Flüchtlinge

Widersprüchliche Politik

Seit Ausbruch des Krieges in Syrien 2011 hat der Libanon hunderttausende Syrer aufgenommen. Dafür erntet der Staat viel internationales Lob. Doch die Lage der Flüchtlinge im Land ist erschütternd.
Syrisches Flüchtlingslager in der Bekaa-Ebene. picture-alliance/abaca Syrisches Flüchtlingslager in der Bekaa-Ebene.

Etwa jeder vierte Bewohner des Libanons stammt aus Syrien. Dazu kommen Flüchtlinge aus früheren Krisen in der Region wie hunderttausende Palästinenser und tausende Iraker. Der politisch labile und infrastrukturell ohnehin überforderte Libanon zählt weltweit zu den Ländern mit dem prozentual höchsten Flüchtlingsaufkommen. Dafür verdient er Anerkennung und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Weniger Beachtung findet allerdings die Politik des libanesischen Staates gegenüber diesen Flüchtlingen.

Die Situation der Syrer im Land ist mehr als ernüchternd. Nach der Verschärfung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen Ende 2014 halten sich ungefähr 60 Prozent der Syrer illegal im Libanon auf. Das heißt, sie können keiner legalen Arbeit nachgehen, sich nicht frei im Land bewegen und ihre neugeborenen Kinder nicht anmelden. Schätzungen gehen bereits von 50 000 nicht erfassten Kindern aus. Hinzu kommt, dass der libanesische Staat dem UNHCR im April 2015 untersagt hat, neuankommende syrische Flüchtlinge zu registrieren.

Doch auch wenn sie registriert sind, genießen Flüchtlinge aus Syrien keinen rechtlichen Status. Der libanesische Staat hat bis heute weder die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 noch das Protokoll von 1967 unterzeichnet. So werden Menschen in Armut und Rechtlosigkeit getrieben. Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, dass es eine Verbindung zwischen der stark verbreiteten Kinderarbeit unter Syrern und der zunehmenden Armut der Eltern gibt. Nach offiziellen libanesischen Angaben leben 52 Prozent der Syrer von weniger als 2,40 Dollar pro Tag.

Der Libanon scheint die Fehler zu wiederholen, die er seit Jahrzehnten mit den Palästinensern gemacht hat und immer noch macht. Die diskriminierenden Gesetze in den Bereichen Arbeit, Bildung und soziale Absicherung haben diese Bevölkerungsgruppe an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Der libanesische Rechtsanwalt Nizar Saghieh nennt den Umgang des Staates mit den Flüchtlingen „manufacturing vulnerability“: Verletzlichkeit am laufenden Band.

Die Flüchtlingspolitik des Libanons ist hauptsächlich von der Angst getrieben, die Geflüchteten könnten sich dauerhaft ansiedeln und das demografische Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Religionen und Konfessionen aus dem Lot bringen, auf dem das politische System basiert. Es ist eine Politik ohne Weitsicht und Planung. Flüchtlinge werden zwar selten abgeschoben, aber man versucht sie zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen.

Laut der Absichtserklärung, die der Libanon aus Anlass der Geberkonferenz für Syrien Anfang 2016 in London vorgelegt hat, ist der Regierung bewusst, dass die Aufenthalts- und Arbeitsgesetze überarbeitet werden sollten. Das bestätigt auch der neu eingesetzte Minister für Vertriebene. Und in der Tat hat die Regierung in Beirut, auch auf internationalen Druck hin, vor wenigen Wochen eine Erleichterung für eine kleine Gruppe von Syrern erlassen . Notwendig wäre aber die Rücknahme der erschwerten Aufenthaltsregeln für alle Syrer im Land. In der Absichtserklärung werden außerdem Vorschläge unterbreitet, um Jobs zu schaffen – für Libanesen und Syrer. Die Rede ist von bis zu 350 000 Arbeitsplätzen. Woher sie kommen sollen, ist allerdings unklar.

Der größte Fortschritt, den der Zedernstaat in den vergangenen zwei Jahren erzielt hat, betrifft den Bereich Bildung für syrische Kinder. Internationale Geber und das Bildungsministerium haben für rund 250 000 syrische Mädchen und Jungen Plätze in staatlichen Schulen geschaffen. Dafür wurden Schulen instand gesetzt und neue Lehrer unter Vertrag genommen. Das ist eine große Leistung. Aber immer noch besuchen weitere 250 000 Kinder keine Schule. In der Bekaa-Ebene, die ein Hauptaufnahmegebiet für syrische Flüchtlinge ist, sind fast 80 Prozent der Kinder ohne Bildung. Das Ministerium will in den kommenden drei Jahren auch diese Kinder erreichen und gleichzeitig die Qualität der Bildung verbessern. Dafür sind jährlich 350 Millionen Dollar notwendig. Da ist die internationale Gemeinschaft wieder gefragt.


Mona Naggar ist Journalistin und Medientrainerin. Sie lebt in Beirut.
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