Öffentliche Verwaltung
E-Government muss sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren
E-Government bedeutet, dass zuvor im direkten Kontakt erbrachte Verwaltungsdienstleistungen auf Internetplattformen verlagert werden. Das kann die Erfahrungen, die Bürger*innen mit Behörden machen, verbessern. Zudem steigert es die Effizienz, wenn bestimmte Aspekte der Verwaltung über eine Smartphone-App oder einen Webbrowser auf einem Laptop abgewickelt werden können.
Es muss aber geklärt werden, was mit „Effizienz“ gemeint ist und wer genau davon profitieren soll. Ist Effizienz abhängig von Zeitersparnissen aufseiten der Bürger*innen, wenn sie aus der Ferne mit Behörden kommunizieren? Oder geht es um Kosteneinsparungen in der öffentlichen Verwaltung? In einer Demokratie sollte die Erfahrung der Bürger*innen am wichtigsten sein.
Bessere, nicht billigere Dienstleistungen
Gut gestaltets E-Government verbessert Verwaltungsdienstleistungen und erleichtert gleichzeitig Beamt*innen die Arbeit. Effizienzgewinne sind spürbar, wenn Menschen nicht zum Amt gehen müssen, um ihre Steuern einzureichen, einen Führerschein zu beantragen oder ihre Kinder zur Schule anzumelden. Beamt*innen müssen Routineaufgaben nicht mehr im direkten Kontakt erledigen. Die dadurch frei gewordene Zeit können sie in die Bearbeitung komplexerer Anfragen investieren, die mehr Fingerspitzengefühl erfordern.
In Deutschland zum Beispiel könnte E-Government einen Mehrwert bei den Einwanderungsbehörden schaffen. In vielen Gemeinden müssen alle Dienstleistungen persönlich erledigt werden, einschließlich neuer Aufenthaltsgenehmigungen, Asylanträgen und Visumsverlängerungen. Ein E-Government-Portal wäre nützlich für relativ einfache Aufgaben wie die Verlängerung von Visa von ausländischen Einwohnern. Sachbearbeiter*innen hätten dann mehr Zeit, sich auf komplexe Fälle wie Asylanträge zu konzentrieren.
Potenzielle Kosteneinsparungen werden hier aus zwei Gründen nicht erwähnt:
- Erstens sind hochwertige E-Government-Plattformen nicht billig in Aufbau und Wartung. Die öffentliche Verwaltung bleibt komplex, auch wenn sie digitalisiert wird. Schlecht konzipierte E-Government-Plattformen schaffen nur neue Frustrationen. In Ländern mit sehr begrenzten Mitteln können schlecht funktionierende E-Government-Ansätze sogar den Stress der Mitarbeiter*innen erhöhen und von der Erbringung bürgernaher Dienstleistungen ablenken – besonders auf kommunaler Ebene.
- Zweitens sollten elektronische Verwaltungsdienste Mitarbeiter*innen nicht ersetzen, sondern sie so ergänzen, dass ihre Routinearbeit reduziert wird und sie sich auf anspruchsvollere Aufgaben konzentrieren können.
E-Government in der Praxis
E-Government versteht man am besten aus der Praxis heraus. Hier sind einige Beispiele aus Afrika, Asien und Lateinamerika.
In Ländern mit mittleren Einkommen gibt es immer mehr einfache nationale E-Government-Portale. Kenias „eCitizen“-Portal umfasst Standarddienste wie die Beantragung von Personalausweisen und Führerscheinen, die Eintragung ins Eheregister, die Eintragung von Grundbesitz sowie Steuerangelegenheiten. Das „MyGOV“-Portal in Malaysia funktioniert ähnlich und ermöglicht Bürger*innen, sich unter anderem für die Schule anzumelden, zu heiraten, Steuern zu zahlen und Zugang zum Gesundheitswesen zu erhalten. Diese Beispiele zeigen, wie Standardaufgaben der Bürgerverwaltung – individuelle Bürgerdienste und Dienste für Unternehmen – über ein einziges Webportal zentralisiert werden.
Togo, eines der ärmsten Länder weltweit, führte während der Covid-19-Pandemie ein Grundeinkommen ein. Beantragung und Auszahlung erfolgten über das Mobiltelefon.
Das kolumbianische Projekt „Kioscos Vive Digital“ wird vom Ministerium für Informations- und Kommunikationstechnologien durchgeführt und von der UNESCO (UN Educational, Scientific and Cultural Organization) unterstützt. Es ist ein kreativer Bottom-up-Ansatz für digitales Bürgerengagement. Menschen aus verschiedenen Gemeinden konnten online berichten, wie sie das Internet allgemein sowie speziell im Kontakt mit Behörden nutzen. Die Idee war, die verschiedenen Internetkulturen in Kolumbien zu verstehen und lokalspezifische Erkenntnisse für mögliche Verbesserungen zu gewinnen.
