesprächspartnerinnen die Vermittlung einer indischstämmigen Leihmutter in Kenia angeboten. In Indien wurde das Recht geändert, so dass deutsche Paare dort keine Leihmutter mehr finden können. Solch ein Verbot beendet die Sache aber nicht. Angebot und Nachfrage finden dann anderswo zueinander.
Hilft Legalität, die Rechte der Leihmütter zu schützen?
Illegalität bedeutet Rechtlosigkeit. Deshalb waren indische Leihmütter mit der Reform auch nicht einverstanden. Ihre Sicht ist auch relevant. Manche können mit einer Schwangerschaft mehr Geld verdienen als in zehn Jahren in einer Textilfabrik. Manche finden das Leben in einem Heim für schwangere Leihmütter angenehmer als zu Hause, weil sie zum ersten Mal im Leben nicht schwer arbeiten müssen, regelmäßig gutes Essen bekommen und viel freie Zeit haben. Das ist die Realität, was nicht heißt, dass ich das immense soziale Gefälle gut fände.
Was ist mit den Kindern? Leiden sie nicht unter Identitätsproblemen?
Das muss nicht sein. Die Forschung zeigt, dass Offenheit hilft. Anonymität schafft Probleme, aber je klarer die Verhältnisse für alle Beteiligten – und besonders die Kinder – sind, desto normaler und selbstverständlicher sind sie auch. Das haben britische Forschungen in Langzeitstudien ergeben. Dort ist nichtkommerzielle Leihmutterschaft erlaubt. In Kontakt zu bleiben ist übrigens auch den Leihmüttern wichtig. Sie finden es verletzend, wenn sich die sozialen Eltern während der Schwangerschaft um sie kümmern und später gar nichts mehr von sich hören lassen. Auch in diesem Zusammenhang schadet Illegalität offensichtlich.
Anika König ist Ethnologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck.
koenig@imgwf.uni-luebeck.de
Link
König, A., 2017: Embryos on the move: Transnational networks of surrogacy.
http://www.medizinethnologie.net/embryos-on-the-move/