Nachhaltigkeit

Vom freien zum fairen Handel

Stimmige Regeln für Exporte und Importe sind nötig, um nachhaltige Entwicklung auf verantwortliche Weise zu fördern. So lautet das Urteil von Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Gerd Müller zu Besuch in einer kambodschanischen Textilfabrik. BMZ/Photothek Gerd Müller zu Besuch in einer kambodschanischen Textilfabrik.

Im April 2013 ereignete sich das verheerende Unglück in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mit mehr als 1100 Opfern und über 3000 Verletzten. Ein Unglück, das erneut auf unmenschliche und umweltzerstörerische Produktionsbedingungen in Asien und Afrika aufmerksam gemacht hat.

Heute können wir sagen, dass sich seitdem einiges zum Positiven verändert hat. Im Oktober 2014 haben wir das Bündnis für nachhaltige Textilien auf den Weg gebracht. In Bangladesch konnte ich mich im Herbst vergangenen Jahres von den Fortschritten vor Ort überzeugen. Dank deutscher Unterstützung haben viele Überlebende der Katastrophe wieder eine berufliche Perspektive; durch die Ausbildung von Inspektoren kommen die Sicherheit und der Arbeitsschutz in den Textilfabriken voran. Außerdem berät Deutschland beim Aufbau von Arbeitnehmervertretungen und einer Unfallversicherung.

Der Textilsektor ist ein Beispiel dafür, wie im Zeitalter der Globalisierung immer komplexer werdende Liefer- und Handelsketten den gesamten Erdball umspannen. Die Globalisierung, die digitale Revolution und eine rasant wachsende Bevölkerung haben unseren Planeten Erde zum globalen Dorf gemacht. Die Produkte, die wir in Deutschland und Europa konsumieren, werden von vielen einzelnen Unternehmen über Landesgrenzen hinweg produziert und gehandelt. Ein Herrenhemd beispielsweise durchläuft in seiner Produktion bis zu 140 Fertigungsschritte in verschiedenen Ländern, bis es bei uns auf dem Kleiderbügel im Geschäft zu kaufen ist. Dabei wird die Produktion oft aus Kostengründen in Länder mit niedrigen Sozial- und Umweltstandards ausgelagert.

Trotz der Herausforderungen dürfen wir aber nicht vergessen, dass die Integration in globale und regionale Wertschöpfungsketten Chancen für Entwicklungs- und Schwellenländer eröffnet. So konnte China durch eine schnell wachsende industrielle Produktion und Exportorientierung zwischen 2000 und 2013 über 200 Millionen Menschen aus der Armut befreien. Die ärmsten Entwicklungsländer (Least Developed Countries – LDCs) und viele afrikanische Länder haben diese Möglichkeiten nicht, da sie kaum in die internationale Arbeitsteilung und Weltwirtschaft integriert sind. Die Welthandelsorganisation geht davon aus, dass die ärmsten Entwicklungsländer zwar zwölf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, jedoch nur an einem Prozent des Welthandels beteiligt sind. Selbst ein so international verflochtenes Land wie Deutschland bezieht nur drei Prozent seiner Waren aus Afrika.


Der Weltzukunftsvertrag

Wir müssen dafür sorgen, dass Entwicklungsländer bessere Möglichkeiten haben, an Wertschöpfung und internationalem Handel teilzuhaben. Denn so kann Armut nachhaltig bekämpft und Beschäftigungsperspektiven geschaffen werden. Gleichzeitig muss der weltweite Handel verantwortlich, nachhaltig und fair gestaltet werden. Die Globalisierung und der Handel dürfen nicht mit massiver Umweltzerstörung, Klimawandel, wachsenden Ungleichheiten, prekären Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen einhergehen.

Wir brauchen ein globales Wirtschaftsmodell, wie wir es in Europa aus dem Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts heraus entwickelt haben. Der Weltzukunftsvertrag – die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung – mit den 17 Zielen für eine ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) ist dafür der neue Handlungsrahmen: auf internationaler Ebene, in den Partnerländern und in Deutschland.


