Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Decent work

Qualitätskriterien

Sozial- und Umweltstandards in der Textilproduktion sollen besser werden. Das ist ein Ziel der deutschen Entwicklungspolitik.
Gerd Müller zu ­Besuch in einer ­chinesischen Textil­fabrik. Imo/photothek Gerd Müller zu ­Besuch in einer ­chinesischen Textil­fabrik.

Auf meiner Reise in die Volksrepublik China vergangenen Oktober habe ich mich in Jiaxing über Sozial- und Umweltstandards in der chinesischen Textilbranche informiert. Einmal mehr wurde mir bewusst, dass an jeder Nähmaschine ein Mensch sitzt, der von seiner Arbeit leben muss und dessen Gesundheit geachtet werden muss. Dies gilt natürlich für die Arbeitsbedingungen auf allen Produktionsstufen, vom Baumwollfeld bis zum Verkaufsregal. In China hat sich in den vergangenen Jahren viel getan im Hinblick auf Produktionsstandards. Das Land gehört zu den führenden Herstellern von Textilien. Jedoch wird Bekleidung auch in anderen Ländern gefertigt wie Bangladesch, Indien, Vietnam oder Kambodscha.

Vielerorts entsprechen die Arbeitsbedingungen nicht den international vereinbarten Sozial- und Umweltstandards. Ausbeutung und Diskriminierung prägen den Arbeitsalltag von Millionen von Menschen, die in der Bekleidungsbranche arbeiten. Die Liste der Negativschlagzeilen ist lang, und die Probleme ähneln sich oft: Umweltskandale, bei denen ungeklärte Abwässer in Flüsse eingeleitet werden und die Ökosysteme zerstören. Menschen, die unter schlechten Bedingungen in Fabriken arbeiten – Arbeitszeiten mit über 16 Stunden am Tag, geringe Löhne, die nicht zum Überleben reichen, ungeschützter Umgang mit gefährlichen Chemikalien, um nur einige Beispiele zu nennen. Ich habe in Nordafrika selbst gesehen, wie Kinder bei ihrer Arbeit in einer Ledergerberei barfuß und ohne jeglichen Schutz für Haut und Atemwege in den Chemiebecken standen. Wollen wir diese Kleidung wirklich auf unserer Haut tragen? Auch die tragischen Unfälle wie der Brand bei Ali Enterprises in Pakistan und der Einsturz des Fabrikkomplexes Rana Plaza in Bangladesch vor einigen Jahren zeigen, dass wir hier dringend handeln müssen.

Wir reichen Staaten tragen eine Verantwortung für die Arbeitsbedingungen der Menschen in Entwicklungsländern. Wir können nicht nur die Umwelt ausbeuten, Produktion auslagern und zu Hause so tun, als sei alles in Ordnung.

Entwicklungspolitik kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass sich soziale und ökologische Standards in der Textilproduktion weltweit verbessern. Das Thema steht auf der Tagesordnung vieler Gespräche, die wir mit den Regierungen solcher Partnerländer führen, die Rohstoffe wie Baumwolle anbauen oder Textilien herstellen und weiterverarbeiten. Wir ermutigen dazu und wir helfen dabei, von staatlicher Seite Rahmenbedingungen zu schaffen, die zu einer Verbesserung der Bedingungen vor Ort führen.

Zudem führen wir in diesen Ländern konkrete Projekte durch, die zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Beispiel Bangladesch: Hier unterstützen wir die Regierung bei der Ausbildung staatlicher Arbeitsinspektoren, die in den Fabriken die Einhaltung nationaler Arbeitsschutz- und Umweltgesetze und inter­nationaler Standards überprüfen. Wir fördern Unternehmensverbände beim Aufbau von qualifizierten Beratungsstellen, beispielsweise wenn es um Brandschutz oder Gebäudesicherheit geht. Wir stärken aber auch die Aktivitäten lokaler Nichtregierungsorganisationen im Textilsektor, wie etwa bei der Errichtung von Frauencafés, in denen die Arbeiterinnen über ihre Arbeitsrechte aufgeklärt werden. Zwischenzeitlich haben allein in Bangladesch rund 100 000 Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Manager und Fabrikbesitzer an unseren Weiterbildungsprojekten teilgenommen.


Das Textilbündnis

Die Entwicklungspolitik kann die Herausforderungen in der Textilwirtschaft jedoch nicht im Alleingang bewältigen. Daher haben wir Ende April 2014 zum „Runden Tisch Textil“ eingeladen. Alle Beteiligten dieses Treffens, darunter Vertreterinnen und Vertreter von deutschen Bekleidungsunternehmen, Branchenverbänden, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, haben gemeinsam einen ehrgeizigen Aktionsplan erarbeitet.