Interesse der Geberorganisationen an E-Government
E-Government-Systeme werden auch unter extremen politischen Bedingungen eingeführt. Das ukrainische „Diia“ ist ein Portal, über das Bürger*innen via Handy auf die Dienste von Ministerien zugreifen können. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges, in dem auch die Infrastruktur der Ukraine zum Ziel wird, ist ein dezentrales Verwaltungssystem auf Basis von Mobiltelefonen praktisch.
Das Portal hat auch politische Implikationen. Westliche Regierungen unterstützen die Ukraine mit Geld und Militärgerät und bestehen auf Transparenz- und Antikorruptionsmaßnahmen. E-Government-Systeme können solchen Bedenken begegnen, wenn sie gut konzipiert und umgesetzt werden.
Das ist einer der Gründe, warum sich bilaterale und multilaterale Entwicklungsagenturen für E-Government interessieren. USAID, die bilaterale Agentur der US-Regierung, unterstützt Diia in der Ukraine. Die deutsche GIZ fördert derzeit mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ein Programm zum Aufbau eines umfassenden E-Government-Systems in Ägypten.
Sowohl USAID als auch die GIZ konzentrieren sich tendenziell auf Instrumente, die den Bedürfnissen der Bürger*innen entsprechen, sodass Programme und Systeme entsprechend konzipiert werden. Auf dieser Grundlage sollen die Regierungskapazitäten verbessert werden. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen den internen Kapazitäten der öffentlichen Einrichtungen und der externen Beauftragung von Softwareunternehmen, die Programme anpassen oder neu entwickeln sollen.
Wichtig ist auch, den politischen Kontext, in dem ein E-Government-System eingesetzt werden soll, kontinuierlich zu bewerten. Ob eine Regierung Menschenrechte, Privatsphäre und Transparenz achtet, hat erheblichen Einfluss darauf, ob E-Government die Lebensqualität der Bürger verbessert oder beeinträchtigt. Wenn demokratische Regeln nicht etabliert oder instabil sind, kann es schwierig sein, zu entscheiden, welche Art von E-Government-Projekt unterstützt werden soll. Generell werden E-Government-Ansätze dort die besten Ergebnisse liefern, wo Menschen den staatlichen Institutionen vertrauen. Wo sie Repressionen befürchten, werden sie den Kontakt auf das absolute Minimum reduzieren und versucht sein, falsche Informationen einzugeben.
Multilaterale Organisationen können bei der Entwicklung und Umsetzung von E-Government-Strategien unterstützen. Die Information Solutions Group der Weltbank beaufsichtigt die Beratungspraxis im Bereich E-Government und berät bei der Integration digitaler Lösungen in staatliche Verfahren und die Wirtschaftsverwaltung. Das Modell basiert auf Konsultationen und Wissensaustausch und hilft Partnerländern, Bedürfnisse zu identifizieren, Finanzierung zu organisieren und neue Technologien in staatliche Verfahren zu integrieren.
Zudem überwachen die Vereinten Nationen den Stand der E-Government-Entwicklung in den Mitgliedsländern. Der UN E-Government Development Index (EGDI) liefert länderübergreifende Vergleichsdaten.
Sicherstellen, dass E-Government bürgerorientiert bleibt
E-Government kann die Beziehung zwischen Menschen und Behörden deutlich verbessern. Das Wichtigste ist, dass die Dienste bürgerorientiert sind. Es braucht vollständig inklusive Systeme. Investitionen in E-Government dürfen nicht zu Lasten derer gehen, die auf persönliche Dienstleistungen angewiesen sind – diejenigen etwa, die ein neues Papierdokument brauchen oder keinen Internetzugang haben. Andererseits erscheinen E-Government-Lösungen besonders vielversprechend in Entwicklungsländern, die nicht über die Erblast der öffentlichen Verwaltungssysteme verfügen, die die Länder im globalen Norden prägen. Wo öffentliche Dienste schlecht sind, kann digitale Technologie schnell Abhilfe schaffen.
In Kenia beispielsweise ist die Eintragung ins Eheregister eine der wichtigsten Dienstleistungen, die man auf der eCitizen-Website wahrnehmen kann. Eheschließung steht vielleicht nicht oben auf der Agenda der Geberländer. Für ein kenianisches Paar auf dem Land ist sie jedoch sehr wichtig, weil eine praktikable E-Government-Lösung bedeutet, dass es keine umständliche Reise in die nächste Stadt machen muss.
Charles Martin-Shields ist Senior Researcher am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) in Bonn.
charles.martin-shields@idos-research.de