Verantwortung für nachhaltigen Handel beginnt in Deutschland

Die Verantwortung für einen nachhaltigen Handel beginnt in Deutschland, denn besonders deutsche Unternehmen spielen eine wichtige Rolle bei der Anhebung von Umwelt- und Sozialstandards und bei der nachhaltigen Gestaltung globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten.
Das beste Beispiel hierfür ist das Bündnis für nachhaltige Textilien. Diese Partnerschaft von Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft hat sich nachhaltige soziale, ökologische und ökonomische Verbesserungen entlang der gesamten Textillieferkette zum Ziel gesetzt. Mittlerweile haben sich rund 180 Mitglieder angeschlossen – mehr als die Hälfte des deutschen Textileinzelhandels.

Wichtig ist auch die Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte, mit dem die Bundesregierung die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzt. Mit ihm wird ein klarer nationaler Bezugsrahmen für menschenrechtskonformes, sozial nachhaltiges und zugleich ökonomisch erfolgreiches Wirtschaften gesetzt – in erster Linie für die Unternehmen selbst, aber eben auch für die staatlichen Akteure, deren Aufgabe es ist, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflichten zu gewähren und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.

Ein weiterer Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit liegt beim Konsumverhalten. Wir müssen uns klar­machen: Unser Konsum hierzulande hat direkte Konsequenzen in anderen Teilen der Welt. Wenn ein T-Shirt in Deutschland für 2,50 Euro zu haben ist, kann für die Näherin in Bangladesch nicht viel übrig bleiben. Aber es gibt Hoffnung: Der Anstieg des Verkaufs fair gehandelter Produkte bestätigt, dass es ein steigendes Bewusstsein und Interesse für das Thema Nachhaltigkeit gibt. Zur Unterstützung des fairen Handels hat die Bundesregierung eine Informationsplattform – www.siegelklarheit.de – entwickelt, die die etablierten Nachhaltigkeitssiegel verständlich und die besonders glaubwürdigen und anspruchsvollen Siegel transparent macht. Aber auch der Bund, die Länder und die Kommunen mit ihrem jährlichen Beschaffungsvolumen von mehr als 300 Milliarden Euro müssen in Bezug auf Nachhaltigkeit mit gutem Beispiel vorangehen. Mit verschiedenen Initiativen setzt sich das BMZ dafür ein, dass verstärkt Sozial- und Umweltstandards in allen öffentlichen Beschaffungen Berücksichtigung finden.

Damit Armut bekämpft und Beschäftigungs- und Zukunftsperspektiven für Menschen in den Entwicklungsländern geschaffen werden können, müssen Unternehmen in Entwicklungsländern ihre Produkte und Dienstleistungen wettbewerbsfähig auf dem Weltmarkt anbieten können. Im Rahmen der von der WTO ins Leben gerufenen Aid-for-Trade-Initiative hat Deutschland sein Engagement für handelsfördernde Maßnahmen kontinuierlich ausgebaut. So fördert das BMZ in den Partnerländern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie wettbewerbsfähige und nachhaltige Wirtschaftsstrukturen, die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft und die Einführung und Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards, zum Beispiel in den Produktionsbetrieben in Bangladesch.

Auf internationaler Ebene ist es wichtig, die WTO als das Forum für Verhandlungen zur gerechten Ausgestaltung des Welthandels zu nutzen, denn hier hat jedes Land eine Stimme. Die WTO-Ministerkonferenz 2015 in Nairobi konnte zwar die seit 2001 andauernde Doha-Entwicklungsrunde nicht zum Abschluss bringen, jedoch konnten Fortschritte für Entwicklungsländer erzielt werden. Die Agrarsubventionen werden abgeschafft und die präferenzieller Ursprungsregeln für Güter aus den LDCs erweitert. Die stockenden Verhandlungen der Doha-Runde führen jedoch dazu, dass bilaterale und plurilaterale Handelsabkommen an Gewicht gewinnen. Wir müssen darauf achten, dass Handelsabkommen außerhalb der WTO nicht zu Lasten der Entwicklungsländer gehen. Dafür brauchen wir auch eine Verknüpfung von ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsstandards mit der internationalen und europäischen Handelspolitik. Daher fordere ich eine breite Verankerung von Nachhaltigkeitsstandards im WTO-Recht, bei Freihandelsabkommen der EU und in den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit den AKP-Staaten.

Nachhaltiger und gerechter Handel beginnt bei uns selbst in Deutschland, muss in den Entwicklungsländern unterstützt und auf internationaler Ebene verankert werden: Statt Freihandel müssen wir einen Fairhandel schaffen. Das muss die Lehre aus Rana Plaza sein.


Gerd Müller ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
http://www.bmz.de