Gendergerechtigkeit
Menschenrecht auf Gesundheit
[ Von Annalise Moser ]
Es ist ein in Gleichstellungs- und Entwicklungskreisen oft wiederholtes Mantra: Während MDG 3 (Geschlechtergleichstellung) entscheidend für die Frauenförderung ist, ist Geschlechtergleichstellung nötig, um alle anderen MDGs zu erreichen. Geschlechtsspezifische Analysen der „Gesundheits“-MDGs 5 und 6 illustrieren, warum das so ist. Sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch das UN-Entwicklungsprogramm haben dazu umfangreiche Berichte veröffentlicht (WHO 2003 und UNDP 2005). MDG 5 ist die Verringerung der Müttersterblichkeit und MDG 6 die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose.
Laut WHO korreliert Geschlechterdiskriminierung vielfach mit Müttersterblichkeit. So erhöht etwa der schlechte Ernährungszustand von Frauen und Mädchen die Wahrscheinlichkeit ernster Schwangerschaftskomplikationen. Auch Analphabetismus und niedrige Schulbesuchszahlen von Mädchen tragen zur Müttersterblichkeit bei. Die Bildung von Frauen beeinflusst signifikant ihren Gesundheitszustand während Schwangerschaften.
Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung verstärkt Schwangerschaftsrisiken. Frauen und Mädchen tragen oft die Last der Reproduktions- und Versorgungsarbeit, wie der UNDP-Report ausführt. Dazu gehören die Pflege von Kindern und Älteren, Kochen, Putzen und Wasserholen. Erwartet wird zudem häufig die Teilnahme an der Produktion im Familienunternehmen und sogar Lohnarbeit außerhalb des Hauses. Während der Schwangerschaft wird all das häufig weiter geleistet. Darüber hinaus können Sozialnormen, welche die Mobilität von Frauen einschränken, bei Geburtskomplikationen tödlich sein.
WHO und UNDP bringen den untergeordneten gesellschaftlichen Rang von Frauen mit der Tatsache in Zusammenhang, dass diese mittlerweile die Mehrheit der Aids-Patienten stellen. Relevant ist dabei,
– dass Frauen keine starke Stellung bei der Aushandlung von sexuellen Beziehungen haben, um etwa den Gebrauch von Kondomen durchzusetzen,
– dass sie sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind mit den Folgen seelischer Traumata, ungewollter Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten,
– dass soziale Normen Männer zu mehr Sexualkontakten als Frauen ermutigen und
– dass Frauen schlechteren Zugang zu Information darüber haben, wie HIV verhindert werden kann.
Frauen und Mädchen tragen die Last der HIV/Aids-Pandemie. Sie werden stärker stigmatisiert, und sie pflegen die Kranken, die Waisen und andere Familienmitglieder.
In Bezug auf Malaria werden Geschlechterdifferenzen kaum diskutiert – aber es gibt sie. Laut WHO haben schwangere Frauen eine besonders hohe Häufigkeits- und Sterberate. Erwähnt werden unter anderem Geschlechternormen in Bezug auf Schlaf- und Arbeitsmuster, die Benutzung von Moskitonetzen und den Zugang zu Medikamenten und ärztlicher Versorgung, die allesamt die Malariaprävention und ihre Behandlung beeinflussen. WHO und UNDP verweisen darauf, dass die TB-Prävalenzrate für Männer in der Regel höher als für Frauen ist. Eine nähere Analyse der Daten zeigt jedoch, dass Tuberkulose eine Haupttodesursache von Frauen im Reproduktionsalter bleibt und dass „in Gebieten mit hoher HIV-Rate wie Afrika mehr junge Frauen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren mit TB diagnostiziert werden als junge Männer der gleichen Altersgruppe“ (WHO 2003: 6). Darüber hinaus gibt es Befürchtungen, dass die scheinbar niedrigere Gesamt-TB-Prävalenzrate für Frauen nur eine niedrigere Melderate widerspiegelt.