Sechs Monate später wurde das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ gegründet, dem sich inzwischen rund 60 Mitglieder angeschlossen haben. Ziel dieses Zusammenschlusses ist es, gemeinsam eine kritische Marktmacht zu erreichen, mit der Einfluss auf die sozialen, ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in den Produktionsländern genommen werden kann.

Das Textilbündnis hat verbindliche Standards für die Rohstoffgewinnung und die Textil- und Bekleidungsproduktion definiert, etwa beim Weben, Färben oder Verarbeiten von Stoffen. Dabei orientiert es sich an bewährten internationalen Grundsätzen für verantwortungsvolle Unternehmensführung, wie zum Beispiel den Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) oder den Leitsätzen für multinationale Unternehmen der OECD-Staaten. Als Richtschnur werden auch vorhandene Standards, wie wir sie aus dem Bereich der Biotextilien und dem fairen Handel kennen, herangezogen. Auch international anerkannte Listen schädlicher Pestizide und Industriechemikalien und freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zählen dazu.

Die Mitglieder des Textilbündnisses haben festgelegt, in welchen Schritten die definierten Standards realisiert werden sollen und wie sie die Umsetzung nachweisen können. Der Zeitplan wird regelmäßig überprüft und angepasst.

Um Verbesserungen entlang der gesamten textilen Zulieferkette zu erreichen, müssen alle an einem Strang ziehen – weltweit. Deswegen gehen wir auch auf multinationale Unternehmen zu sowie auf Zulieferer, Gewerkschaften und Regierungen in den Produktionsländern. So haben etwa vor kurzem die ­ersten vier bangladeschischen Unternehmen, die zusammen rund 35 000 Mitarbeiter beschäftigen, ihre Unterstützung zugesagt.

Die Partner im Textilbündnis können zudem von zahlreichen Möglichkeiten unserer Entwicklungszusammenarbeit profitieren. Im Rahmen von Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft (develoPPP.de) finanzieren wir weltweit anteilig Projekte, die auch zur Verbesserung der Produktions- und Arbeitsbedingungen im Textilsektor beitragen, beispielsweise in Burkina Faso, wo es um die Steigerung der Baumwollqualität von Kleinbauern geht, oder in Vietnam, wo wir mit Unternehmen aus der Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie ein effizientes Umweltmanagement entwickeln.

Gleichzeitig sind wir mit der EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten, der OECD und der ILO kontinuierlich im Gespräch, um unsere jeweiligen Ansätze zur Förderung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeitsstandards miteinander zu vernetzen. Wir werben aktiv darum, das Textilbündnis und seine Ziele zu verankern, und treiben Kooperationen zur Unterstützung voran. So haben wir beispielsweise im Mai 2014 eine Vereinbarung mit der ILO getroffen, welche Verbesserungen der Arbeitsstandards in Entwicklungsländern und globalen Zulieferketten zum Ziel hat, vor allem in den asiatischen Partnerländern. Das Thema Nachhaltigkeitsstandards steht zudem ganz oben auf der G7-Agenda in der deutschen Präsidentschaft.


Macht der Konsumenten

Aber auch wir als Verbraucherinnen und Verbraucher sind gefragt. Mit jeder Kaufentscheidung tragen wir eine Mitverantwortung dafür, ob mehr sozial- und umweltverträglich hergestellte Produkte auf den Markt kommen oder nicht. Umfragen belegen, dass dies vielen Menschen in Deutschland bewusst ist. Das Thema Nachhaltigkeit ist ihnen beim Einkauf wichtig, und viele sind bereit, für „faire“ Kleidung einen „fairen“ Preis zu zahlen.

Leider ist es jedoch immer noch schwierig, sich beim Kauf nachhaltiger Kleidung zu orientieren. Es gibt einen ganzen Dschungel von teilweise undurchsichtigen Siegeln für Textilien. Deshalb arbeitet das Textilbündnis darauf hin, die Erkennbarkeit von nachhaltiger Bekleidung für Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern. In Kürze startet auch das Internetportal „Siegelklarheit“, auf dem viele der heute handelsüblichen Textilsiegel einem Check unterzogen werden. Das Portal wird ebenfalls als App zur Verfügung stehen.

Ziel unserer Arbeit ist, dass wir es mehr und mehr selbst in der Hand haben, guten Gewissens ein Kleidungsstück zu kaufen, das unter menschenwürdigen Produktionsbedingungen, ökologisch vertretbar und zu fairen Preisen hergestellt wurde.

 

Gerd Müller ist Bundesminister für wirtschaftliche Zusammen­arbeit und Entwicklung.
http://www.bmz.de