Geschlechtssensible Politik
Während die Genderdimensionen der MDGs relativ leicht zu analysieren sind – wie am Beispiel der MDGs 5 und 6 gezeigt –, ist es viel schwieriger, herauszufinden, wie Geschlechtergleichstellung erfolgen muss, damit jedes Einzel-MDG erreicht werden kann. Es lohnt sich, die MDGs aus einer Menschenrechtsperspektive für Frauen zu betrachten, wie eine von Carol Barton und Laurie Prendergast (2005) herausgegebene Aufsatzsammlung ausführt.
Lee Waldorf (2005) schreibt darin, dass internationale Menschenrechtsverträge auf zweierlei Art genutzt werden können:
– Normativ können sie helfen, wenn es um die Formulierung von Regierungsstrategien und ihre Implementation geht – vor allem dann, wenn die Berichte und Empfehlungen internationaler Institutionen und ihrer Gutachter berücksichtigt werden.
– Operational sind sie nützlich, wo Kontroll- und Implementierungsmechanismen etabliert sind, was in vielen Ländern der Fall sei. Waldorf betont, dass solche Synergien gefördert werden müssen.
In der gleichen Sammlung widerlegt Lynn Freedman (2005) die Annahme, der Wochenbett-Tod von Frauen sei irgendwie „natürlich“. Müttersterblichkeit ist kein Zufall, denn sie kommt vor allem in armen Ländern mit unzureichenden und ungerechten Gesundheitssystemen vor. Diese Todesfälle sind vermeidbar. Sie sind kein biologisches, sondern vielmehr ein politisches Phänomen. Es ist hinlänglich bekannt, wie angemessenes Regierungshandeln aussehen muss.
Neben Rechten kommt es auch auf Finanzen an. Wie Arabella Fraser (2005) von Oxfam ausführt, sind in den Gesundheitssystemen vieler Länder Rechts-, Management- und Personalreformen nötig. Ohne ausreichende Finanzmittel gibt es keinen Erfolg. Geber sollten deshalb ihre Geldvergabe überprüfen. Laut Fraser muss Finanzierung – anders als bei Einmalinvestitionen – vorhersehbar und langfristig erfolgen, damit wiederkehrende Kosten, Dienstleistungen und Instandhaltung von Einrichtungen abgedeckt werden. Wer Geld bekommen soll, ist aus einer geschlechtssensiblen und menschenrechtsbasierten Perspektive ebenfalls relevant. In der Regel sind staatliche Kapazitäten in Entwicklungsländern dürftig, und die medizinische Versorgung wird oft von Nichtregierungsorganisationen und dem Privatsektor getragen. Wie Fraser ausführt, müssen jedoch die ärmsten Menschen einen besonders großen Teil ihres Einkommens für das Gesundheitswesen ausgeben, wenn dies dem Markt überlassen bleibt. Die Ungleichheit in Sachen Zugang wird so noch verschärft; und abermals sind es die Frauen, die am meisten leiden, da sie nicht über die Prioritäten bei den Haushaltsausgaben der Familien entscheiden. Allzu oft gehören die gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen nicht dazu.
Auch D. Shaw (2006) spricht über Gesundheitswesen im Zusammenhang mit Frauenrechten und den MDGs. Sie konzentriert sich dabei auf das Potenzial von Partnerschaften – auch zwischen professionellen Organisationen und Gesundheitssystemen – zur Bekämpfung bestimmter Probleme. Sie verweist auf Bangladesch, wo die Regierung, die WHO und die Nationale Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie zur Verbesserung der medizinischen Versorgung während der Schwangerschaft eine Partnerschaft zur Ausbildung von Hebammen bildeten. Shaw lobt auch Partnerschaften mit dem Rechtswesen, die zur Änderung von diskriminierenden Gesetzen beitragen. In Mexiko wurde beispielsweise die „Pille danach“ als unentbehrliches Medikament eingestuft und fortan vom öffentlichen Gesundheitssystem kostenfrei zur Verfügung gestellt.